Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

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Название Staatsrecht III
Автор произведения Hans-Georg Dederer
Жанр Языкознание
Серия Schwerpunkte Pflichtfach
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783811492813



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Völkerrecht verlieren sollen.

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      Trotz dieser Argumente gehen EuGH, BVerfG und die hL von der Eigenständigkeit des Unionsrechts aus und qualifizieren es eben als Recht sui generis. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH besteht die Eigenständigkeit des Unionsrechts darin, dass dieses „ein aus einer autonomen Rechtsquelle fließendes Recht“ darstellt, das ua selbst das Verhältnis von Unionsrecht zu entgegenstehendem innerstaatlichem Recht bestimmt (EuGH, Rs 6/64, Costa/E.N.E.L., Slg 1964, S. 1253 ff, 1269). Das BVerfG hat dies folgendermaßen ausgedrückt (zB BVerfGE 37, S. 271 ff, 277 f):

      „Der Senat hält – insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – an seiner Rechtsprechung fest, daß das Gemeinschaftsrecht weder Bestandteil der nationalen Rechtsordnung noch Völkerrecht ist, sondern eine eigenständige Rechtsordnung bildet, die aus einer autonomen Rechtsquelle fließt.“

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      Ob das BVerfG diese Auffassung weiterhin teilt, erscheint zweifelhaft. Zumindest lässt sich das beharrliche Pochen des BVerfG in jüngerer und jüngster Zeit darauf, dass die Mitgliedstaaten „Herren der Verträge“ sind (BVerfGE 75, S. 223 ff, 242; 89, S. 155 ff, 190; mehrfach bestätigt in BVerfGE 123, S. 267 ff, 348 f; 126, S. 268 ff, 302 f; 134, S. 366 ff, 384; 140, S. 317 ff, 338), nicht dogmatisch bruchlos mit der alten These vereinbaren, das Unionsrecht sei „weder Bestandteil der nationalen Rechtsordnung noch Völkerrecht“. Vielmehr lässt sich die Qualifizierung der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ eigentlich nur aus einer genuin völkerrechtlich-dualistischen Perspektive dogmatisch sinnvoll begreifen. Bezeichnenderweise spricht das BVerfG im Lissabon-Urteil in Bezug auf die „Verfassung Europas“ von „Völkervertrags- oder Primärrecht“ und insoweit von einer nur „abgeleiteten Grundordnung“ (BVerfGE 123, S. 267 ff, 349).

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      Im Sinne einer vermittelnden Ansicht ließe sich vertreten, dass nur bestimmte Teile des geschriebenen primären Unionsrechts weiterhin Völkerrecht bilden, andere Teile dagegen sich zu einem Recht sui generis verselbständigt haben. Im Recht der internationalen Organisationen wird nämlich hinsichtlich des Gründungsvertrags zwischen vertraglichen (rechtsgeschäftlichen) und satzungsrechtlichen (verfassungsrechtlichen) Bestimmungen unterschieden. Zu ersteren gehören zB die Normen über Beitritt und Austritt sowie über das Inkrafttreten oder die Änderung des Gründungsvertrags, zu letzteren zB die Normen über Errichtung, Zuständigkeiten, Aufgaben und Befugnisse der Organe, die Finalität der Organisation sowie deren Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten (s. Schmahl, in: Vitzthum/Proelß, S. 342 f). Die vertraglichen (rechtsgeschäftlichen) Vorschriften könnten danach im Fall der Unionsverträge als weiterhin dem Völkerrecht zugehörig, deren satzungsrechtliche (verfassungsrechtliche) Vorschriften dagegen als autonomes Recht sui generis angesehen werden.

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      Gestützt auf die Rechtsprechung des EuGH zur Eigenständigkeit des Unionsrechts geht die europarechtliche Lösung jedenfalls davon aus, dass bei der Verhältnisfrage die Theorien über das Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht nicht zur Anwendung kommen. Die Frage müsse vielmehr anhand des Unionsrechts selbst gelöst werden.

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      Die europarechtliche Lösung kommt insgesamt gesehen zu einem Vorrang des Unionsrechts. Dies ergebe sich aus einer Reihe von Bestimmungen der Gründungsverträge (zB Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 103 Abs. 2 Buchst. e AEUV, Art. 288 Abs. 2 AEUV), vor allem aber aus dem teleologisch zu ermittelnden Prinzip der Sicherung der Funktionsfähigkeit der EU, ohne das die EU nicht existieren könne.

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      Diese insbesondere von H.P. Ipsen entwickelte hL wird auch vom EuGH vertreten. Grundlegend für diese Rechtsprechung des EuGH war der Fall Costa/E.N.E.L.

      Beispiel:

      Der Mailänder Rechtsanwalt Costa weigerte sich als ein von der Verstaatlichung betroffener Aktionär eines Elektrizitätsunternehmens, eine Stromrechnung der neugegründeten staatlichen Elektrizitätsgesellschaft E.N.E.L. in Höhe von 1925 Lire zu bezahlen. In dem daraufhin anhängig gemachten Verfahren vor dem Friedensgericht Mailand machte er geltend, das Verstaatlichungsgesetz verstoße gegen mehrere Artikel des (damaligen) EWGV. Das Gericht legte daraufhin dem EuGH gemäß Art. 177 EWGV (jetzt Art. 267 AEUV) eine entsprechende Vorabentscheidungsfrage vor. Im Rahmen seines Urteils ging der EuGH auch auf die Eigenständigkeit des (damaligen) Gemeinschaftsrechts ein und führte Folgendes aus (EuGH, Rs. 6/64, Costa/E.N.E.L., Slg. 1964, S. 1251 ff, 1269 ff):

      „Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Denn durch die Gründung einer Gemeinschaft für unbegrenzte Zeit, die mit eigenen Organen, mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, mit internationaler Handlungsfähigkeit und insbesondere mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist, haben die Mitgliedstaaten, wenn auch auf einem begrenzten Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist.

      Diese Aufnahme der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in das Recht der einzelnen Mitgliedstaaten und, allgemeiner, Wortlaut und Geist des Vertrages haben zur Folge, daß es den Staaten unmöglich ist, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommenen Rechtsordnung nachträgliche einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen. Solche Maßnahmen stehen der Anwendbarkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung daher nicht entgegen. Denn es würde eine Gefahr für die Verwirklichung der in Art. 5 Abs. 2 aufgeführten Ziele des Vertrages bedeuten und dem Verbot des Art. 7 widersprechende Diskriminierungen zur Folge haben, wenn das Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen Gesetzgebung von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte.

      Die Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten im Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft eingegangen sind, wären keine unbedingten mehr, sondern nur noch eventuelle, wenn sie durch spätere Gesetzgebungsakte der Signatarstaaten in Frage gestellt werden könnten …

      Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird auch durch Artikel 189 bestätigt; ihm zufolge ist die Verordnung „verbindlich“ und „gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“. Diese Bestimmung, die durch nichts eingeschränkt wird, wäre ohne Bedeutung, wenn die Mitgliedstaaten sie durch Gesetzgebungsakte, die den gemeinschaftsrechtlichen Normen vorgingen, einseitig ihrer Wirksamkeit berauben könnten.

      Aus alledem folgt, daß dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll.

      Die Staaten haben somit dadurch, daß sie nach Maßgabe der Bestimmungen des Vertrages Rechte und Pflichten, die bis dahin ihren inneren Rechtsordnungen unterworfen waren, der Regelung durch die Gemeinschaftsrechtsordnung vorbehalten haben, eine endgültige Beschränkung ihrer Hoheitsrechte bewirkt, die durch spätere einseitige, mit dem Gemeinschaftsbegriff unvereinbare Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden kann.“

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      Mit diesem Urteil hat der EuGH klargestellt, dass im Kollisionsfall das (damalige) Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vorgeht (Vorrang). Dies gilt auch für das heutige Unionsrecht, und zwar in seiner Gesamtheit.

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