Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Название Kommunikationswissenschaft
Автор произведения Roland Burkart
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846357132



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bzw. das World Wide Web zunächst als technische Infrastruktur, für die spätestens seit der Jahrtausendwende die Existenz sogenannter Plattformen kennzeichnend ist. Unter Plattformen kann man im rein technischen Sinn „algorithmisch gesteuerte Digital-Infrastrukturen“ (Eisenegger 2021: 20) verstehen, über die Datenübertragung, private sowie öffentliche Kommunikation ermöglicht wird, Märkte organisiert, Dienstleistungen angeboten und digitale wie nichtdigitale Produkte vertrieben werden. Digitale Tech-Plattformen wie Google, Facebook, YouTube, Twitter oder WhatsApp etc. sind in Wahrheit allerdings mehr als die für uns alle sichtbaren Websites. Ihr eigentlicher Kern unter dieser Oberfläche ist eine „Algorithmen-gesteuerte Hinterbühnen-Datenarbeit“ (ebd.: 21) mit der sie ihre Geschäftsziele verfolgen.

      Dabei darf nicht übersehen werden: Plattformen (insbesondere Social Media-Plattformen) sind regelrechte Drehscheiben für Inhalte aller Art, aber sie produzieren im Gegensatz zu den traditionellen (redaktionellen) Medien keine eigenen publizistischen Inhalte. Sie bündeln und verbreiten zwar auch journalistische Produkte von professionellen publizistischen Medien, aber neben diesen erscheinen auch Inhalte von Unternehmen, Non-Profit-Organisationen, politischen Akteuren und Mitteilungen aus dem Freundeskreis. Also kommerzielle, journalistische, politische (PR) und private Kommunikation kann nebeneinander stattfinden – sie erscheint sozusagen über denselben virtuellen (meistens mobilen) Zugang: auf dem Smartphone, Tablet oder PC.

      Plattformisierung meint den Umstand, dass global agierende Firmen mit ihren digitalen Tech-Plattformen immer stärker in unseren gesellschaftlichen Alltag eindringen (Helmond 2015, Nieborg/Helmond 2019) und sich als Institutionen etablieren (Jarren 2019, Puppis 2020). Auf welche Art und Weise und mit welchen Konsequenzen sie die öffentliche aber auch die private Kommunikation beeinflussen, ist eine kommunikationswissenschaftlich relevante Frage. Was die kommerziellen Interessen im Internet betrifft, haben wir es mit einer handverlesenen Zahl international tätiger Konzerne (mit Hauptsitz in den USA) zu tun (Dolata 2015): Das sind einerseits die beiden Werbe- und Marketingunternehmen Google und Facebook sowie der Handelskonzern Amazon und andererseits der Computer- und Unterhaltungselektronikhersteller Apple sowie der Softwarekonzern Microsoft.33

      Aus der Perspektive eines dritten bzw. digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit repräsentieren diese Konzerne mit ihren Plattformen gewissermaßen die Leitmedien neuen Stils. Ihre Macht und ihr Einfluss basieren nicht nur auf ihrer Marktdominanz, sondern „auch auf ihrer Fähigkeit, mit ihren zahlreichen und aufeinander abgestimmten Angeboten die Rahmenbedingungen wesentlicher sozialer Zusammenhänge im Online-Kontext – Konsumwelten, Informations- und Kommunikationsmuster, soziale Beziehungsnetzwerke – maßgeblich zu gestalten und zu prägen“ (Dolata ebd.: 525).

      Die jeweils entwickelten Geräte, die Software, die Apps, die Such-, Konsum- oder die Beziehungsplattformen sind nämlich mehr als bloß ein technisches Angebot, das wir nach Lust und Laune verändern können – im Gegenteil: In die Technik sind immer auch „Regeln, Normen und Handlungsanleitungen eingebaut, die auf die Aktivitäten ihrer Nutzer wie soziale Institutionen wirken und die deren Handeln im Netz sowohl ermöglichen als auch mitstrukturieren“ (ebd.).

      Wohl zu Recht kann man von einer neuen Plattform-Öffentlichkeit (Eisenegger 2021: 28 ff.) sprechen, mit der neue Qualitäten der Öffentlichkeit sowie der Informationsvermittlung entstehen.

      •Das beginnt schon bei der Metapher der Arena (auch: Forum), die ja auf separate Schauplätze (parlamentarische, administrative, öffentliche) für den politischen Prozess verweist, zwischen denen in der Offline-Ära relativ klare Grenzen gezogen werden konnten. Die Präsenz von Social Media-Plattformen im Web samt ihren Funktionalitäten zur Vernetzung von Akteuren scheint diese Grenzziehungen, wenn schon nicht obsolet, so doch aufgeweicht zu haben (Donges/Jarren 2017: 88 f.). Die noch aus der Offline-Ära stammende (idealtypische) Vorstellung von Öffentlichkeit als einem „Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen“ (Habermas 1992: 436, 2008: 164 f.) könnte damit – rein theoretisch gedacht – sogar einen strukturellen Annäherungsschub erfahren.

      •Das gilt erst recht für die Differenzierung der Öffentlichkeitsebenen (Encounter-, Themen- und Medienöffentlichkeit), wobei man durchaus hinterfragen kann, ob das Denken in Ebenen dann noch angemessen ist (Friemel/Neuberger 2021: 88 ff.). Die Möglichkeit, dass Unbekannte einander spontan im digitalen Raum treffen und – gleichsam auf der ehemaligen Encounter-Ebene – miteinander kommunizieren, ist heute keine Ausnahme mehr. Interaktions- und Vernetzungschancen sind technisch gleichsam auf Knopfdruck vorhanden, der Zugang zur Öffentlichkeit ist einfacher geworden (Neuberger 2018).

      •Weitere Konsequenzen könnten sein, dass in der Plattformöffentlichkeit sowohl die Zahl als auch die Bedeutung themenzentrierter Öffentlichkeiten zunimmt und dass überdies die Medienöffentlichkeit nicht mehr nur von (klassischen) publizistischen Medien bevölkert wird, sondern auch von Alternativmedien, die sich die jeweils plattformspezifischen infrastrukturellen Möglichkeiten zunutze machen34.

      •Dank dieser Basis-Infrastruktur, die auf den Tech-Plattformen zur Verfügung steht, erfordert die massenmediale Kommunikator·innenrolle nicht mehr zwingend eine Rückbindung an journalistische Organisationen. Wirtschaftliche, politische oder zivilgesellschaftliche Akteure sind zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen daher nicht mehr auf das Gatekeeping professioneller Informationsmedien angewiesen, sondern können sich über plattformspezifische PR- und Corporate Publishing-Aktivitäten direkt an ihre Zielgruppen wenden. All dies schwächt freilich die (traditionelle) Gatekeeper-Rolle des Journalismus, gefährdet seine Artikulations-, aber auch seine Integrationsfunktion (vgl. dazu Kap. 7.9) und vereinfacht die öffentliche „Verbreitung umstrittener, schädlicher oder gar illegaler Inhalte“ (Puppis 2020: 203).

      •Daraus entstehen neue Anforderungen an die Rezipient·innenrolle: Auf den Plattformen vermischen sich – wie bereits erwähnt – journalistische und kommerzielle sowie professionell und nicht professionell erstellte Inhalte. Konkret heißt das: Die Nutzer·innen begegnen den veröffentlichten Nachrichten nicht mehr wie bisher „in abgrenzbaren Paketen spezifischer Medienmarken. Vielmehr werden sie in wachsendem Ausmaß mit einem Strom aus Inhalten und Inhaltsfragmenten konfrontiert, der in mehrfacher Hinsicht personalisiert ist“ (Eisenegger 2021: 33). Zum einen, weil die Nutzer·innen selbst die Quellen ihres persönlichen Nachrichtenstroms bestimmen können (indem sie z. B. Personen als Freund·innen kennzeichnen, Seiten liken, Kanäle abonnieren, Twitter-Accounts folgen) und zum anderen, kraft der algorithmisch gesteuerten Personalisierung (Poell/Nieborg/van Dijck 2019). Das wird v. a. dann problematisch, wenn es sich dabei um Desinformation handelt35.

      Tatsächlich weist der Reuters Digital News Report (Gadringer/Holzinger/Sparviero/ Trappel/Gómez Neumann 2020) auf die steigende Relevanz sozialer Medien für die News-Rezeption hin: So nennen in Österreich 11,3 % der (repräsentativ) Befragten Personen soziale Medien als ihre Hauptnachrichtenquelle; in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen sind es bereits 36 % die sich hier zuordnen. Ob und inwieweit man dabei dennoch auch in Zukunft – wie weiter oben erwähnt – die Nachrichtenquelle beachtet oder sogar gezielt ausgewählte Medienmarken im Netz aufruft (Hölig/Hasebrink/ Behre 2020), lässt sich aktuell nicht vohersagen.

      •Insgesamt mutiert die Plattform-Öffentlichkei zu einer semiprivaten bzw. semiöffentlichen Sphäre (Klinger 2018), die Microtargeting ermöglicht. Dabei handelt es sich um ein extrem passgenaues personalisiertes Ansprechen von Zielgruppen, das insbesondere in der Wahlwerbung nicht unumstritten ist (Gorton 2016). Im Kontext des US-Präsidentschaftswahlkampfs (2015/16) von Donald Trump ist Microtargeting durch den Cambridge Analytica-Datenskandal36 in die Schlagzeilen geraten und damit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist (Wylie 2019). Speziell für Wahlauseinandersetzungen resultiert daraus eine demokratiepolitisch hochbrisante Problematik: Wenn stark individualisierte Botschaften für kleinteilig ausdefinierte Zielgruppen generiert und nur an diese ausgespielt werden, dann ist die Chance einer breiten öffentlichen Wahrnehmung dieser Inhalte gleichsam verunmöglicht und die watchdog-Funktion einer kritischen Öffentlichkeit bzw. eines kritischen Journalismus ist blockiert.

      Ein Zwischen-Fazit zum stattfindenden digitalen