Название | Qualitative Medienforschung |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846386477 |
So hat z.B. die qualitativ-empirische Erforschung der Medienrezeption einen phänomenologischen und hermeneutischen Schwerpunkt, da es um das Verständnis von »lived realities«, von Erfahrungen und Praktiken, geht (Winter 2010). Die Analyse medialer Texte stützt sich auf strukturalistische bzw. poststrukturalistische Ansätze. Denn die Logik eines Spielfilms oder einer Fernsehserie kann sich erschließen durch das Aufzeigen der Werte, die sich in der binären Logik von medialen Texten verstecken, der diskursiven Rahmungen, die mediale Wirklichkeiten strukturieren, oder der intertextuellen Bezüge, die ein medialer Text unterhält und die den mediatisierten Charakter unserer Wirklichkeitserfahrung und unseres Wissens hervorheben. Dagegen hat die Analyse der sozialen und politischen Kontexte, in der mediale Texte rezipiert und angeeignet werden, notwendigerweise einen »realistischen« Charakter, so z. B. in der Deskription des situationalen Settings, in der sich eine Medienrezeption vollzog, oder der zunehmenden globalen Vernetzung.
Cultural Studies zeichnen sich nun dadurch aus, dass sie die auf diese Weise entstehenden Spannungen, Konflikte und durch die Verknüpfung unterschiedlicher Perspektiven manchmal überraschenden Einsichten ins Zentrum ihrer Analysen rücken. Die Bricolage des Forschungsprozesses (Kincheloe/McLaren/Steinberg 2011), die Triangulation unterschiedlicher Methoden und Theorien je nach Forschungsfrage (→ Treumann, S. 264 ff.), veranschaulicht, dass diese transdisziplinär ausgerichtete Forschungstradition mit der positivistischen Agenda gebrochen hat, dass es das Ziel von Forschung sei, Hypothesen oder Theorien darüber aufzustellen, was in der Welt »wirklich« vor sich geht, und dann durch die methodisch erzeugte und kontrollierte Analyse von (harten) Daten herauszufinden, ob dies »wirklich« so ist. Dagegen zeigen Cultural Studies, dass Forschungsfragen, -methodologien und -interessen durch soziale, politische und historische Kontexte geprägt werden (Grossberg 2010). In der Forschung wird nicht Realität »objektiv« analysiert, vielmehr ist die Forschung Teil der Wirklichkeit, die sie erzeugt und sozial konstruiert. Da Methodologien und Schreibweisen der Forscher die Wirklichkeit nicht widerspiegeln, ist es angebracht, durch unterschiedliche Methoden auch verschiedene Wirklichkeiten zu erzeugen und zur Darstellung zu bringen. So wird die Partikularität von Perspektiven deutlich, und deren differenten Wirklichkeitskonstruktionen wird Rechnung getragen. Das gewonnene Wissen ist immer sozial und politisch lokalisiert, sodass die Forscher/-innen auch dazu aufgefordert werden, die Diskurse und Positionen, die ihr Denken prägen, kritisch zu hinterfragen. Dabei haben die neueren Ansätze von Cultural Studies einen »performance turn« vollzogen (Denzin 2003, Gergen/Gergen 2012). Sie sind sich dessen bewusst, dass sie Kultur in ihren Widersprüchen und Konflikten »zur Aufführung« bringen, wenn sie über sie forschen und schreiben. »Reflexive Performance« und (Auto-)Ethnographie rücken ins Zentrum der neueren qualitativen Forschung.
Gelebte Erfahrungen und widerspenstige Praktiken
Widerstand ist ein elementarer Begriff in den Cultural Studies, der durch Antonio Gramscis Hegemonieanalysen (Gramsci 1991 ff.), seine Überlegungen zur Popularkultur und vor allem durch Michel Foucaults Analytik der modernen Macht (Foucault 1976, 1977) bestimmt wird. Trotz massiver Kritik nimmt er bis heute eine sehr wichtige Rolle in der Analyse gelebter Erfahrungen und Praktiken ein. Seine wichtige Bedeutung veranschaulicht, dass Cultural Studies kulturelle und mediale Prozesse im Kontext sozialer und kultureller Ungleichheit sowie als Teil der Dispositive der Macht betrachten. Ihre Perspektive ist immer auch die »von unten«, die das Leiden an der Gesellschaft, das Elend der Welt, registriert, analysiert, gleichzeitig aber auch Möglichkeiten von Utopie und gesellschaftlicher Transformation aufzeigen möchte (Kellner 1995, Denzin 2010).
So wundert es nicht, dass Widerstand zur zentralen Kategorie dieser kritisch interventionistischen Theorie und Forschungspraxis wurde. Gerade im alltäglichen Gebrauch von Medien, in deren Rezeption und (produktiver) Aneignung, finden sich die Merkmale und Spuren widerspenstiger Praxis und kreativen Eigensinns, die mediale Texte gegen den Strich lesen und zur Artikulation eigener Perspektiven nutzen (Winter 2001). Zum Streitpunkt wurde dabei die Frage, wie weitreichend dieser Widerstand gegen Macht sein kann und welche Bedeutung ihm im Kontext gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen zukommt. Hat der Widerstand (nur) symbolischen Charakter oder auch »reale« Auswirkungen? Als methodologisch schwierig erweist es sich nämlich, die kreativen und widerständigen Elemente alltäglicher Erfahrung zu erfassen, da diese immer bereits von Diskursen durchdrungen und strukturiert werden.
In der frühen Widerstandsforschung, die allerdings keine von einem Programm ausgehende einheitliche Tradition darstellt, wird bereits ein zentraler Aspekt von Cultural Studies deutlich: ihr Kontextualismus. Widerspenstige Praktiken lassen sich nur dann verstehen, wenn der Kontext (re-)konstruiert wird, in dem sie sich ereignen und den sie (mit)konstituieren. Für Lawrence Grossberg (1999, S. 60, 2010, S. 169–226) werden die Cultural Studies von einem radikalen Kontextualismus geprägt: »Um es für Cultural Studies auf den Punkt zu bringen: der Kontext ist alles, und alles ist kontextuell.«
So kann Paul Willis in seiner in der Zwischenzeit zum Klassiker gewordenen ethnographischen Studie Spaß am Widerstand (1979) in einer dichten Beschreibung zeigen, wie die »lads«, Jungs aus der Arbeiterklasse, eine lebendige und aufmüpfige Gegenkultur schaffen, die die Mittelklassenormen ihrer Schule ablehnen und subversiv unterlaufen. Ihre kreativen Praktiken prangern Langeweile und Entfremdung schulischer Sozialisation an, führen jedoch nicht zu einer Transformation »realer« Herrschaftsstrukturen, weil den schlecht ausgebildeten »lads« nämlich nichts anderes übrig bleibt, als nach der Schule Arbeiterjobs anzunehmen. Damit ist ihr Protest, den sie subjektiv als Freiheit erfahren, in die Reproduktion sozialer Ungleichheit eingebunden.
In ihrer ebenfalls berühmt gewordenen Studie Reading the Romance (1984), die multidimensional angelegt ist und historische Betrachtungen mit narrativen Analysen von Romanen und empirischer Erforschung der Perspektive der Leserinnen verbindet, kam Janice Radway zu dem Ergebnis, dass die Rezeption von Liebesromanen, zunächst unabhängig von ihrem Inhalt, eine grundsätzlich positive Bedeutung für Frauen haben kann. Die regelmäßige und enthusiastische Lektüre, das Sich-Verlieren im Lesen, helfe ihnen nämlich, sich von den sozialen Pflichten und Beziehungen des Alltags zu distanzieren und einen Freiraum für sich selber im häuslichen Ambiente zu schaffen, wo von ihnen ansonsten erwartet wird, ausschließlich für die Familie da zu sein und ihre Selbstfindung daran zu binden. Im Weiteren kann Radway dann zeigen, wie in den Liebesromanen auch weibliche Sinnangebote gegen die des Patriarchats ausgespielt und als höher eingestuft werden. Die scheinbar harmlose Praktik des Lesens von relativ standardisierten Liebesromanen erweist sich als widerspenstig und führt zur Bildung einer lebendigen, widerständigen Subkultur. Allerdings kommt Radway zu dem Schluss, dass die realen patriarchalen Strukturen, die familiäre und gesellschaftliche Beziehungen durchdringen, nicht transformiert werden. Der Widerstand kann sogar zu ihrer Stärkung beitragen.
Die Analysen des Widerstandes innerhalb von Cultural Studies beschäftigen sich also mit auf den ersten Blick trivialen, unbedeutenden alltäglichen Erfahrungen und Praktiken untergeordneter Gruppen, die in ihrer Eigenart, insbesondere wie sie den realen Strukturen von Macht und Herrschaft widerstehen, untersucht werden. Auch wenn in der Lesart von Cultural Studies Ideologien und die hegemoniale Kultur das Verhältnis der Handelnden zur Welt vermitteln, kennen sie diese Strukturen jedoch mittels ihres praktischen Wissens, was die Voraussetzung für ihren Widerstand ist, der in der Regel jedoch im Imaginären verbleibt und vergeblich ist.
Methodologisch werden die alltäglichen Erfahrungen und Praktiken, so z. B. die Medienrezeption, ernst genommen und damit auch deren Bedeutung. Allerdings kontextualisiert sie der Forscher und bestimmt damit ihre eigentliche Bedeutung. In diesem Zusammenhang