Medienwandel. Joseph Garncarz

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Название Medienwandel
Автор произведения Joseph Garncarz
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846345405



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Medium galt also die Form des Verbs, die deutlich macht, dass sich die Aussage in einem besonderen Maß auf den Sprecher selbst bezieht.

      Meyers online definiert den Begriff Medium einhundert Jahre später so:

»1.[lateinisch ›Mitte‹] das, Plural Medien, allgemein: Mittel, vermittelndes Element.
2.[lateinisch ›Mitte‹] das, Plural Medien, Kommunikationswissenschaft: jedes Mittel der Publizistik und Kommunikation (→Medien).
3.Physik: Träger physikalischer oder chemischer Vorgänge, insbesondere im Sinne der Vermittlung von Wirkungen (z. B. Luft als Träger von Schallwellen); häufig synonym mit ›Stoff‹, ›Substanz‹ verwendet. Elektromagnetische, Gravitations- und Materiewellen breiten sich ohne Medium aus.
4.Parapsychologie: ein Mensch mit paranormalen Fähigkeiten. (→Okkultismus, →Parapsychologie, →Spiritismus)«5

      [15]Unter »Medien (Publizistik)« heißt es:

      »Medien [lateinisch], Vermittlungssysteme für Informationen aller Art (Nachrichten, Meinungen, Unterhaltung), die durch die →Neuen Medien starke Erweiterung erfahren haben; im engeren Sinn die Massenmedien (→Massenkommunikation).«6

      Die Bedeutung des Begriffs Medium bleibt im 20. Jahrhundert zumindest in zweierlei Hinsicht konstant: Der Begriff wird im Sinn von »vermittelndes Element« unverändert verwendet, und zudem bleibt die parapsychologische Verwendung des Begriffs als konkrete Objektbedeutung bestehen.

      Zu diesen tradierten Bedeutungen kommen im Verlauf des 20. Jahrhunderts neue Bedeutungen hinzu, die die älteren, wenn nicht verdrängen, so doch im alltäglichen Sprachgebrauch überlagern. Eine hervorragende Quelle für Wortbedeutungen ist über Enzyklopädien hinaus das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts (DWDS), das über rund 80.000 Texte mit 100 Millionen Wörtern verfügt.7 Die Texte entstammen den Textsorten Belletristik, Gebrauchsliteratur, Zeitung und Wissenschaft. Sie verteilen sich gleichmäßig auf alle Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Wertet man dieses Textkorpus aus, kann man grundlegende Aussagen über den Wandel des Medienbegriffs machen.

      Der Begriff Medium wird erst seit den 1980er-Jahren inflationär verwendet. Taucht er im Textkorpus seit 1900 etwa 100-mal pro Jahrzehnt auf, so steigert sich die Nutzung in den 1990er-Jahren um den Faktor 10. Die häufigere Verwendung des Begriffs in den 1980er- und 1990er-Jahren erfolgt nicht primär in der Belletristik oder in der Gebrauchsliteratur, sondern in journalistischen und wissenschaftlichen Texten.

      Der Begriff wird – wie auch die zitierten Enzyklopädie-Artikel zeigen – Anfang des 20. Jahrhunderts in aller Regel nur im Singular gebraucht, Ende des 20. Jahrhunderts aber ganz überwiegend im Plural. Der Begriff, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts überwiegend auf konkrete Objekte bezog (»ein Genus des Verbums«, »jemand, der den Verkehr mit der Geisterwelt vermittelt«, »flanellartiger Wollenstoff«), wird am Ende des Jahrhunderts in einem stärkeren Maß als ein Begriff auf einem höheren Syntheseniveau verwendet (»jedes Mittel der Publizistik und Kommunikation«, »Träger physikalischer oder chemischer Vorgänge«).

      Die häufigste Verwendung des Begriffs in den 1990er-Jahren bezieht sich auf die sogenannten Massenmedien Presse, Rundfunk und Fernsehen. Der Begriff zielt dabei in aller Regel nicht auf Unterhaltung, sondern auf aktuelle Berichterstattung und Meinungsbildung (weshalb der Film in einer solchen Aufzählung in aller Regel nicht auftaucht). Da es oft um eine wertende Benennung einer Wirkungsmacht von Presse, Rundfunk und Fernsehen geht, ist in der Regel von »den Medien« (und nicht etwa vom einzelnen Medium) die Rede.

       [16]

      Wortverlauf Medienim 20. Jahrhundert nach der Zahl der Nennungen im Kernkorpus des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts(www.dwds.de)

      Basisbegriffe

      Je mehrdeutiger und abstrakter ein Begriff ist, desto sorgfältiger muss man darauf achten, dass er klar definiert wird. Es gibt nicht die richtige Definition; es gibt nur konkurrierende Definitionen. Allerdings gibt es sinnvollere und weniger sinnvolle Definitionen. Eine Definition ist dann sinnvoll, wenn sie als Basiskonsens einer Gegenstandsbeschreibung zwischen Kommunikationspartnern dient und damit eine Wissensbildung bzw. -vermittlung über den jeweiligen Gegenstand befördert.

      Dieses Buch folgt nicht dem in Teilen der deutschen Medienwissenschaft anzutreffenden Trend, den Medienbegriff im Sinn der ursprünglichen lateinischen Bedeutung als »Mittel, etwas Vermittelndes« auf einer sehr hohen begrifflichen Syntheseebene zu fassen. Wenn man mit einem derart abstrakten Medienbegriff arbeitet, wird der Gegenstand der Medienwissenschaft unscharf, da Urknall und Mode, Geld und Luft, Rundfunk und Liebe nur so viel miteinander zu tun haben, dass sie »etwas vermitteln«. Je unpräziser der Medienbegriff definiert wird, desto rätselhafter wird, was der Gegenstand der Medienwissenschaften (und damit auch der der Medienhistoriografie) ist. Je unklarer die Konzeptualisierung des Gegenstandsbereichs einer wissenschaftlichen Disziplin jedoch ist, desto weniger relevant dürfte diese Disziplin für die Gesellschaft sein.

      [17]Als Medien werden in diesem Buch technische Verbreitungsmittel von Informationen von Mensch zu Mensch, ihre Nutzungsformen sowie die Institutionen, die sie verwenden bzw. hervorbringen, verstanden. Als technische Mittel gelten hier von Menschen gemachte, aus Werkstoffen bestehende Systeme (wie z. B. Druckerpresse, Filmkamera und -projektor, Fernseher, Smartphone, Computer), die mechanisch, elektrisch oder elektronisch funktionieren. Der Informationsbegriff wird hier semantisch definiert; eine Information ergibt für Produzenten und Rezipienten »Sinn«. Es geht also um die nachrichtentechnische Übertragung von Bits und Bytes nur insofern, als damit eine codierte Bedeutung übertragen wird. Die Information hat für die Produzenten und Rezipienten eine Bedeutung wobei es nur darum geht, dass der Empfänger die Botschaft versteht, nicht um deren Wert für den Empfänger. Weder muss eine Information den Empfänger interessieren noch muss er mit ihr einverstanden sein.

      Im Folgenden soll die Definition hinsichtlich ihrer drei Teilaspekte, der Technologie, Nutzungsform und Institution, erläutert werden. Als Medientechnologien werden alle technischen Mittel bezeichnet, die zur Übermittlung von Informationen zwischen Menschen dienen. Im Vergleich zum Begriff Technik wird der Begriff Technologie hier als ein Begriff auf einer höheren Syntheseebene verwendet. Als Technologie (altgr. téchne »Fähigkeit, Kunstfertigkeit, Handwerk« und lógos »Lehre, Vorgehensweise«) wird hier nicht die Lehre der Technik, sondern die Anwendung von komplexen Techniken verstanden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. So bedient sich etwa die klassische Filmtechnologie physikalischer, chemischer und wahrnehmungspsychologischer Kenntnisse, um mittels diverser Techniken wie des intermittierenden Filmtransports eine Bewegtbildaufnahme bzw. -wiedergabe zu erreichen. Der Begriff Technologie tritt im Deutschen meist in Wortkombinationen auf, etwa bei Gentechnologie, Biotechnologie oder Medientechnologie, und bezeichnet komplexe Techniken, die in diesen besonderen Bereichen zur Anwendung kommen, um bestimmte Probleme zu lösen.

      Technologien wie der Druck, der Film und der Rundfunk sind in diesem Sinn Medientechnologien, da mit ihnen Informationen verbreitet werden. Als Druck bezeichnet man die Reproduktion von Texten oder Bildern durch Übertragung von Druckfarben mittels einer Druckform auf einen zu bedruckenden Stoff (wie Papier). Als Film werden sequenziell, auf einer mit einer lichtempfindlichen Emulsion beschichteten, transparenten Folie aufgenommene Bilder verstanden, die so wiedergegeben werden, dass eine perfekte Bewegungsillusion entsteht. Unter Rundfunk versteht man die Übertragung von Tönen, unter Fernsehen die Übertragung von Bildern mittels elektromagnetischer Wellen, wobei der Rezipient sie in dem Moment empfängt, in dem sie gesendet werden.

      Ein Problem solcher Definitionen ist, dass sie sich selbst mit dem Wandel der Medientechnologien verändern können. Filme werden heute überwiegend digital[18] und nicht mehr auf lichtempfindlichen Folien, den Filmstreifen, aufgenommen, und Fernsehbilder werden nicht mehr analog, sondern digital als Nullen und Einsen codiert, gesendet und decodiert. Das Verständnis solcher Definitionen wird zudem dadurch erschwert, dass mit den Begriffen