Die Zukunft des Tötens. Armin Kratzert

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Название Die Zukunft des Tötens
Автор произведения Armin Kratzert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966390446



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weil er sonst irgendwem mit seinem Revolver eine Kugel in den Schädel knallen würde, und dabei hüpfte er wie ein Verrückter vor mir auf und ab, hielt dieses unheimliche, chromglänzende Eisen mit beiden Händen, fuchtelte damit herum, zielte auf mich oder Maria oder wen auch immer, bis es plötzlich krachte und Jeremia rückwärts ins Wasser flog und Vincent ein Loch im Bein hatte und fürchterlich zu schreien begann: Sagt Susie.

      Es war dieses lustige Schweizer Mädchen mit grünen Augen und großen Brüsten, das Jeremia schon den ganzen Nachmittag ziemlich unverhohlen angestarrt hatte, ohne dass sie ihn wahrnahm oder mit ihm sprechen wollte, und ich glaube, dass seine lächerliche Forderung, wir sollten uns alle ausziehen und in dem eiskalten, trüben Wasser mit ihm schwimmen gehen, nur von der Hoffnung rührte, dieses Schweizer Mädchen würde dann neben ihm im See landen, nackt und bloß und glitschig wie ein Fisch, und wahrscheinlich hatte sich Jeremia die ganze Zeit ausgemalt, wie die Wellen sich über ihren hellen Arschbacken kräuselten, wie sie prusten und kichern würde, wenn er tauchte und plötzlich neben ihr wieder aus der Tiefe schoss, wie sich ihr Körper anfühlte, so nass und warm, und wie sie ihn anschaute aus ihren großen, dunklen Augen, wie ihr Mund sich öffnete; dass sie ihn aber gänzlich ignorierte und auch überhaupt niemand mit Jeremia baden gehen wollte, muss ihn ganz außerordentlich empört haben, jedenfalls wollte er dann auch mit mir nicht mehr über das Projekt in Marokko reden, an dem wir nun seit zwei Monaten arbeiteten, er raunzte mich nur noch an und trank aus seiner Flasche und schnaufte und wankte, hielt sich an meiner Schulter fest, rutschte mit diesen altmodischen Schnürschuhen über das glatte Eichendeck, klammerte sich an irgendein Stück der Reling und sackte schließlich müde keuchend auf ein Polster, nahm meine Hand, flüsterte von der Schönheit des Sees und der Bedeutung, die dieser Nachmittag für sein Leben habe, ehe er aus einem alten Stoffbeutel den Revolver zog und damit wie ein tanzender Derwisch zwischen die Leute sprang: Sagt Vincent.

      Es gab Brote und Sekt und großartigen Schokoladenkuchen auf dem Schiff, der Kapitän war ein sehr charmanter Herr, tadellos angezogen, graues Haar, Schnurrbart, sonore Stimme, der uns viel über die Orte am Ufer und die Berge dahinter und die Vögel des Sees erzählen konnte, Vincent hatte die ganze Feier wirklich mit viel Liebe vorbereitet und in Lindau Hotelzimmer für alle besorgt, die abends nicht mehr zurückfahren wollten, wir hatten ja auch Glück mit dem Wetter, für Anfang Juni war es schon fast zu heiß, obwohl man natürlich noch nicht ins Wasser konnte; ich hatte mich lange auf das Fest gefreut und diesen teuren Blazer gekauft und für Vincent zum Geburtstag den ganzen frühen Dylan, er wusste so viel über Dylan und seine Texte, und natürlich hatte ich auch dieses Parfum benutzt, auf das er so scharf war, Vincent beschwerte sich immer, wenn ich es vergessen hatte, er war ganz wild darauf und schnüffelte noch im Bad am Handtuch, wenn ich weg war, und als wir auf dem Boot standen und diese Musik kam und der Diesel startete, die Korken knallten, wir alle Vincent umarmten und ihn beglückwünschten und Happy Birthday sangen, da stand ich zwischen den Leuten und war glücklich wie nie: Sagt Maria.

      Ich weiß wirklich nicht, was das Gerede soll, es war ja schon ein Fehler, überhaupt auf diesen Kahn zu steigen, eine Geburtstagsparty auf einem Boot, das hieß ja, pünktlich da sein und bleiben bis zum Schluss, niemand konnte aussteigen, und Vincent hatte nicht einmal für einen Kühlschrank gesorgt, es gab kein Bier und der Weißwein war süß und warm, nach einer Stunde standen alle genervt rum und glotzten aufs Wasser und die blöde Landschaft, nur Maria himmelte Vincent an, der hinter dieser scharfen Schweizerin her war, die aus Luzern kam und Mikrobiologie studierte, ich versuchte den Kapitän zu überreden, wenigstens irgendwo anzulegen oder zu der Strandbar im Süden zu fahren, was der aber nicht wollte, weil er überall 200 Meter Abstand zum Ufer halten musste, angeblich aus Naturschutzgründen, also stritt ich ein bisschen mit Vincent, aß zu viel Torte und trank diesen Weißwein, bis mir übel wurde, ich wollte mich dann gern etwas abkühlen, aber das ging natürlich nicht, weil der Dampfer nicht anhielt, ich erzählte dem Mädchen aus Luzern also eine Geschichte über Maria, die schon seit Monaten glaubte, Vincents Freundin zu sein, während der darüber nur lachte und alle paar Wochen in einem anderen Bett verschwand, aber die Schweizer verstehen ja kein Deutsch, das Mädchen jedenfalls, Susie hieß sie, sah mich irgendwie ziemlich seltsam an, und ich hörte auf zu reden und trank noch einen Schluck Wein aus dieser hellen Flasche, dann ging ich wieder zu Vincent, weil der schließlich Geburtstag hatte und ganz allein im Heck unter einer schiefen Fahnenstange saß, er hatte schlechte Laune und fing wieder von dem Projekt in Marokko an, mit dem ich schon lange nichts mehr zu tun haben wollte, weil es nur Geld verschlang und einigermaßen gefährlich war und niemand garantieren konnte, dass dieser Deal mit den Arabern gutgehen würde, und als ich ihm das noch einmal sagte und ihm klarmachte, dass ich nicht mehr dabei sei, da zog er plötzlich eine Pistole aus der Tasche unter dem Sitz, brüllte mich an und zielte mir direkt zwischen die Augen: Sagt Jeremia.

      Vincent lag also plötzlich auf den Planken und blutete und zuckte, das Boot drehte bei, Jeremia kletterte triefend aus dem Wasser, der Kapitän schnatterte in sein Funkgerät und verlangte einen Rettungshubschrauber, während wir Vincents Wunde irgendwie verbanden und ihm einen Becher Schnaps einflößten, dabei schauten alle Jeremia an, der tropfnass da stand und uns mit wilden Blicken beschoss, niemand aber wagte es, etwas zu ihm zu sagen oder ihn etwa anzufassen, auch wenn er keinen Revolver mehr in der Hand hielt, und Jeremia schrie uns an, ob wir es gesehen hätten, ob wir Vincents Waffe gesehen hätten, seinen verdammten Revolver, und warum wir nichts unternommen hätten; es war vollkommen irre, die Sonne brannte herab, das Schiff trieb mit gestoppten Maschinen auf dem See, das Holzdeck knarzte, es stank nach ranziger Butter und verschüttetem Wein, im Hafen von Bregenz lief die Fähre aus und ich sah auf einmal, wie Jeremia zitterte, er war totenblass, seine Augen stachen schwarz aus ihren Höhlen und seine Finger krampften sich um die Reling, er gab ein ganz jämmerliches Bild ab, Angst stand in seinem Gesicht, schüttelte seinen schmalen Körper, er sackte zusammen, hockte auf dem Boden und fragte uns ganz leise, wer da geschossen habe: Sagt Susie.

      Es war ein scharfer Schlag auf meinen Schenkel, wie mit einer Holzlatte, ich konnte es gar nicht glauben, als ich das fransige Loch in der Hose sah, aus dem langsam Blut sickerte, aber der Schmerz war gar nicht schlimm, die Kugel hatte wohl den Muskel glatt durchschlagen, ich fühlte nur ein starkes Pochen im Bein und fragte mich, ob so ein Projektil wirklich noch aus Blei war und ob Reste davon in meinem Fleisch steckten und mich vergiften würden, und dann wollte ich ausprobieren, ob ich noch gehen konnte, stellte den Fuß auf den Boden, und das fühlte sich ganz leer und taub und schwammig an, dann kippte ich einfach um und lag da und dachte an trockenen, pulvrigen Schnee, eiskalte Kristalle, die unter meinem Körper knirschten, ich spürte die blaue Luft kalt auf der Haut, schloss die Augen, das vergangene Jahr sauste wie ein rasender Film durch meinen Kopf, der Urlaub mit Maria, die Arbeit mit Jeremia, der ganze Ärger mit meiner Mutter nach dem Umzug, das Konzert in Frankfurt, das ich mit Peter gespielt hatte und dieses wunderbare Gulasch, das wir danach gegessen hatten, ich spürte wieder Christines Hand in meinem Nacken, wie damals, als wir die ganze Nacht in der Bar gesessen und Wodka mit Zitrone getrunken hatten, ich höre noch das gedämpfte Klimpern der Eiswürfel und dieses Knacksen, wenn sie antauen und zerplatzen, das Glas hatte einen besonders massiven Boden, an dem immer die kleine, feuchte Papierserviette hängen blieb, auf die der Kellner unsere Drinks gestellt hatte, in einer Schale hatte es Nüsse und winzige Brezeln gegeben, die mit riesigen Salzkörnern bestreut waren, von denen die meisten schon fehlten, so dass dort, wo sie vorher geklebt haben, helle, runde Vertiefungen zu sehen waren, sicher schmeckte an diesen Stellen das Gebäck weniger knusprig, dachte ich, als mir plötzlich jemand ins Gesicht schlug und mich rüttelte und anschrie und ich die Augen wieder aufschlug und immer noch auf dem Boot lag in meinem Blut: Sagt Vincent.

      Ich wusste, dass er mich betrog, schon seit mindestens zwei Monaten wusste ich es, seit er mit Christine in Berlin gewesen war, wusste ich es, und auch von den anderen Geschichten hatte ich gehört, selbst wenn ich nicht alles glaubte, denn Vincent war zwar dem Leben zugewandt, er sah gut aus, zog sich ziemlich extravagant an, er konnte erzählen und lachen und eine ganze Party retten, wenn es darauf ankam, und so mochten die Leute ihn und die Frauen sowieso, aber im Grunde war er zuverlässig und ordentlich und bescheiden, wir hatten uns ganz gut arrangiert im Lauf der Zeit, respektierten uns und ließen dem anderen genug Raum, ich konnte mich selbst entfalten und hatte meine Freiheiten, war viel unterwegs, und natürlich liebte ich Vincent, ich liebte ihn sehr, so lange schon, und ja, ich konnte mir auch vorstellen, Kinder