Die Befragung. Armin Scholl

Читать онлайн.
Название Die Befragung
Автор произведения Armin Scholl
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846340806



Скачать книгу

Sie ist deshalb überhaupt nur dann einsetzbar, wenn die Grundgesamtheit sehr homogen ist, wie im Fall der Leserschaft einer Zeitschrift.

       Verzerrungseffekte treten vor allem dadurch auf, dass durch die postalische Zustellung der Eindruck einer behördlichen Zustellung erweckt wird. Diese Kommunikationsform wirkt einerseits verbindlicher, weckt andererseits aber auch eher die Angst, kontrolliert zu werden, als dies beim konversationsähnlichen Interview der Fall ist. Weiterhin dürfte der Mittelschichtbias bei der schriftlichen Befragung noch stärker sein, als er für andere Befragungsformen bereits festgestellt wurde, weil die Beantwortung eines Fragebogens vergleichsweise hohe Lese- und Schreibfähigkeiten voraussetzt. Insbesondere offene Fragen sind davon betroffen und eignen sich für schriftliche Befragungen deshalb weniger. Die Selbstselektion der Befragten vermindert die Stichprobe damit nicht nur quantitativ, sondern auch in qualitativer Hinsicht.

       Der Anwendungsbereich erstreckt sich aufgrund der schriftlichen Fixierung der Meinungen hauptsächlich auf im weiteren Sinn kognitive Sachverhalte. Spontane, unreflektierte und irrationale Äußerungen dürften eher die Ausnahme sein und eignen sich weniger als Untersuchungsziel einer schriftlichen Befragung. Auf der anderen Seite sind jedoch Abfragen über individuelles Wissen ebenfalls kaum möglich, da der Befragte auf fremdes Wissen zurückgreifen kann (vgl. Richter 1970: 142ff.; Bourque / Fielder 1995: 14ff.).

       Die Befragungssituation ist nicht kontrollierbar. Weder ist hinreichend zu garantieren, dass die angeschriebene Zielperson den Fragebogen selbst oder allein ausfüllt noch dass sie ihn gemäß den Instruktionen bearbeitet und die Reihenfolge der Fragen einhält. Für spontane Antworten ist die schriftliche [47]Befragung aufgrund der mangelnden Kontrollierbarkeit ungeeignet. Schließlich sind keine Stichtagserhebungen möglich (vgl. Hafermalz 1976: 23).

       Da kein Interviewer eventuelle Nachfragen zur Verständlichkeit beantworten kann, hängt die korrekte Beantwortung allein vom Fragebogen ab. Er muss inhaltlich vollständig selbst erklärend und visuell klar gestaltet sein (vgl. Mangione 1995: 6, 27ff.). Außerdem fällt mit der Abwesenheit des Interviewers eine Quelle für die Einschätzung der Qualität der Antworten weg.

Spezielle Empfehlungen für schriftliche Befragungen

      Sowohl die aufgeführten Vorteile als auch die Nachteile sind nicht absolut, sondern relativ zu verstehen und hängen weitgehend vom Untersuchungszweck, von der Definition der Grundgesamtheit und von der Untersuchungsanlage ab. Die Vorteile der relativ niedrigen Kosten und des geringen Aufwandes können verloren gehen, wenn die Rücklaufquote so gering ist, dass umfangreiche Nachfassaktionen erforderlich sind. Umgekehrt können die Probleme der postalischen Befragungen gemindert werden. Deshalb werden in den Lehrbüchern zahlreiche Empfehlungen zur Gestaltung des Fragebogens gegeben (vgl. Hafermalz 1976: 28ff., 63ff., 192ff.). Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Erhöhung der Ausschöpfungsrate, um die Repräsentativität der Stichproben zu gewährleisten.

       Das Anschreiben (der Begleitbrief) muss kurz, inhaltlich prägnant, klar gestaltet sowie inhaltlich und visuell motivierend sein. Es sollte persönlich gehalten sein und ein Datum des Einsendeschlusses angeben (vgl. Hafermalz 1976: 111; Koch 1993: 79; Bourque / Fielder 1995: 106ff.). Zusätzlich kann eine gesonderte Benachrichtigung der eigentlichen Fragebogenaktion vorgeschaltet werden. Da die Gefahr besteht, dass der Begleitbrief eine bestimmte selektive Wirkung ausübt, die sich negativ auf die Repräsentanz auswirkt, muss er so formuliert und gestaltet sein, dass er auf alle Subgruppen der Stichprobe passt (vgl. Richter 1970: 149f.).

       Für das Rückschreiben muss ein adressierter und frankierter Rückumschlag beiliegen.

       Der Fragebogen muss klar anonym sein und darf keine versteckten Zeichen zur Identifizierung des Befragten enthalten.

       Zur Erhöhung des Rücklaufs dienen auch Erinnerungsschreiben, die mehrfach wiederholt werden können. Bei anonymen Befragungen werden dadurch Kosten und Aufwand deutlich erhöht, sodass vor dem Einsatz eine Kosten-Nutzen-Analyse erfolgen sollte (vgl. Mangione 1995: 63ff.).

       [48]Um die Kooperationsbereitschaft zu erhöhen, werden oft Geschenke (»incentives«) – Kugelschreiber, Briefmarken oder Telefonkarten – mitgeschickt, entweder bereits im Voraus oder erst nach erfolgter Rücksendung. Letzteres funktioniert allerdings nur, wenn die Befragung nicht anonym erfolgt. Ob die Belohnung in Geld ausgezahlt oder ein Geschenk zugeschickt werden soll, ist ebenso umstritten wie die Höhe oder der Wert des Geschenks. Eine Variante besteht in der Teilnahme der Rücksender an einer Lotterie oder einem Preisausschreiben (vgl. Mangione 1995: 79ff.).21

       Eine systematische Vorgehensweise zur Optimierung schriftlicher Befragungen entwickelte Dillman (1978) mit der »Total Design Method«, die er zur »Tailored Design Method« ausbaute (vgl. Dillman 2000). Sie umfasst konkrete Vorschriften zum Design des Fragebogens und zur Durchführung der Befragung. Der Fragebogen soll als Booklet gestaltet werden, wobei Vorderseite und Rückseite frei bleiben. Äußerliche Ähnlichkeiten zu Werbebroschüren sind zu vermeiden. Im Fragebogen werden nach der Einstiegsfrage zuerst die interessanten Fragen platziert, während problematische und demografische Fragen nach hinten gestellt werden (vgl. Dillman 1978: 362).Besonders wichtig ist der Versand, der zur Wochenmitte stattfindet. Eine Woche nach dem Erstversand wird eine Postkarte oder ein Brief verschickt, um den Teilnehmern zu danken und die Nicht-Teilnehmer freundlich zu erinnern und zur Teilnahme zu motivieren. Drei Wochen nach dem Erstversand wird der Fragebogen erneut verschickt zusammen mit einem weiteren, kürzeren Mahnschreiben. Eine letzte freundliche, aber bestimmte Mahnung erfolgt sieben Wochen nach dem Erstversand per Einschreiben (vgl. Dillman 1978: 366.; Bourque / Fielder 1995: 149ff.). Auf diese Weise kann der Rücklauf enorm erhöht werden, eine Erfahrung, die sich interkulturell übertragen und bei verschiedenen Populationen anwenden lässt (vgl. Hippler 1988: 247f.).

       Generell darf die Feldzeit nicht zu stark mit der Urlaubszeit (auch Feiertage) überlappen (vgl. Nötzel 1987a: 154).

       Der Rücklauf sollte kontrolliert und detailliert analysiert werden, um Subgruppen zu identifizieren, deren Rücklauf unterdurchschnittlich groß ist, und um Rücklaufcharakteristiken zu ermitteln (vgl. Richter 1970: 225ff.; Nötzel 1987a: 155; Blasius / Reuband 1996).

Computerunterstützte Befragungsverfahren
Beschreibung und Varianten

      Ergänzend zu den herkömmlichen Verfahren der Befragung gibt es für jedes Verfahren eine computerunterstützte Variante, um deren Planung, Durchführung und Verwaltung effizienter und kostengünstiger zu machen.

      Folgende Varianten sind derzeit hauptsächlich im Einsatz (vgl. Frey / Kunz / Lüschen 1990: 179ff.; Saris 1991: 30; Fuchs 1999: 120; Knobloch / Knobloch 1999: 63):

       Persönliches Interview: Die konventionelle Vorgehensweise beim persönlichen Interview wird »Paper-and-Pencil Personal Interviewing« (PAPI) genannt, weil der Interviewer die Fragen von einem Fragebogen aus zusammengehefteten oder gefalteten Papierblättern abliest und mit einem Schreibstift die Antworten in den Fragebogen einträgt. Im Fragebogen stehen neben den Fragen und – bei standardisierten Varianten – den Antwortvorgaben auch Anweisungen an den Interviewer, in welcher Reihenfolge er die Fragen stellen muss, wie er vorgehen muss bei bestimmten Antworten usw. (→ Kapitel 5). Beim computerunterstützten Interview, »Computer Assisted Personal Interviewing« (CAPI), führt der Interviewer entweder einen Laptop mit, liest die Fragen (und Antwortvorgaben) vom Bildschirm vor und tippt die Antworten bzw. die zu den Antwortkategorien passenden Zahlen in den Computer ein, oder er benutzt ein Pentop, bei dem der Befragte selbst mit einem Stift die Antworten in die entsprechenden Felder antippt.

       Selbstausfüller-Befragung: Bei diesem Hybridverfahren zwischen persönlicher und schriftlicher Befragung verteilt ein Interviewer entweder den Fragebogen einer bestimmten Gruppe von Befragten an einem Ort (Klassenzimmer-Befragung) und bleibt in dem Zeitraum, in dem die Befragten den Fragebogen ausfüllen, anwesend, oder er hinterlässt dem Befragten den Fragebogen und sammelt den ausgefüllten Fragebogen zu einem vereinbarten Termin wieder ein. Beide Varianten des