Название | Ein Land für Kinder? |
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Автор произведения | Heidelore Diekmann |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783842283947 |
Aber, wer anders sollte sonst mit ihm reden?
Wenn das Licht erlosch, konnte er auf jeden Fall auf allen Vieren die Treppe hochkriechen. Er musste einfach weitergehen.
Die Treppe war schmal, führte sehr gerade hinunter und hörte und hörte nicht auf.
Wie lange war er nun schon gegangen? Ging er überhaupt selbst, oder was bewegte seine Beine? Ein Zischen zeigte ihm an, dass seine Fackel verglomm. Was nun?
Einen kurzen Augenblick war alles um ihn herum finster, dann aber umgab ihn ein warmes, sanftes, gelbes Licht. Jegliche Anspannung fiel von ihm ab. Er fühlte sich geborgen.
„Komm schon her zu mir, wie lange soll ich dich bitten?“, hörte er eine Stimme sagen. Er blickte auf und nicht weit von ihm saß eine Frau. Das sanfte, gelbe Licht floss auf sie zu, umhüllte sie und strömte zu ihm zurück.
Beim genaueren Anschauen war er sich nicht sicher, ob es eine Frau war. Wo hörte ihre Gestalt auf, wo fing sie an? „So etwas habe ich noch nie gesehen!“ Ihre Form war unglaublich ausladend. Er wusste nur, dass er sich von diesem Wesen angezogen fühlte. Er beschloss zu glauben, dass es eine Frau war.
Nichts konnte ihn aufhalten, sich in ihre Arme zu werfen. Er versank in Weichheit, Wärme und fühlte sich einfach wohl.
„Wie schön, dass du zu uns gefunden hast, Max!“
Sie kannte seinen Namen? Er rappelte sich aus der weichen Umarmung heraus, schüttelte seinen braunen Lockenkopf und schaute sein Gegenüber mit groß aufgerissenen braunen Augen verblüfft an.
„Wieso weißt du, wer ich bin, und wieso habe ich keine Ahnung, wer du bist?“
„Du befindest dich im Vorzimmer der Großen Erdmutter, und ich bin ihre Empfangsdame, Kundschafterin, kurz: Mädchen für alles. Mein Name ist Merkuriamam.“
„Aber wieso kennst du mich, wo du so tief in der Erde lebst? Verlässt du diesen Ort denn öfter?“
„Ganz schön viele Fragen auf einmal. Bleibe bitte ganz still, dann wirst du auch Nachrichten aus deiner Welt empfangen.“
Max lehnte sich zurück. Wie gut das tat! Er war wunschlos glücklich. Hier wollte er bleiben.
Ob er eingeschlafen war oder träumte, wusste er nicht. Bilder umschwirrten ihn plötzlich, Bilder von vielen Kindern. Alle hatten unterschiedliche Hautfarben, waren sehr jung, aber auch schon älter, und schienen in vielen verschiedenen Ländern zu leben.
Ein Kind lag auf einem Stück Pappe und schien zu schlafen. Fliegen setzten sich auf sein Gesicht.
Ein Junge rannte keuchend mit einem großen Bündel hinter einem schwer bepackten Esel her. Andere saßen bettelnd auf der Straße.
Ein Kind saß völlig verschmutzt allein in einer Wohnung und wiegte sich hin und her. Ein Mädchen lag bis auf die Knochen abgemagert in seinem Bett. Es regte sich nicht.
Jungen tobten auf der Straße, rempelten andere Leute an. Ein Junge riss einer Frau die Handtasche weg. Auf einem Hinterhof prügelten einige Kinder auf einen Jungen ein.
Dann tauchte ein Gesicht von einem Mädchen mit langen blonden Haaren und nachdenklichen braunen Augen auf. Es kam ihm bekannt vor.
Dieses Mädchen war nicht ärmlich, sondern modisch und schick gekleidet. Glücklich sah es aber auch nicht aus. Dabei wohnte es sogar in einem supertollen Haus. Eine ältere Dame brachte ihm Essen und fuhr es dann mit dem Auto zum Geigenunterricht. Danach saß es in einem Sprachkurs und schließlich wieder zu Hause. Es lag schon im Bett, als die Tür aufging und es einen Gutenachtkuss von seinen Eltern bekam, die gerade nach Hause zurückkehrten.
Nun fiel ihm ein, wer dieses Mädchen war. Es war eine Mitschülerin von ihm, Marie-Sophie Banner. So eine eingebildete Pute, mit der hatte er bisher kaum ein Wort gewechselt.
Und dann sah er sich.
Sah, wie er frühmorgens das Haus verließ, sah sich am See in seiner Stockhütte schlafen, sah sich auf dem Fabrikgelände, hatte Hunger und wachte auf.
Er lag auf dem Boden. Um ihn herum war es dunkel und kalt.
Zögernd richtete er sich auf und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Wo war diese seltsame Frau geblieben? Hatte er sie sich nur eingebildet? Wo waren die Bilder, die er gesehen hatte? Warum war er wieder allein, wo er sich doch in der Gesellschaft von Merkuriamam so wohl gefühlt und gar nicht mehr fortgewollt hatte? Was hatte das alles zu bedeuten?
Tastend fuhren seine Hände über den Boden, sie stießen gegen einen runden Stein. Er fühlte sich sehr glatt an. Ohne nachzudenken steckte er ihn in seine Hosentasche. Langsam konnte er Umrisse erkennen und erblickte nicht weit von sich entfernt Treppenstufen. Er kroch darauf zu und bewegte sich aufwärts. Auf allen Vieren kroch er höher und höher. Endlos erschien ihm sein Aufstieg.
Als schließlich Licht die Treppe erhellte, fühlte er sich erleichtert, richtete sich auf und kam zurück ins Tageslicht.
Es regnete. Scharf zeichneten sich die Umrisse der Gebäude ab. Er trat einen Schritt von der Treppe weg und schaute sich prüfend um.
Ja doch, es war alles so, wie er es schon viele Male gesehen hatte. Zum Schluss drehte er sich noch einmal nachdenklich zur Treppe um. Sie war verschwunden. Das Eisenblech schaute kaum unter den Grassoden hervor, als hätte er nie den Versuch unternommen, es zu heben. War er wirklich hinabgestiegen und wieder hochgestiegen? Doch, es musste wahr sein!
Der Regen wurde stärker. Wohin sollte er gehen?
Als er seinen Hunger spürte, entschloss er sich, nach Hause zu fahren. Auch wenn niemand da sein sollte, würde er schon irgendetwas Essbares finden. Er schaute noch in seinen Jackentaschen nach, aber alles, was sich dort befunden hatte, hatte er schon aufgegessen.
Sein Fahrrad entdeckte er dort im Gebüsch, wo er es abgestellt hatte. Etwas lahm schwang er sich auf den Sattel, und radelte so schnell er konnte zur Wohnung der Mutter.
Es war niemand zu Hause, aber im Kühlschrank fand er Wurst, Käse und Joghurt. Kauend ging er in sein Zimmer und schaltete den Fernseher an.
Marie Sophie fehlt es eigentlich an nichts
„So, Marie-Sophie, ich gehe jetzt! Essen steht für dich bereit! Hab noch einen schönen Abend und geh nicht zu spät ins Bett! Bis morgen!“
Um 19.30 Uhr hatte sich Frau Sager von ihr verabschiedet, hatte ihr noch einige Schnitten hingestellt und war gegangen. Frau Sager war eine ältere Dame, die immer einsprang, wenn die Eltern zu lange in ihrer Anwaltskanzlei bleiben mussten, und die sie auch tagsüber betreute. Sie kochte das Mittagessen für sie und fuhr sie mit dem Auto überall dorthin, wohin sie zu Fuß nicht gelangen konnte. Sie betreute sie zuverlässig und erledigte leichte Hausarbeiten. Die Eltern, Herr und Frau Banner, waren sehr froh, eine so gute Betreuung für ihre Tochter gefunden zu haben. Ja, eigentlich fehlte es Marie-Sophie an nichts. Ihre Wünsche wurden sofort erfüllt. Sie besaß Unmengen von Büchern, Spielzeug und Kleidung.
Nachdem Frau Sager das Haus verlassen hatte, stellte Marie-Sophie sich an das große Fenster im Wohnzimmer und schaute hinaus in den Garten. Es war noch hell draußen. Die letzten Sonnenstrahlen fielen auf den Rasen und tauchten ihn in ein warmes Gelb. Eifrig sausten Vögel umher und zwitscherten um die Wette. Sie traute sich jedoch nicht, die Terrassentür zu öffnen, aus Furcht davor, dass jemand ins Haus eindringen könnte.
So schaute sie eine Weile einfach hinaus. „Was mache ich jetzt?“Als es ihr zu langweilig wurde und sie das Verlangen spürte, sich zu bewegen, legte sie eine CD auf und begann danach zu tanzen. Sie liebte Musik und tanzte einfach gern. Zunächst stand sie mit beiden Füßen fest auf dem Boden und bewegte den Körper leicht schwingend hin und her, dann kreiste sie mit den Armen zum Rhythmus der Musik und schwebte leichtfüßig durch das ganze Zimmer. Schneller und schneller stampfte sie mit den Füßen, warf den Kopf mit den langen Haaren in den Nacken und ließ sich zum Schluss zusammenfallen.
Summend