Medienwandel. Joseph Garncarz

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Название Medienwandel
Автор произведения Joseph Garncarz
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846345405



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bestimmte historische Phänomene gebunden und müssen verändert werden, wenn sich das Phänomen selbst verändert. Die Digitalisierung des Kinos, die sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt hat, erfordert zunächst nicht, die gegebene Definition neu zu fassen, da sich allein die Projektionstechnik verändert hat. An die Stelle eines analogen Filmprojektors ist ein digitaler getreten. Diese technische Veränderung ermöglicht es jedoch, anstatt Filmen z. B. Live-Events wie Opernaufführungen oder Sportveranstaltungen in die digital ausgestatteten Kinos zu übertragen. Kino ist demnach nicht mehr allein die Projektion von Filmen, sondern ebenso die von Live-Events. Tritt nun an die Stelle der klassischen Leinwand, auf die das Bild projiziert wird, ein Bildschirm – wie das beim Heimkino der Fall ist, in dem große Flachbildschirme zunehmend Beamer ersetzen –, hat auch dies einen unmittelbaren Einfluss auf die gegebene Definition. Kino wäre demnach nicht mehr allein die Projektion von Filmen, sondern die Vorführung bewegter Bilder vor einem Publikum.

      Medieninstitutionen entstehen also unter analysierbaren kulturellen und historischen Bedingungen. Sie prägen Mediennutzungsformen, die sich etwa hinsichtlich des Aufführungskontextes und des jeweiligen Publikums unterscheiden. Die internationalen Varietés in Deutschland zeigten um 1900 andere Filmprogramme als die lokalen Varietés, da sie sozial gesehen ein anderes Publikum adressierten. War in den internationalen Häusern eine Filmberichterstattung über aktuelle Ereignisse zu sehen, die zeitgenössisch als Optische Berichterstattung bezeichnet wurde, so zeigten lokale Varietés ein buntes Unterhaltungsprogramm. Während sich in den internationalen Häusern Angehörige der oberen sozialen Schichten zu einem Publikum versammelten, rekrutierten die lokalen Varietés ihr Publikum aus den unteren sozialen Schichten.11

      [22]Medientechnologien sind grundsätzlich politisch neutral, Mediennutzungsformen und Medieninstitutionen sind es nicht. Medientechnologien, die zur Übertragung von Bewegtbildern bzw. zur Kommunikation benutzt werden, können zu konträren politischen Zwecken dienen. Bewegtbilder können dazu benutzt werden, Menschen ideologisch zu indoktrinieren – Beispiele dafür sind etwa die im World Wide Web verbreiteten Videoclips des sogenannten Islamischen Staates (IS), mit denen insbesondere junge Männer zum Kampf gegen alle, die sich nicht dem islamischen Fundamentalismus anschließen, geworben werden sollen. Bewegtbilder können andererseits auch zur Aufklärung über solchen Terror produziert werden. Soziale Medien wie Twitter und Facebook können benutzt werden, um – wie der »arabische Frühling« 2010/11 gezeigt hat – Diktaturen wie das Regime von Zine el-Abidine Ben Ali in Tuniesien zu stürzen. Sie können aber auch dazu benutzt werden, ein Terrorregime wie den Islamischen Staat zu etablieren, indem sich IS-Kämpfer via Social Media organisieren.

      Mediennutzungsformen können politisch neutral sein, sind es aber in der Regel nicht. Publizierte wissenschaftliche Studien wie etwa repräsentative Meinungsumfragen des Pew Research Centers in den USA oder des Allensbacher Instituts in Deutschland analysieren die Meinung der Bevölkerung, ohne die Analyse etwa von religiösen Überzeugungen der Forscher beeinträchtigen zu lassen. Unterhaltung ist dagegen in einem hohen Maß kulturell differenziert, da sich die Kulturen der Welt unterscheiden und Vergnügen vor allem bereitet, was den eigenen Anschauungen entspricht (mehr dazu weiter unten).

      Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte man

       von Medientechnologien, Mediennutzungs formen und Medieninstitutionen sprechen oder

       nur von Technologien, Nutzungsformen und Institutionen sprechen, wenn kontextuell klar ist, dass von Medien die Rede ist, oder

       von Medien sprechen, wenn kontextuell hinreichend klar ist, ob die Technologie, die Nutzungsform oder die Institution gemeint ist oder

       von Medien sprechen, wenn von Technologien, Nutzungsformen und Institutionen zugleich die Rede ist.

      Grundfunktionen der Medien

      Technische Mittel zur Verbreitung von Informationen werden von Menschen für unterschiedliche Zwecke benutzt. Menschen nutzen Medien, um mit anderen zu kommunizieren, sich zu orientieren bzw. sich unterhalten zu lassen. Medien erfüllen also Grundbedürfnisse nach Kommunikation, Orientierung und Unterhaltung. Diese Grundbedürfnisse sind in verschiedenen Zeiten und Gesellschaften[23] bei jeweils anderen sozialen Schichten und Altersgruppen unterschiedlich ausgeprägt. Sie dürften aber in Gesellschaften jedweder Art, also in Stämmen wie in Staaten, ob sie nun demokratisch oder diktatorisch verfasst sind, vorkommen und damit eine anthropologische Grundlage haben.

      Sowohl Kommunikation (als Gespräch von Angesicht zu Angesicht), Orientierung via Wissenserwerb (durch mündlichen Unterricht) als auch Unterhaltung (durch Schauspieler auf der Theaterbühne) sind ohne technisch vermittelte Medien (wie Telefon, Buch und Fernsehen) nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Medien werden zur Erfüllung der Grundbedürfnisse erst unter analysierbaren Bedingungen eingesetzt. So setzen Medien eine vergleichsweise weit entwickelte Gesellschaft voraus. Sind Gesellschaften überschaubar, dann brauchen sie auch kaum technische Mittel zur Informationsübermittlung, Mediennutzungsformen und -Institutionen. Je komplexer eine Gesellschaft ist, desto notwendiger wird eine mediale Vermittlung.

      Was verstehen wir unter Kommunikation, Orientierung und Unterhaltung? Als Kommunikation bezeichnet man den Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehr Menschen. Kommunikation erfüllt dabei grundsätzlich einen doppelten Zweck: Über den Austausch von Informationen hinaus befriedigt Kommunikation auch das Grundbedürfnis nach menschlicher Zuwendung.

      Kommunikation kann immer wieder gestört sein – was man sich anhand des Spiels »Stille Post« verdeutlichen kann. Je komplexer die Information, desto wahrscheinlicher ist, dass sie im Lauf des Kommunikationsprozesses verfälscht wird. Anders als oft behauptet wird, ist Kommunikation jedoch nicht grundsätzlich gestört, sondern ihr Funktionieren der Regelfall. Ohne dass Kommunikation gelingt, ist kein Zusammenleben von Menschen möglich.

      Wie kommuniziert wird, ist u. a. kulturell und sozial differenziert. Menschen sprechen nicht nur unterschiedliche Sprachen; die Art, wie sie kommunizieren, ist zudem von einer Fülle von Faktoren abhängig. Ein wichtiger Faktor ist die Abhängigkeit der Menschen voneinander. So unterscheidet sich die Kommunikation des Angestellten einer Firma mit seinem Chef von der eines Liebespaares untereinander. Die Kommunikation in einer militärischen Befehlskette ist eine völlig andere als die in einer Veranstaltung an einer Universität. Die Kommunikation unterliegt zudem einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel: Der Wertewandel, der sich infolge des Zweiten Weltkriegs in den westlichen Industriegesellschaften seit den 1960er-Jahren vollzogen hat, hat die Kommunikation in Firmen bzw. Universitäten in gewissem Umfang liberalisiert. Angestellte können heute ungezwungener mit ihren Chefs sprechen als in den 1950er-Jahren, und Studierende kommunizieren heute informeller mit ihren akademischen Lehrern.

      Mit Medientechnologien wie dem Telefon oder Social Media wie Facebook oder Twitter wird eine Kommunikation über räumliche Distanzen hinweg möglich.

      [24]Menschen tauschen sich über Privates oder Berufliches innerhalb der eigenen Stadt, des eigenen Landes oder über Kontinente hinweg aus. Die Kommunikation findet zeitgleich statt (wie beim Telefon oder Skypen) oder erfolgt nur in einem geringen Maß zeitverzögert (wie bei den Social Media Facebook oder Twitter).

      Als Orientierung bezeichnet man die Fähigkeit des Menschen, sich zeitlich, räumlich und in Bezug auf sich selbst und seine Mitmenschen zurechtzufinden und die Welt in einem bescheidenen Maß kontrollieren zu können. Ein wichtiges Mittel zur Orientierung ist das Wissen, das symbolisch mittels Sprache und Schrift repräsentiert wird. Mithilfe des Wissens sind Menschen handlungsfähig; sie können sich zwischen Alternativen entscheiden und entsprechend handeln. Das Wissen ist jedoch keineswegs das einzige Orientierungsmittel. Menschen handeln auch, weil sich andere Menschen in einer bestimmten Art verhalten oder weil Menschen, die mit einer bestimmten Autorität ausgestattet sind, es von ihnen verlangen. Menschen orientieren sich oft am Verhalten anderer Menschen und treffen ihre Entscheidungen sogar wider besseres Wissen.

      Grundsätzlich lassen sich zwei Formen des Wissens unterscheiden: das realitätsgerechte und das nicht-realitätsgerechte Wissen, wobei wir ein Wissen dann als realitätsgerecht bezeichnen, wenn es intersubjektiv einer Überprüfung standhält. Ein Beispiel dafür sind etwa die über GPS vermittelten räumlichen Daten, die es uns ermöglichen, mittels