Название | Kommunikationswissenschaft |
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Автор произведения | Roland Burkart |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846357132 |
Die Entwicklung geht jedenfalls weiter und – das wusste schon Karl Popper – die Zukunft ist offen.
Zweites Fazit: Das Netz ergänzt die Massenkommunikation – aber es ersetzt sie nicht
Es lässt sich also resümieren: Massenkommunikation „beschreibt nur noch einen Teil der medial vermittelten, öffentlichen Kommunikation“ (Neuberger 2017: 564). Das Internet und die damit verbundenen kommunikationstechnischen Innovationen haben zusätzliche attraktive Möglichkeiten für öffentliche Kommunikation hervorgebracht. Das Social Web hat zu neuen digitalen Öffentlichkeiten geführt, aber der klassische Massenkommunikationsprozess ist bislang nicht ersetzt worden – im Gegenteil: Alle einschlägigen Todesanzeigen waren schlicht Fehlanzeigen.
Warum ist das so? Bleibt die moderne, digitalisiert-vernetzte Gesellschaft möglicherweise doch auf die etablierten massenmedialen Strukturen angewiesen?
Aus analytischer Perspektive ist diese Frage mit einem klaren JA zu beantworten. Im virtuellen Raum zerfällt das traditionelle Publikum (der Massenmedien) nämlich „in eine riesige Anzahl von zersplitterten, durch Spezialinteressen zusammengehaltenen Zufallsgruppen“ (Habermas 2008: 162). Was dort bislang fehlt, das sind „die funktionalen Äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen, die die dezentralisierten Botschaften wieder auffangen, selegieren und in redigierter Form synthetisieren“ (ebd.).
Genau dies leisten die traditionellen, publizistischen Massenmedien, „sie bilden quasi den institutionellen Kern“ (Wimmer 2007: 43) der modernen Öffentlichkeit. Ihr zentraler Stellenwert ergibt sich zuallererst daraus, dass sie als Institutionen in der modernen Gesellschaft auf Dauer etabliert sind. Dadurch werden sie „sowohl von den an der Vermittlung von Themen interessierten gesellschaftlichen Akteuren wie von den Rezipienten als eine Einheit wahrgenommen. Erst die Kopplung zwischen einer Mitteilung und einer Medienorganisation und deren Publikation verleiht dieser Mitteilung gesamtgesellschaftliche Relevanz“ (Jarren 2008: 334) und auch eine entsprechende hohe Glaubwürdigkeit – dies gilt in erster Linie für Leitmedien37 wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie für ausgewählte Printmedien aus dem Segment der Qualitätspresse (Breunig/Eimeren 2015, Gleich 2017, Schultz/Jackob/Ziegele/Quiring/Schemer 2017). Und dies gilt außerdem sowohl für deren jeweilige Offline- bzw. Druckversion als auch ihren Online-Auftritt (Puchleitner 2017).
Der Fragmentierungsthese von Habermas, mit der er das Fehlen der „funktionalen Äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen“ (Habermas 2008: 162) im Internet beklagt, ist daher wenigstens zum Teil zu widersprechen (vgl. dazu näher auch Neuberger 2009a: 19 ff.): Längst sind dort ja ohnehin die traditionellen, publizistischen Massenmedien zuhauf mit ihren jeweiligen Online-Auftritten präsent und es ist nicht auszuschließen, dass sich in Zukunft weitere online-basierte publizistische (Massen-)Medien herausbilden werden.
Wenngleich soziale Medien kontinuierlich relevanter werden. Das machen Daten am Beispiel des Nachrichtenkonsums erkennbar. So zeigt eine Spezial-Auswertung des Reuters Digital News Reports (2020) für Österreich38, dass ältere Befragte beim Konsum von Nachrichten eher auf traditionelle Nachrichtenquellen zurückgreifen, während jüngere Menschen vermehrt soziale Medien als Hauptnachrichtenquelle angeben (18- bis 24-Jährige zu 68,5 % und 25- bis 34-Jährige zu 63,2 %). Soziale Medien sind bekanntlich Plattformen, die (in der Regel) zu anderen (publizistischen) Medien verlinken. Ältere Daten aus der österreichischen Twitter-Szene (Maireder 2012) zeigen, dass bis zu 74 % aller Links aus Tweets zu redaktionellen Inhalten der traditionellen publizistischen Medien führen, häufig finden sich auch Links zu Presseaussendungen der nationalen Nachrichtenagentur/APA39 (ebd.). Der (mittlerweile legendäre) Ausspruch eines US-amerikanischen College-Studenten „If the news is that important, it will find me“ (Stelter 2008/03/27) trifft somit den Informations-Nerv der Internet-Generation – wenngleich mit nicht ganz unproblematischen Folgen, was die demokratisch wünschenswerte politische Informiertheit betrifft (ausführlich dazu: Gil de Zúñiga/Weeks/Ardèvol-Abreu 2017).
In diesem Zusammenhang ist das Phänomen News-Avoidance erwähnenswert: Als News-Avoider gelten Menschen, die willentlich die Rezeption von Nachrichtenangeboten verweigern. Erstmals typisiert wurde diese Gruppe im Reuters Digital News Report (Newman 2017). Der Anteil an Mediennutzer·innen, die News-Avoidance betreiben, ist am höchsten in den USA (41 %), gefolgt von Italien, UK, Frankreich und Spanien, Österreich liegt (mit 30 %) im oberen Mittelfeld, den niedrigsten Anteil haben Däenemark (15 %), Finnland (17 %) und Norwegen (21 %).40 Als eine der Ursachen gilt die Abnahme der sogenannten „duty to keep informed“-Einstellung (McCombs/Poindexter 1983; zit. nach Jandura 2020: 51) – vermutlich auch deshalb, weil sich (wie soeben erwähnt) infolge der digitalisierungsbedingten Vervielfältigung des medialen Angebots viele Menschen sicher zu sein scheinen, dass eine wichtige Nachricht schon irgendwie zu ihnen gelangen würde. Und sie gelangt tatsächlich immer häufiger über Soziale Medien zu ihnen – speziell wenn es sich um die jüngere Bevölkerungsgruppe handelt (Grossegger 2020). Die Diskussion darüber, inwiefern Personen, die sich im Zustand einer unterdurchschnittlichen Versorgung durch den Informationsjournalismus – also in einer Art News Deprivation – befinden, eine Bedrohung für unsere digitalisierten Gesellschaften sind, insbesondere für die demokratisch organisierten, wird in Zukunft sicher noch intensiv zu führen sein.
Eng damit verbunden scheint eine in den letzten Jahren wachsende Intensität negativer Einstellungen gegenüber klassischen journalistischen Medienangeboten zu sein. Diese neue Medienfeindlichkeit (Schindler/Fortkord/Posthumus et al. 2018) besteht im Wesentlichen in der „Vorstellung eines unmoralischen, gleichgeschalteten und manipulativen Mediensystems“ (ebd.: 296). Ein Zusammenhang mit populistischen Einstellungen (der Idee eines „guten“ Volkes und einer „bösen“ Elite) sowie mit der selektiven Nutzung alternativer Medien im Netz lässt sich nachweisen. Die Mainstream-Medien werden als Lügenpresse verunglimpft, die Fake News verbreiten.41
Im internationalen Vergleich zeigt sich überdies, dass man am Netz, insbesondere an den sozialen Medien zwar die nachrichtenbezogene Quellenvielfalt sehr schätzt; allerdings realisieren die Nutzer·innen zugleich auch die Gefahr, „wichtige Informationen oder gegenteilige Meinungen zu verpassen“ (Hölig/Hasebrink 2016: 547). Kurzum: Soziale Netzwerke stellen für die meisten Internetnutzer·innen lediglich „eine von mehreren Nachrichtenquellen“ (ebd.) dar. Man darf also nicht übersehen, dass „sich der größte Teil der Bevölkerung weiterhin im Wesentlichen aus journalistischen Angeboten informiert“ (ebd.) und dass gerade die jüngeren Zielgruppen die Inhalte der klassischen Medien immer häufiger online aufsuchen (Puffer 2016).42 Auch neuere Daten deuten in diese Richtung: Vor allem für den Nachrichtenkonsum wird für den Bevölkerungsdurchschnitt immer noch eine deutliche Nutzung der Angebote etablierter Medienmarken erkennbar (ARD/ZDF 202043, Hölig/Hasebrink/Behre 2020).
Der zentrale Stellenwert der traditionellen, publizistischen Massenmedien hängt aber v. a. auch damit zusammen, dass sie sich von anderen Organisationen, die ebenfalls Themen für die öffentliche Kommunikation bereitstellen (wie politische Akteure, Kulturorganisationen, Unternehmen oder auch Corporate-Publishing-Produkte) elementar unterscheiden: Sie können sich „glaubwürdig als Intermediäre ausflaggen“, weil sie „eine gesellschaftlich vermittelnde Funktion wahrnehmen“ (Jarren 2009: 3). Gerade als Intermediäre erbringen publizistische Medien elementare Vermittlungsleistungen zwischen Staat und Gesellschaft44: „sie bieten sich als Organisationen für das Zeitgespräch an, sie organisieren und moderieren Foren und sie laden zum Dialog ein“ (ebd.). Publizistische Medien, die so agieren, kann man daher als „intersystemische Organisationen“ (Jarren 2008: 342) begreifen, weil sie „eine hochgradig institutionalisierte Vermittlungsrolle für alle Akteure der Gesellschaft“ (ebd.) übernehmen.
Damit