Название | Medienrezeptionsforschung |
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Автор произведения | Helena Bilandzic |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846340035 |
Abb. 2.1: Grundmodell des kognitiven Apparates (vgl. Wickens et al., 2004)
Dies kann nun zu zwei unterschiedlichen Prozessen führen:
Erstens können sowohl die eingehenden Informationen als auch Informationen aus dem Langzeitgedächtnis in das Arbeitsgedächtnis übertragen werden. Hier erfolgt nun eine Verarbeitung der Information in Form von Gedanken oder Entscheidungen. Am Ende dieses Prozesses steht die Reaktionsselektion bzw. die Reaktionsausführung. Zudem kann die Information im Langzeitgedächtnis gespeichert werden. Beispielsweise registrieren die Rezipienten beim Schauen eines Werbeblocks im Kino eine Vielzahl von Werbeinformationen. Ein Teil dieser Informationen gelangt in den Wahrnehmungsapparat, beispielsweise Informationen über den Geschmack eines neuen Softdrinks. Diese Information wird vor dem Hintergrund des bereits bestehenden Wissens über Softdrinks eingeordnet und im Gedächtnis abgespeichert. Für diesen Prozess können die Rezipienten je nach Situation und Schwierigkeit der Informationen geringe oder hohe Aufmerksamkeitsressourcen investieren. Schließlich gelangen die Rezipienten zu der Entscheidung, den Drink einmal zu probieren und setzen dies ggfs. später auch um.
Zweitens kann eine direkte Reaktionsselektion und -ausführung erfolgen, ohne dass eine weitergehende Verarbeitung im Arbeitsgedächtnis erfolgt. Dies wären automatische Reaktionen und Handlungen, über die Rezipienten nicht weiter nachdenken. Beispielsweise kann bei Werbebotschaften das Markenimage verbessert werden, ohne dass die Rezipienten dies bemerken und ohne dass sie kognitive Ressourcen investieren (vgl. z. B. Schemer, Matthes, Wirth & Textor, 2008). Auch die sogenannte implizite Urteilsbildung, die wir später kennen lernen werden, beschreibt einen solchen Prozess.
Zusammenfassend zeigt das Modell alle wichtigen Eckpunkte im Informationsverarbeitungsprozess, die wir im Folgenden etwas genauer unter die Lupe nehmen werden. Entscheidend an diesem einfachen Modell ist, dass die Prozesse nicht immer von links nach rechts ablaufen müssen. Der Prozess kann vielmehr an jedem Punkt des Modells gestartet werden.
2.2 Informationsaufnahme: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
Warum übersehen Rezipienten in einem Medienangebot bestimmte Einzelheiten, und warum fällt es den Rezipienten schwer, ihre Aufmerksamkeit mehreren Reizquellen gleichzeitig zu widmen? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns mit zwei grundlegenden Phänomenen beschäftigen, die bei allen Rezeptionsphänomenen eine wichtige Rolle spielen: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit.
2.2.1 Wahrnehmung
Wahrnehmung ist ein grundlegender und essentieller Prozess im menschlichen Organismus. Sie umfasst nicht nur haptische, visuelle, auditive, olfaktorische oder gustatorische Reize, sondern auch die Wahrnehmung des Körpers sowie die Wahrnehmung von Sprache und Zeit (vgl. für einen umfassenden Überblick Hagendorf, Krummenacher, Müller & Schubert, 2011). Nicht all dies ist für die Rezeptionsforschung von Belang. Entscheidend ist an dieser Stelle die grundlegende Feststellung, dass Wahrnehmungsprozesse gegenüber bewussten, willentlichen Eingriffen weitgehend abgeschottet sind; sie verlaufen schnell und ermöglichen damit eine optimale Anpassung an die physikalische Umwelt. Demgegenüber sind Denkprozesse verhältnismäßig langsam und auch der bewussten Kontrolle zugänglich (vgl. Lang, 2000; Wirth, 1997). Zudem haben wir bereits weiter oben festgestellt, dass die menschliche Wahrnehmung nicht als ein Abbild der Umwelt im Sinne einer physikalisch korrekten Beschreibung verstanden werden kann. Menschen stehen nur eine begrenzte Anzahl von Sinnesorganen zur Verfügung. Das bedeutet, dass nicht alle physikalischen Reize für uns wahrnehmbar sind. Neben den Begrenzungen infolge der beschränkten Leistungsfähigkeit unserer Sinnesorgane gibt es noch einen anderen Grund, warum wir nicht alle Reize wahrnehmen können: die Aufmerksamkeit, mit der wir unsere Umgebung (wie beispielsweise Medienbotschaften) betrachten.
2.2.2 Aufmerksamkeit
In der Regel werden zwei zentrale Funktionen von Aufmerksamkeit unterschieden (vgl. im Folgenden Wirth, 2001): Erstens die Selektion von relevanten Informationen aus einer Fülle von Reizen und zweitens der Abgleich von einströmenden Informationen mit bestehenden Wissensbeständen, damit wir aus einer Flut von Reizen Bedeutung generieren können. Aufmerksamkeit wird dabei meist als ein Wechselspiel zwischen dem willentlichen Lenken auf Umweltreize und dem unwillkürlichen Generieren von Aufmerksamkeit durch Umweltreize verstanden.
Merksatz
Die Wahrnehmung des Menschen verläuft in der Regel schnell und automatisch. Demgegenüber sind Denkprozesse verhältnismäßig langsam und der bewussten Kontrolle zugänglich.
Man unterscheidet willkürliche und unwillkürliche Aufmerksamkeit. Die willkürliche Aufmerksamkeit (auch Top-down-Processing) ist durch das Vorwissen, die Erwartungen oder die Einstellungen der Rezipienten geprägt. Die unwillkürliche Aufmerksamkeit (auch Bottom-up-Processing) richtet sich nach den Eigenschaften der Medienstimuli. Sie wird auch als datengeleitete Informationsverarbeitung bezeichnet.
Willkürliche und unwillkürliche Aufmerksamkeit
Beispielsweise können wir bei der Medienrezeption gezielt unsere Aufmerksamkeit auf eine Nachrichtenbotschaft lenken, die die vermittelten Informationen vor dem Hintergrund bestehender Wissensbestände einordnet und abspeichert (vgl. das Grundmodell des kognitiven Apparates in Abb. 2.1). Dies nennt man kontrollierte oder willkürliche Aufmerksamkeit (vgl. im Folgenden Wirth, 2001; siehe auch Kahneman, 1973; Neisser, 1974). Solche kontrollierten Aufmerksamkeitsprozesse sind uns bewusst und sie beanspruchen kognitive Kapazitäten. Allerdings können sie durch ständige Wiederholung automatisiert werden, so dass sie zu einem späteren Zeitpunkt schneller und mit geringerem kognitivem Aufwand ablaufen. Beispielsweise müssen sich Spieler von Computerspielen zu Beginn eines neuen Spiels stark auf die Schlüsselreize des Spiels konzentrieren. Nach entsprechender Übung ist dies nicht mehr notwendig, so dass die Spieler automatisch und ohne starke willentliche Anstrengung reagieren können.
Oder wir werden zum Beispiel im Fernsehen mit Werbung konfrontiert, in der plötzlich für uns interessante Bilder gezeigt werden. Als Folge lenken wir – gewissermaßen als Reaktion auf die Werbereize – unsere Aufmerksamkeit auf den Inhalt der Werbung. Dies fällt unter die Rubrik unwillkürliche bzw. automatische Aufmerksamkeit. Unwillkürliche Aufmerksamkeitsprozesse sind uns zwar bewusst, sie verlaufen jedoch unkontrolliert und werden durch Umweltreize ausgelöst. Sie sind gewissermaßen von außen gesteuert. Das bedeutet: Unsere Aufmerksamkeit wird unwillkürlich geweckt durch auffällige Reize oder Objekte, beispielsweise Farben, Bewegungen oder Geräusche. Diese Reize erwecken unsere Aufmerksamkeit, ohne dass wir das bewusst steuern können. Willkürliche und unwillkürliche Aufmerksamkeit werden häufig auch als Top down und Bottom up bezeichnet. Das Top-down-Processing beschreibt jene Informationsverarbeitung, die durch das Vorwissen, die Erwartungen oder die Einstellungen der Rezipienten gesteuert wird. Das Bottom-up-Processing bezeichnet die datengeleitete Informationsverarbeitung, die sich nach dem Stimulus richtet. Zudem bestehen beim Menschen sogenannte latente Aufmerksamkeitsdispositionen, die aktiviert werden, wenn wir mit bestimmten Reizen konfrontiert werden. Interessieren wir uns beispielsweise aufgrund unserer persönlichen Situation generell stark für das Thema Kinderbetreuung, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass uns dieses Thema im Fernsehen auffällt, größer als bei geringem Interesse, selbst wenn wir das Geschehen auf dem Bildschirm nur nebenbei verfolgen.
Wenn wir nun bei der unwillkürlichen Aufmerksamkeit den Reizen folgen, wie können wir dann aus der Flut von Informationen bei der Medienrezeption Sinnvolles von Unwichtigem unterscheiden? Zur Beantwortung dieser Frage wird in der Regel auf drei Mechanismen verwiesen (vgl. Wirth, 2001).
Zum Ersten gibt es beim Menschen latente Selektionsdispositionen, die in angeborenen Reflexen oder grundlegenden Bedürfnissen verankert sind. Beispielsweise