Название | Staatsrecht III |
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Автор произведения | Hans-Georg Dederer |
Жанр | Языкознание |
Серия | Schwerpunkte Pflichtfach |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811492813 |
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Lösung Fall 3 (Rn 71):
Die Beurteilung der Richtigkeit der Ansicht der W hängt von der Theorie ab, die man zum Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht vertritt. Folgende zwei Lösungen sind denkbar:
1. Völkerrechtliche Lösung:
Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, für welche Theorie man sich entscheidet. Nach den beiden – heute fast ausschließlich vertretenen – Theorien des gemäßigten Monismus und des gemäßigten Dualismus ist die Antwort aber im Ergebnis gleichlautend. Das dem Unionsrecht laut Sachverhalt widersprechende nationale Recht, nämlich Art. 12 und Art. 14 GG, geht zunächst vor. Die Verordnung ist daher innerstaatlich nichtig oder zumindest unanwendbar. Nach beiden Theorien ist aber die Bundesrepublik verpflichtet, das Unionsrecht einzuhalten und haftet dafür nach außen. Sie muss also geeignete Maßnahmen ergreifen, das Anbauverbot durchzusetzen.
2. Europarechtliche Lösung:
Nach der europarechtlichen Lösung geht das Unionsrecht vor. Die – laut Sachverhalt anzunehmende – Tatsache, dass Grundrechte verletzt sind, spielt deshalb grundsätzlich keine Rolle. Die Ansicht der Klägerin ist daher nicht richtig. Der Vorrang des Unionsrechts bedingt allerdings nicht, dass die Art. 12 und Art. 14 GG nichtig sind, sondern lediglich, dass sie in diesem Fall nicht zur Anwendung kommen.
§ 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht › B. Europarecht und nationales Recht › III. Regelung im GG und in den Länderverfassungen
III. Regelung im GG und in den Länderverfassungen
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Fall 4:
Das im Fall 3 (Rn 71) angerufene Verwaltungsgericht teilt die Ansicht der Klägerin und legt die Frage, ob die Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Wein wegen Verstoßes gegen die Art. 12 und Art. 14 GG verfassungswidrig sei, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG formgerecht vor. Wie wird das BVerfG entscheiden? Lösung: Rn 229
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Das GG regelt die Frage des Vorrangs – im Gegensatz zu den Verfassungen einiger anderer Mitgliedstaaten der EU – nicht expressis verbis.
Beispiele:
(1) Art. 29 Abs. 4 Unterabs. 5 der irischen Verfassung sieht vor: „Keine Bestimmung dieser Verfassung … hindert Gesetze, Handlungen oder Maßnahmen, die von der Europäischen Union oder den Europäischen Gemeinschaften … erlassen oder vorgenommen werden, daran, im Staate Rechtskraft zu erlangen.“
(2) Art. 94 der niederländischen Verfassung bestimmt: „Innerhalb des Königreichs geltende gesetzliche Vorschriften werden nicht angewandt, wenn die Anwendung mit allgemein verbindlichen Bestimmungen von Verträgen und Beschlüssen völkerrechtlicher Organisationen nicht vereinbar ist.“
a) Art. 24 Abs. 1 GG
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Vor dem anlässlich des Vertrags von Maastricht 1992 in das GG eingefügten Art. 23 GG enthielt Art. 24 Abs. 1 GG die Kompetenz des Bundes, durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen – also auch auf die (damaligen) Europäischen Gemeinschaften – zu übertragen.
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Die hL versteht darunter die Kompetenz des Bundes, sowohl Bundes- als auch Länder-Hoheitsrechte zu übertragen. Bei diesen handelt es sich um die Befugnis, nationale Rechtsverhältnisse hoheitlich zu gestalten. Dazu gehören – einzeln oder gemeinsam – Rechtsetzungs-, Rechtsprechungs- und Vollziehungsbefugnisse. Dies ist zwar in Art. 24 Abs. 1 GG so nicht ausdrücklich vorgesehen, wird aber allgemein mit der Begründung bejaht, dass die Bundesrepublik ansonsten integrationsunfähig wäre (s. Streinz, in: Sachs, Art. 24, Rz 26). In der Tat wäre – bezogen zB auf die seinerzeitigen Europäischen Gemeinschaften – eine Integration auf wirtschaftlichem Gebiet ohne Eingriff in den Gesetz- und Verwaltungsbereich auch der Länder gar nicht möglich gewesen. Zudem kann auf die grundsätzliche Entscheidung des GG für die europäische Integration in Satz 1 der Präambel des GG hingewiesen werden.
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Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG für solche Fälle (in Bezug auf die Europäischen Gemeinschaften) festgelegt, dass der Bund als Sachwalter der Länder aufzutreten habe, da diese ihre Interessen gegenüber den Organen der Europäischen Gemeinschaften nicht selbst wahrnehmen könnten. Dabei würden der Bundesregierung prozedurale Pflichten zur bundesstaatlichen Zusammenarbeit und Rücksichtnahme sowie insbesondere eine Informations- und Verständigungspflicht erwachsen (BVerfGE 92, S. 203 ff, 229 ff) (zur Rechtslage unter Art. 23 GG s. Rn 743 ff).
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Der Begriff der „Übertragung“ ist nicht wörtlich zu interpretieren. Insbesondere versteht man darunter nicht einen Übertragungsvorgang, der vergleichbar ist mit einer Übereignung oder einer Zession. Man sieht darin vielmehr nur einen Verzicht auf die Ausübung der übertragenen Hoheitsrechte zu Gunsten der völkervertraglich gegründeten zwischenstaatlichen Einrichtung durch die Bundesrepublik. Diese duldet – solange sie Vertragspartner ist und soweit es im Vertrag so vorgesehen ist – die Ausübung der Hoheitsgewalt durch die zwischenstaatliche Einrichtung, und zwar mit unmittelbarer Wirkung im innerstaatlichen Bereich (dh ohne dass die Hoheitsakte der Einrichtung innerstaatlicher Umsetzungs- oder Vollzugsakte bedürften) und uU mit Vorrang vor dem nationalen Recht. Denn mit und im Umfang der jeweiligen Hoheitsrechtsübertragung öffnet sich die Bundesrepublik Deutschland für die Ausübung von Hoheitsgewalt durch die zwischenstaatliche Einrichtung im innerstaatlichen Bereich (stRspr des BVerfG, aus jüngerer Zeit zB BVerfGE 149, S. 346 ff, 361). Löst sich die Bundesrepublik – aus irgendeinem Grund – von der zwischenstaatlichen Einrichtung, so übt sie ihre Hoheitsrechte wieder selbst aus. Sie duldet dann nicht mehr die Ausübung übertragener Hoheitsgewalt im innerstaatlichen Bereich.
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Hinsichtlich dieser Wirkung stellt die Übertragung gemäß Art. 24 Abs. 1 GG eine materielle Verfassungsänderung durch Gesetz dar.
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Für die Übertragung ist ein förmliches Bundesgesetz erforderlich. Nach dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 GG handelt es sich dabei um ein einfaches, zustimmungsfreies Gesetz. Ungeachtet seines materiell-verfassungsändernden Charakters (Rn 114) ist dieses Gesetz nicht an die Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG gebunden. Da aber die Übertragung von Hoheitsrechten nur dergestalt machbar ist, dass gleichzeitig entweder eine zwischenstaatliche Einrichtung gegründet oder umgestaltet oder der Beitritt zu einer solchen vollzogen wird, was nur im Zusammenhang mit einem völkerrechtlichen Vertrag möglich ist, kommt neben Art. 24 Abs. 1 auch noch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zur Anwendung. Über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann das Gesetz dann allerdings zu einem Zustimmungsgesetz werden (s. Rn