Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Stephanie Geise

Читать онлайн.
Название Grundlagen der Visuellen Kommunikation
Автор произведения Stephanie Geise
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846324141



Скачать книгу

bleibt, denn noch befinden Sie sich auf dem Weg zur Bildanalyse und -interpretation. Zentral für eine umfassende Bildbeschreibung sind Format, Technik, Farbigkeit und Qualität des Bildes.

      An dem folgenden Beispiel soll die Beschreibung eines Bildes veranschaulicht werden. Zur Interpretation vgl. Kapitel 4.3.

       Bildbeschreibung zu Abb. 15

      Der hochformatige Stich zeigt zwei menschliche Figuren vor einem Himmel als Hintergrund. Die Bildkomposition ist durch dynamische Diagonalen und einen bildimmanenten Perspektiven- und Schattenwechsel geprägt. In der linken oberen Bildecke ist ein Auge im Dreieck dargestellt, das durch eine Sonnenaureole umgeben ist. Aus dem Auge entspringt ein Lichtstrahl, der auf das Brustamulett einer geflügelten Figur gerichtet ist, die in Richtung des himmlischen Auges blickt. Die weibliche Figur ist in weite, wallende Gewänder gehüllt und trägt zwei Flügel auf dem Kopf. Ihre bloßen Arme ragen unter dem Gewand hervor und sind zur Seite ausgebreitet, während ihr linker Fuß auf einer großen Kugel steht, die mit einem figurenverzierten Band geschmückt ist. Der aus dem Himmel kommende Lichtstrahl wird durch das Brustamulett der weiblichen Figur gebrochen und strahlt von rechts oben nach links unten auf eine ebenfalls stehende männliche Figur auf einem steinernen Sockel. Auch diese statuenhafte Figur ist mit einem weiten Umhang bekleidet, wobei die Beine jedoch nackt sind. Der dargestellte Mann ist bärtig. Er hält den Kopf leicht gesenkt und blickt auf den Boden. Dort liegen mehrere an die Antike erinnernde Symbole: links ein Flügelhelm, ein Schlangenstab, eine Waage, ein Geldsäckchen, Fasces mit Axt sowie ein Dolch oder Schwert. Rechts dahinter ist ein liegender kannelierter Säulenschaft und darauf eine Schrifttafel mit den beiden Aufschriften »ABK« und »ABC« zu sehen.

      Dahinter sind zwei eigentümliche Gerätschaften abgebildet. Links und leicht verdeckt durch die männliche Statue, lehnt ein Pflug oder ein Ruder. Bei dem Stab direkt hinter der ABC-Tafel könnte es sich um einen Anker handeln. Am rechten Bildrand, vor angedeuteten Bäumstämmen im Hintergrund, steht auf einem eckigen Sockel ein bauchiges Gefäß mit spitz zulaufendem Deckel. Das Zentrum des Bildes wird durch einen altarähnlichen Steinquader eingenommen, auf dem ein Füllhorn mit dampfender Substanz, ein weiteres kleines Gefäß sowie flackerndes Feuer dargestellt sind. Unmittelbar dahinter türmen sich dunkle Wolken auf, die den mittleren Bildgrund beherrschen. Lediglich die linke obere Ecke mit dem himmlischen Auge ist heller gestaltet.

      So oder ähnlich könnte die idealtypische Beschreibung von Abb. 15 lauten, die zugegebenermaßen den Beschreibenden einigen Zwang antut, besonders wenn die abgebildeten Personen bereits erkannt wurden. Allerdings ist gerade diese bewusste Form der Neutralisierung des eigenen Blicks eine gute Schule, verhindert sie doch allzu voreilige Schlussfolgerungen und Wertungen des Dargestellten. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Bildbeschreibung der erste Schritt auf dem Weg zur Interpretation ist. Bildbeschreibung ist durchaus mit der ersten Auswertung von wichtigen Hinweisen in einem Kriminalfall vergleichbar. Werden relevante Details bei der visuellen »Spurensicherung« (Ginzburg 1988) übersehen oder fehlerhaft bezeichnet, kann dies leicht auf eine falsche Fährte führen.

      Bildbeschreibung ist eine forensische Methode.

      Der italienische Historiker Carlo Ginzburg (1988) verglich in einem seiner Artikel des noch immer lesenswerten Bändchens »Spurensicherung. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis« die Vorgehensweise des Bildinterpretierens mit der Methode eines Sherlock Holmes. Tatsächlich birgt die Bildgestaltung visuelle Indizien zur Beantwortung einer größeren Frage oder zur Lösung eines Problems. Zugleich verfolgt der Bildforschende, beinahe detektivisch und kaum weniger akribisch, eine bestimmte, meist aus der Theorie abgeleitete, These über die Bedeutungen, Funktionen und Wirkungspotenziale der analysierten Bilder. Diese Thesen zu erhärten oder sie zu widerlegen ist Aufgabe der Bildinterpretation, die jedoch nur nach ausgiebiger Bildanalyse erfolgen kann. Dieser zweite Schritt, der nicht ohne die Kenntnis schriftlicher Quellen sowie der Bildtypengeschichte möglich ist, wird im folgenden Kapitel behandelt. Zuvor sollten Sie jedoch noch an zwei weiteren Beispielen den ersten Schritt, die vor-ikonografische Beschreibung, üben.

       Übung 1

      Dieses Mal handelt es sich nicht um abgebildete Personen, sondern um Objekte, die in zwei fotografischen Darstellungen vorliegen. Bitte gehen Sie folgendermaßen vor: Zunächst notieren Sie sich auf einem separaten Blatt (oder in einem neuangelegten Word-Dokument) Ihre spontanen ersten Eindrücke und mögliche spontane Assoziationen und/oder emotionale Reaktionen. Decken Sie mit weißen Blättern den Umgebungstext des Bildes, das Sie beschreiben, ab. Nun versuchen Sie möglichst neutral, und möglichst präzise Abb. 16 zu beschreiben. Dann wiederholen Sie das Prozedere mit Abb. 17.

      Nachdem Sie beide Bildbeschreibungen fertiggestellt haben, folgt die Vorbereitung auf die ikonografische Analyse: Vergleichen Sie Abb. 16 mit Abb. 17 und Ihre beiden vor-ikonografischen Beschreibungen. Was ist den beiden Bildern gemein, worin unterscheiden sich die beiden Übungsbilder? Notieren Sie zum Schluss, ob Sie irgendwelche emotionalen Assoziationen und Reaktionen auf eines der beiden oder auf beide Bilder haben. Dies können ganz persönliche Assoziationen sein, weil sie der dargestellte Gegenstand an eine bestimmte Person erinnert. Es ist genauso möglich, dass Sie beide Übungsbilder in keiner Weise ansprechen. Wichtig ist lediglich, dass Sie notieren, was Sie bei der Betrachtung und Beschreibung der beiden Bilder empfunden haben. In Kapitel 4.3 werden wir dann auf Ihre Beschreibungen zurückkommen.

      Bildanalyse ist im Wesentlichen Bedeutungszuweisung durch den Forscher. Als Handwerkszeug dienen dabei Schriftquellen, die Typengeschichte sowie der »Bedeu-tungssinn« (vgl. Abb. 3, S. 27). Die analytische Beschreibung konzentriert sich auf die wesentliche Aussage und die relevanten Besonderheiten des Bildes. Möglichst objektive Beschreibungen, wie sie im vorangehenden Kapitel geübt wurden, sind für das Sehtraining und das Schärfen des begrifflichen Instrumentariums notwendig und hilfreich. In der wissenschaftlichen und journalistischen Praxis lässt es sich oft nicht vermeiden, dass die Bildbeschreibung auch analytische und interpretative Elemente enthält. Dabei sollten Sie sich allerdings vor begrifflicher Überspitzung sowie vor der Vorwegnahme Ihres Interpretationsergebnisses hüten. Bereits auf der analytischen Ebene beginnen Sie zu recherchieren, nach der Bildquelle zu fahnden, Vorbilder oder ähnliche Bildmotive zu suchen sowie sich näher mit dem gewählten Gestaltungsgenre des Bildes zu befassen. Zunächst sollen Sie jedoch eigenständig an einem neuen Bildbeispiel die analytische Beschreibung üben.

       Übung 2

      Beschreiben und analysieren Sie Abb. 18. Achten Sie dabei auf das Wesentliche. Formulieren Sie einfach, aber präzise. Vermeiden Sie komplizierte Schachtelsätze. Recherchieren Sie die wichtigsten biografischen Daten des Porträtierten und lassen Sie diese Information