Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Michael Bohnet

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Название Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik
Автор произведения Michael Bohnet
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846351383



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diplomatische Kanäle massiv auf eine Erhöhung der Beträge hin. Die USA begründeten ihr Drängen mit der notwendigen Aufteilung der Verteidigungslasten, zu denen sie auch die Kosten der Eindämmungspolitik gegenüber der Sowjetunion in der Dritten Welt rechneten.6, 7

      Folgerichtig wurde im gleichen Haushaltsjahr 1956 ein Titel von 50 Mio. DM angesetzt, der im Auswärtigen Amt den Zweck „Förderung wirtschaftlich unterentwickelter Länder“ auswies. Dieser Impuls kam vom sozialdemokratischen Abgeordneten Helmut KalbitzerKalbitzer, Helmut. Mit diesen 50 Mio. DM begann im Auswärtigen Amt die deutsche Entwicklungshilfepolitik.8

      Allerdings häuften sich im Auswärtigen AmtAuswärtiges Amt damit zugleich die Probleme. Für das neue Aufgabenfeld fehlte es an einem geeigneten Verwaltungsapparat. Dennert vergleicht zutreffend die damalige Situation des Auswärtigen Amtes mit der eines Mannes, „dem unverhofft ein Elefant geschenkt wird“,9 denn es fehlten Entwicklungshilfefachleute ebenso wie sachkundig durchgeprüfte Projekte und vor allem eine mit den Einzelproblemen und Eigenheiten der Entwicklungshilfe vertraute Administration.10 Um die neue Staatsaufgabe administrativ zu bewältigen, griff die Bundesregierung zunächst auf vorhandene Arbeitseinheiten der obersten Bundesverwaltung zurück, insbesondere auf die des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.11

      Um die Interessen und Prioritäten aller beteiligten Ressorts gebührend zu bündeln, wurden die sog. interministeriellen Koordinierungsausschüsse auf Ministerialebene gebildet. Es war dies vor allem der interministerielle Ausschuss für Entwicklungspolitik, allgemein Lenkungsausschuss genannt, und die beiden interministeriellen Referentenausschüsseinterministeriellen Referentenausschüsse (IRAs) für Technische Hilfe und Kapitalhilfe.12, 13

      Der Lenkungsausschuss bestand aus Vertretern der beteiligten Ministerien, und zwar unter wechselndem Vorsitz des AA und des BMWi. Er entschied unter Vorbehalt der Zuständigkeit des Kabinetts in allen Fragen der Entwicklungshilfe von grundsätzlicher Bedeutung. Ihm oblag die Bestimmung des Mitteleinsatzes, während die Durchführung der Projekte von den jeweils zuständigen Fachressorts übernommen wurde (etwa dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem Bundesarbeitsministerium oder dem Bundesverkehrsministerium). Doch die Kompetenzkonflikte häuften sich. Vor allem das AA und das BMWi gerieten in einen permanenten Zuständigkeitskonflikt, der sich noch dadurch verschärfte, dass andere, sachlich an einzelnen Projekten beteiligte Ressorts ebenfalls Zuständigkeiten beanspruchten. Ordner um Ordner füllten Regale mit „Zuständigkeitsunterlagen“.14

      Die Anstöße zur Errichtung eines Entwicklungsministeriums als Koordinationsorgan gingen nicht von der Verwaltung, sondern gegen Ende der dritten Bundesregierung unter Konrad AdenauerAdenauer, Konrad von Abgeordneten des Deutschen BundestagesDeutscher Bundestag aus.15,16 Insbesondere die Sprecher der oppositionellen SPD sowie der entwicklungspolitische Sprecher der FDP, Walter ScheelScheel, Walter, forderten immer wieder ein eigenes Entwicklungsministerium.17 Walter ScheelScheel, Walter: „Die Kompetenz sollte in einer Hand, in einer politisch verantwortlichen Hand konzentriert sein. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum man bei Finanzhilfen, bei Investitionshilfen neun Ressorts braucht. Das halte ich für baren Unsinn“.18 Niemand hat stärkeren Einfluss auf die Gründung des BMZ ausgeübt als ScheelScheel, Walter selbst.19

      Im Parlament herrschte die Ansicht vor, dass der viel beklagte Mangel an Koordination der Hauptnachteil der deutschen Entwicklungshilfe sei. Die Verstärkung der Kompetenzkonflikte im Zuge der rapiden Steigerung der finanziellen Mittel könne durch „ein Koordinierungsministerium“ am besten aufgefangen werden. Die Bedeutung der Entwicklungshilfe sei durch eine selbstständige Vertretung im Kabinett zu unterstreichen, zumal das Mittelvolumen für Entwicklungshilfe bereits dasjenige bestehender Ministerien überstieg. Die Existenz eines eigenen Ressorts sollte den Willen der Bundesrepublik Deutschland zur praktischen Entwicklungshilfe manifestieren, das Image der deutschen Maß­nahmen verbessern und die Kontakte zu den Entwicklungsländern konzentriert in geordnete Bahnen lenken.20 Der BundestagDeutscher Bundestag kann also mit Recht die Entwicklungspolitik als sein ureigenes Kind betrachten. Von Anfang an sah das Parlament in der Entwicklungspolitik eine Sache sui generis.21

      Zur Gründung des BMZ trug bei, dass sich die Landkarte auf dem Nachbarkontinent Afrika beträchtlich änderte, viele Entwicklungsländer waren erstmals als solche präsent, viele standen kurz vor der Unabhängigkeit.

      Im Vorfeld der Gründung des BMZ war 1959 – auf Initiative von Dr. Gerhard Fritz – die Deutsche Stiftung für EntwicklungsländerDeutsche Stiftung für Entwicklungsländer (DSE)22 in BerlinTegel errichtet worden, die die Aufgabe hatte, die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Entwicklungsländern auf der Grundlage gegenseitigen Erfahrungsaustausches zu pflegen, insbesondere durch Tagungen, Seminare, Exkursionen und die Vorbereitung von Fachkräften für eine Tätigkeit in Entwicklungsländern. Die DSE war eine Art Vorhut des späteren Entwicklungsministeriums.

      Bei der Bundestagswahl vom 15. September 1961 verlor die Union die absolute Mehrheit. In den Koalitionsverhandlungen mit der FDP Mitte November 1961 fiel die Entscheidung, ein eigenes Fachressort für Entwicklungshilfe bzw. politik zu gründen. Noch kurz davor, am 10. November 1961, hatten Außenminister Heinrich von Brentanovon Brentano, Heinrich und Wirtschaftsminister Ludwig ErhardErhard, Ludwig mit ihren Spitzenbeamten versucht, mit einer gemeinsamen Kabinettvorlage zu „Fragen der Zusammenarbeit und Organisation der Entwicklungshilfe“ dies zu verhindern, mit der Argumentation, dass das Ausschusssystem die optimale Lösung darstelle.23 AdenauerAdenauer, Konrad entschied jedoch gegen ihr Votum und gründete das BMZ.

      ❋ Stimmen von Zeitzeugen: Walter KieferKiefer, Walter, Dr. Günther OldenbruchOldenbruch, Günther

      Walter KieferKiefer, Walter

      1953–1956 Assistent am UNESCOInstitut für Jugendfragen, 1956–1959 Geschäftsführer des Kath. Akademischen AusländerDienstes (KAAD), 1959–1963 stellvertretender Geschäftsführer von Misereor und seit 1962 Vorstandsmitglied der Kath. Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZE), 1963–1966 Leiter der Projektabteilung des DED, 1966–1973 Vorstand der Kübel-Stiftung und GF der Gesellschaft für wirtschaftliche und soziale Entwicklung, 1973–1990 GF der Carl Duisberg Centren, 19911996 GF der SEQUA.

      Erwachende Solidarität: Die Kirchen als Wegbereiter der Entwicklungszusammenarbeit

      Auf der Jahresversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda im August 1958 trug Kardinal FringsFrings, Kardinal Joseph in einem großangelegten Referat einen mutigen Plan zur Gründung von Misereor vor. Frings: „Bei dem zu gründenden Werk geht es nicht um ein Mittel der Mission, sondern um die Teilnahme an der Leibsorge des Herrn. Es geht nicht darum, den Gefahren auf politischem und religiösem Gebiet zu begegnen, also auch nicht um eine Aktion, um dem Bolschewismus zuvorzukommen, sondern schlicht um die Betätigung der christlichen Barmherzigkeit“. Die Not Christi in seinen Brüdern zu erkennen, am Erbarmen Christi für sie teilzunehmen, das waren die Leitmotive, die Kardinal Frings dem Werk Misereor mit auf den Weg gab. Als Grundsatz galt: MisereorMisereor sucht sich den zu Helfenden nicht nach seiner Religion oder seiner politischen Orientierung aus.

      Einen so großzügigen und großherzigen Plan zu verwirklichen, wie ihn Kardinal FringsFrings, Kardinal Joseph vor Augen hatte, musste Ende der 1950er-Jahre – also rund 13 Jahre nach Ende des Krieges – als Wagnis und Risiko erscheinen. Dass die Bischöfe dennoch zustimmten, dass der Durchbruch erzielt werden konnte, dass auch die Evangelische Kirche – ausgelöst durch eine Hungersnot in Indien – die gleiche Idee aufgriff und ihre Aktion „Brot für die WeltBrot für die Welt“ ins Werk setzte, darauf dürfen die katholischen und evangelischen Christen diese Landes mit einiger Dankbarkeit und einigem Stolz zurückblicken.

      Niemand unterlag damals der Versuchung, zu meinen, mit den beschränkten Mitteln der Kirche könnten Hunger und Not in der Welt beseitigt werden. Die Kirchen wollten mit ihrer Hilfe ein Beispiel geben. Ihr regelmäßiger Aufruf sollte der Öffentlichkeit das Unrecht in der Welt vor Augen stellen. So verstand sich MisereorMisereor als ein ständiger Mahner an das eigene Volk und die Regierung, um im Sinne der