Название | Medizingeschichte |
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Автор произведения | Robert Jutte |
Жанр | Медицина |
Серия | |
Издательство | Медицина |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846339275 |
Das vorliegende Werk, das zum Eigenstudium und besonders zum Einsatz in Einführungsveranstaltungen gedacht ist, stellt vor diesem Hintergrund den Versuch dar, die wesentlichen Voraussetzungen und Grundkenntnisse zum Studium der Medizingeschichte und für Forschungen auf diesem Gebiet zu vermitteln. Das geschieht sowohl unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands als auch mit Blick auf die Wege der Forschung. Dabei werden grundlegende Aspekte der allgemeinen Methodik des historischen und wissenschaftsgeschichtlichen Arbeitens ebenso thematisiert wie Besonderheiten der Medizinhistorik, die es als eigenständiges Fach erst seit etwa 100 Jahren gibt.
Auf die Einleitung, in der unter anderem auf die Aufgaben und generelle Bedeutung der Medizingeschichte sowie auf die Geschichte dieser Disziplin eingegangen wird, folgt ein erster Teil, in dem Quellen, Literatur, Hilfsmittel und Forschungseinrichtungen vorgestellt werden. Im Anschluss daran werden die Methoden und die unterschiedlichsten theoretischen Ansätze knapp skizziert. Des Weiteren richtet sich der Blick auf die Grenz- und Nachbargebiete, wozu unter anderem auch die Pflegegeschichte und die Geschichte der Zahnmedizin gehören. Abschließend werden die wichtigsten Grundbegriffe (z. B. Medikalisierung, retrospektive Diagnostik), die in der modernen Medizingeschichtsschreibung immer wieder an zentraler Stelle auftauchen, dargestellt und kritisch hinterfragt.
Am Ende eines jeden Kapitels finden sich umfangreiche bibliographische Angaben und Weblinks. Diese Informationen ermöglichen die Vertiefung des hier präsentierten methodischen und theoretischen Grundwissens. Hinsichtlich der aufgeführten Weblinks ist freilich auf das kurze Verfallsdatum solcher Angaben zu verweisen, dem in den Folgeauflagen dieser Einführung jeweils Rechnung zu tragen sein wird. Die im Anhang abgedruckte Liste der wichtigsten medizinhistorisch relevanten Zeitschriften (darunter auch solche, die ihr Erscheinen bereits eingestellt haben) dient ebenfalls der Orientierung und nimmt für sich nicht in Anspruch, vollständig zu sein.
Heidelberg/Stuttgart, im September 2007
Wolfgang Uwe Eckart/Robert Jütte [<<8]
Vorwort zur zweiten, erweiterten Auflage
Nachdem die erste Auflage vergriffen ist, haben sich Verlag und die beiden Autoren der Herausforderung gestellt, eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage dieser Einführung, die von der Kritik als „Standardwerk“ gelobt wurde, auf den Markt zu bringen, zumal die Nachfrage weiter anhält und ein ähnliches Lehrbuch nicht existiert, weder in deutscher noch in einer anderen Sprache. An der bisherigen Gliederung wurde weitgehend festgehalten. Einzelne Kapitel, wie z. B. das über Bilder und neue Medien, wurden um weitere Teilaspekte ergänzt. Ein Kapitel über Biopolitik und Verrechtlichung kam neu hinzu. Die beibehaltenen Kapitel wurden teilweise gekürzt, teilweise auch ergänzt. In allen Fällen wurde der Text auf den neuesten Wissensstand gebracht. Auch die Bibliographien und die Weblinks wurden überprüft und gegebenenfalls aktualisiert. Unser Dank gilt allen Rezensenten, die das Werk nicht nur gelobt und zur Übersetzung empfohlen haben, sondern auch Fehler aufgedeckt und Verbesserungsvorschläge gemacht haben. Wir haben nach Möglichkeit versucht, diese Anregungen aufzugreifen, ohne allerdings das Lehrbuch im Kern und in seiner Zielsetzung zu verändern. Danken möchten die Autoren nicht zuletzt Frau Dorothee Rheker-Wunsch vom Böhlau-Verlag, ohne sie wäre es vermutlich nicht zu einer Neuauflage gekommen.
Heidelberg/Stuttgart, im Februar 2014
Wolfgang Uwe Eckart/Robert Jütte [<<9]
1 Einführung
1.1 Medizingeschichte: Aspekte, Aufgaben, Arbeitsweisen
Eine Einführung in die Medizingeschichte muss sich zwangsläufig damit beschäftigen, was Medizingeschichte eigentlich ist. Dies wiederum setzt voraus, dass auch der Gegenstand des medizinhistorischen Interesses, die Medizin also in unserem Fall, in seinen Grundzügen definiert oder doch zumindest seinen Grundphänomenen entsprechend in einer Weise beschreib- und begrenzbar ist, die ihn für eine historische Betrachtung handhabbar macht. Alle Fragen von Gesundheit und Krankheit sind ebenso bedeutende wie bedrängende Grundprobleme der Menschheit wie die von Leib und Seele, Gott und Welt, Natur und Mensch. Medizingeschichte beschäftigt sich prinzipiell mit den historischen Lösungsversuchen solcher Fragen und bemüht sich um die Einordnung in ihren historischen Kontext. Dass ein solches Bemühen einen umfangreichen Katalog philosophischer, anthropologischer, ethnologischer, religiöser, kultureller, wissenschaftlicher, rechtlicher oder politischer Fragen – um hier nur einige der tangierten Themenfelder zu nennen – eröffnet, liegt auf der Hand. Selbst wenn wir uns auf einen möglichst weit gefassten Begriff von Medizin einigen würden, der – curativ – das professionelle oder vorprofessionell-private Mühen um Wiederherstellung eines subjektiv oder intersubjektiv feststellbar verlorenen Körperzustandes beschreibt, der früher als Gesundheit, körperliche oder geistige Integrität oder auch nur als Störungsfreiheit hätte beschrieben werden können, einen Begriff von Medizin, der zugleich – präventiv – alle Formen der Meidung und alle Maßnahmen zur Verhütung eines subjektiv oder intersubjektiv als nicht gesund empfundenen Körperzustandes meint – selbst dann hätten wir zwar eine grobe Umschreibung dessen, was Medizin als Heilkunde und Heilpraxis curativ und präventiv ganz wesentlich tut. Wir hätten uns aber zugleich um erwartete Definitionsversuche von Krankheit und Gesundheit gedrückt, hätten noch keine Aussage über die kulturelle und soziale Funktion von Heilen (im Sinne der Reintegration) und von vorausgehendem Verhüten (im Sinne der Prävention) getroffen, und schon gar nicht über die Rolle der Medizin überall dort, wo sie im Falle des unwiederbringlichen Verlustes definierter körperlicher oder geistiger Funktionen sich darum müht, einen Menschen wieder in seinen vormals [<<11] existierenden körperlichen Zustand beziehungsweise – wo dies unmöglich ist – in seine soziale oder juristische Position zurückzuversetzen, um auf diese Weise über Rehabilitation eine Reintegration zu erreichen.
Nun kann es nicht Aufgabe einer Einführung in die Medizingeschichte sein, umfassende Begriffsdefinitionen von Krankheit, Gesundheit, Heilung, Prävention, Rehabilitation oder Reintegration zu liefern. Immerhin ist mit diesen Begriffen aber bereits zumindest das theoretische und praktische Aufgabenfeld dessen umschrieben, dem sich Medizingeschichte als Geschichte der Heilkunde und Heilpraxis in ihrem jeweils gültigen historisch-sozialen, kulturell-mentalen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kontext zuzuwenden hat. Es liegt auf der Hand, dass Medizingeschichte in dieser Perspektive nicht ohne das methodische Instrumentarium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, der Kultur- und Mentalitätsgeschichte, der Wissenschaftsgeschichte sowie der Anthropologie und der Ethnologie betrieben werden kann, wenngleich sich ihre primären Erkenntnisinteressen von denen der genannten Disziplinen durchaus unterscheiden können, aber keinesfalls immer müssen (Brieger, 1993; Cooter, 2007).
Die Erkenntnisinteressen der Medizingeschichte sind traditionell vielfältig, und entsprechend wählt sie ihre Gegenstände und Methoden (Paul/Schlich, 1998; Bröer, 1999). Das Forschungsfeld umfasst ein weites Spektrum von Themen, methodischen Zugängen und Perspektiven (Bynum/Porter, 1993). Die Medizingeschichte – sei sie, wie in Deutschland, als eigenständige Disziplin überwiegend an Medizinischen Fakultäten beheimatet oder, wie in vielen anderen Ländern, den Allgemeinen Geschichts- oder Kulturwissenschaften angelagert – kann auf eigenständig gewachsene Traditionen, eigene Fragestellungen und hochdifferenzierte Forschungsinteressen und Schwerpunkte verweisen. Einer jüngeren Tendenz folgend öffnet sie sich jedoch zunehmend Anliegen, Methoden und Fragestellungen, die für ein ganzes Spektrum sehr verschiedener Wissenschaftsbereiche bedeutend sind. Mit dieser Grenzüberschreitung verbunden ist zugleich eine Abkehr von eher traditionell gebundenen Sehweisen, romantisch verklärten oder fortschrittsorientierten Geschichtsbildern und engen Funktionszuweisungen, etwa in der Beschränkung auf die Rolle der Medizingeschichte als Sozialisationsinstrument in der ärztlichen Ausbildung. Medizingeschichte erschließt sich damit zugleich selbst als durchaus heterogenes Feld einer geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen, aber auch politischen Auseinandersetzung mit der Medizin, ihren Grundlagen