Название | Winzige Gefährten |
---|---|
Автор произведения | Ed Yong |
Жанр | Математика |
Серия | |
Издательство | Математика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142482 |
Die Tiere leben in Aquarien, die einen engen Korridor säumen. Insgesamt ist für vierundzwanzig von ihnen gleichzeitig Platz. Wenn eine neue Ladung eintrifft, sucht Bekiares, der Labormanager, einen Buchstaben aus und lässt dann die Studierenden die Tiere entsprechend taufen. Das Weibchen, dem ich begegnet bin, heißt Yoshi. In den Aquarien nebenan wohnen Yahoo, Ysolde, Yardley, Yara, Yves, Yusuf, Yokel und (Mr.) Yuk. Für die Weibchen ist alle zwei Wochen »Rendezvous-Abend«. Nach der Paarung werden sie in einem »Kinderzimmer« allein gelassen und legen dort in Tanks voller Kunststoffröhren jeweils Hunderte von Eiern. Bis daraus der Nachwuchs schlüpft, vergehen einige Wochen. Als wir das Kinderzimmer besichtigen, steht auf einem Regal ein Plastikbecher, in dem ein paar Dutzend Tintenfischbabys, jedes nur wenige Millimeter lang, herumzappeln. Zehn Tintenfischweibchen können pro Jahr bis zu 60.000 Jungtiere hervorbringen – das ist einer der Gründe, warum sie so ausgezeichnete Labortiere sind. Ein weiterer: Die Jungen sind beim Schlüpfen keimfrei. In freier Wildbahn werden sie innerhalb weniger Stunden von V. fischeri besiedelt. Im Labor können McFall-Ngai und Ruby den Kontakt der geschlüpften Tiere mit Symbionten genau kontrollieren. Sie können Zellen von V. fischeri mit leuchtenden Proteinen markieren und sie dann auf ihrem Weg in die Leuchtorgane des Tintenfisches verfolgen. So können sie zusehen, wie die Partnerschaft beginnt.
Am Anfang steht Physik. Die Oberfläche des Leuchtorgans ist von Schleim und Abschnitten mit beweglichen Haaren bedeckt, auch Cilien genannt. Diese erzeugen eine turbulente Strömung, die Teilchen mit der Größe von Bakterien anzieht, größere aber nicht. Die Mikroorganismen, unter ihnen auch V. fischeri, häufen sich also in dem Schleim an. Jetzt macht die Physik der Chemie Platz. Wenn nur eine Zelle von V. fischeri den Tintenfisch berührt, geschieht noch nichts. Bei zwei Zellen: immer noch nichts. Sobald aber fünf Zellen den Kontakt herstellen, schalten sie im Tintenfisch eine ganze Reihe von Genen ein. Einige davon produzieren einen Cocktail aus mikrobenhemmenden Wirkstoffen, die V. fischeri unbehelligt lassen, für andere Mikroorganismen aber eine unwirtliche Umgebung schaffen. Andere schütten Enzyme aus, die den Schleim des Tintenfisches abbauen und eine Substanz produzieren, die noch mehr Zellen von V. fischeri anlockt. Solche Vorgänge sind die Erklärung dafür, warum V. fischeri in der Schleimschicht schon bald die Oberhand gewinnt, obwohl sie anfangs gegenüber anderen Bakterien zahlenmäßig im Verhältnis 1 zu 1000 unterlegen sind. Nur diese Bakterienart, und nur sie allein, ist in der Lage, die Oberfläche des Tintenfisches in eine Landschaft zu verwandeln, die mehr von ihresgleichen anlockt und Konkurrenten abschreckt. Das Ganze erinnert an die Protagonisten von Science-Fic tion-Geschichten, die unwirtliche Planeten in eine angenehme Heimat terraformieren – nur mit dem Unterschied, dass hier ein Tier terraformiert wird.
Nachdem V. fischeri die Außenseite des Tintenfisches verändert hat, wandert es nach innen. Es schlüpft durch eine von wenigen Poren, wandert durch einen langen Gang, quetscht sich durch eine Engstelle und erreicht schließlich mehrere Krypten, Nischen ohne Ausgang. Dort angekommen, verändert das Bakterium den Tintenfisch weiter. Die Nischen sind mit säulenförmigen Zellen ausgekleidet, die nun größer und dichter werden und die neu eingetroffenen Mikroorganismen in enger Umarmung aufnehmen. Während die Bakterien sich an das umgestaltete Innere gewöhnen, schließen sich die Türen hinter ihnen. Der Zugang zu den Nischen verengt sich, die Gänge ziehen sich zusammen, die Abschnitte mit den Cilien lösen sich auf. Jetzt erreicht das Leuchtorgan seine ausgereifte Form. Nachdem es von den richtigen Bakterien besiedelt wurde – und auch hier ist V. fischeri der einzige Mikroorganismus, der jemals die Reise antritt –, findet keine weitere Besiedlung mehr statt.
Nun ja, na und? Das Ganze hört sich an wie abgelegenes Detailwissen über das Leben eines eigenartigen Tieres. Aber die Eigenschaften der Tintenfische bergen eine weitreichende Folgerung, und die begriff McFall-Ngai sofort. Im Jahr 1994, nachdem ihre erste Versuchsreihe mit den Tintenfischen abgeschlossen war, schrieb sie: »Die Ergebnisse dieser Studien sind die ersten experimentellen Daten, mit denen nachgewiesen wird, dass ein bestimmter bakterieller Symbiont in der Entwicklung von Tieren eine Auslösefunktion haben kann.«
Mit anderen Worten: Mikroorganismen formen den Körper von Tieren.
Aber wie machen sie das? Wie McFall-Ngais Arbeitsgruppe 2004 nachweisen konnte, hat die Veränderungsfähigkeit ihre Ursache in zwei Substanzen auf der Oberfläche von V. fischeri: Peptidoglycan (PGN) und Lipopolysaccharid (LPS). Das war eine Überraschung. Die beiden Verbindungen waren zu jener Zeit ausschließlich im Zusammenhang mit Krankheiten bekannt. Man bezeichnete sie als pathogen-assoziierte Molekülmuster (pathogen-associated molecular patterns oder kurz PAMPs); sie waren charakteristische Substanzen, die das Immunsystem von Tieren auf heraufziehende Infektionen aufmerksam machen. Aber V. fischeri ist kein Krankheitserreger. Es ist mit dem Bakterium verwandt, das beim Menschen die Cholera verursacht, schädigt aber den Tintenfisch überhaupt nicht. Also tauschte McFall-Ngai in der Abkürzung das Pathogen-P gegen ein umfassenderes Mikroorganismen-M aus und bezeichnete die Moleküle nun als MAMPs: Mikroben-assoziierte Molekülmuster. Der neue Begriff ist geradezu ein Symbol für die Mikrobiomforschung als Ganzes. Er sagt der ganzen Welt, dass diese Moleküle nicht nur Anzeichen für Krankheiten sind. Sie können zwar kräftezehrende Entzündungen auslösen, manchmal stehen sie aber auch am Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen einem Tier und einem Bakterium. Ohne sie nimmt das Leuchtorgan nie seine normale, endgültige Form an. Ohne sie überlebt der Tintenfisch zwar, vollzieht aber nie vollständig den Weg zur Reife.
Heute wissen wir, dass viele Tiere – von Fischen bis zu Mäusen – unter dem Einfluss bakterieller Partner heranwachsen, häufig sogar unter der Kontrolle der gleichen MAMPs, die auch das Leuchtorgan des Tintenfischs formen.3 Dank solcher Entdeckungen sehen wir heute die Entwicklung – den Prozess, durch den ein Tier sich von einer einzelnen Zelle in einen funktionsfähigen, ausgewachsenen Organismus verwandelt – in ganz neuem Licht.
Wenn man eine befruchtete Eizelle – von Menschen, von Tintenfischen, es funktioniert mit jeder – vorsichtig isoliert und unter dem Mikroskop betrachtet, sieht man irgendwann, wie sie sich in zwei Zellen teilt, dann in vier, dann in acht. Die Zellkugel wird größer. Sie faltet sich, beult sich aus und verformt sich. Die Zellen tauschen molekulare Signale aus und teilen sich damit gegenseitig mit, welche Gewebe und Organe sie hervorbringen sollen. Die ersten Körperteile bilden sich. Ein Embryo wächst heran und wird immer weiter heranwachsen, solange er ausreichend mit Nährstoffen versorgt ist. Die ganze Abfolge scheint selbstgenügsam zu sein und voranzuschreiten wie ein ungeheuer kompliziertes Computerprogramm, das von allein läuft. Von den Tintenfischen und anderen Tieren wissen wir aber, dass zur Entwicklung noch mehr gehört. Sie läuft nach Anweisungen in den Genen eines Tieres ab, aber auch nach denen in Genen seiner Mikroorganismen. Sie ist das Ergebnis fortdauernder Verhandlungen – einer Unterhaltung zwischen mehreren Arten, von denen nur eine die eigentliche Entwicklung vollzieht. Dabei entfaltet sich ein ganzes Ökosystem.
Ob ein Tier irgendwelche Mikroorganismen braucht, um sich ordnungsgemäß zu entwickeln, kann man am einfachsten überprüfen, indem man sie ihm vorenthält. Manche Arten sterben dann einfach: Die Mücke Aedes aegypti, die das Denguefieber überträgt, schafft es bis zum Larvenstadium, aber nicht weiter.4 Andere vertragen die Keimfreiheit besser. Euprymna scolopes leuchtet einfach nicht mehr; das wäre in McFall-Ngais Labor vielleicht ohne Bedeutung, aber in freier Wildbahn würde das Tier ohne Tarnung zu einer leichten Beute. Wissenschaftler haben auch keimfreie Formen nahezu aller anderen beliebten Labortiere hergestellt, darunter von Zebrafischen, Fliegen und Mäusen. Auch diese Tiere überleben, sind allerdings verändert. »Das keimfreie Tier ist im Großen und Ganzen eine elende Kreatur, und an nahezu jedem Punkt seiner Entwicklung erweckt es den Eindruck, es bedürfe eines künstlichen Substituts für die Keime, die ihm fehlen«, schrieb Theodor Rosebury. »Es ist so, wie ein Kind wäre, wenn wir es, vollständig geschützt vor den Schlägen der Welt, unter Glas halten könnten.«5
Am deutlichsten zeigen sich die seltsamen biologischen Eigenschaften keimfreier Tiere im Darm. Ein gut funktionierender Darm braucht eine große Oberfläche, mit der er Nährstoffe aufnehmen kann; deshalb sind seine Wände dicht mit langen, fingerförmigen Ausstülpungen besetzt, den Zotten. Die Zellen an deren Oberfläche müssen sich ständig regenerieren, denn sie werden durch die vor -übergleitende Nahrung abgeschabt. Außerdem