Название | Empirische Sozialforschung |
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Автор произведения | Günter Endruweit |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846344606 |
Induktion
Stichwörter
Gesetz und Regel
Falsifikation und Verifikation
Validität
Reliabilität
Wertfreiheit
Marxistische Wissenschaftstheorie
Abbildungen
Abb. 1: Grundorientierungen empirischer Wissenschaften
Abb. 2: Wachstum von Verwaltungsaufgaben und Bürokratisierung (nach Max Weber)
Abb. 3: Angenommener empirischer Verlauf der Kurven für Verwaltungsaufgaben und Bürokratisierung
Abb. 4: Subsystems of Action (Talcott Parsons)
Abb. 5: Ablaufschema des sozialwissenschaftlichen Forschungsprozesses
Einleitung: Wozu Wissenschaftstheorie der empirischen Sozialwissenschaften?
Zu Beginn gleich eine Warnung: Wer eine Sozialwissenschaft rein geisteswissenschaftlich betreiben will, der lege dieses Buch sofort zur Seite; es könnte ihn nur verwirren. In den Zeiten, in denen man alle Wissenschaften entweder den Natur- oder den Geisteswissenschaften zuordnete, zählten die Sozialwissenschaften gewiss zu den Geisteswissenschaften.
Inzwischen herrscht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass die Sozialwissenschaften eine dritte Gruppe zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften bilden.1 Dabei nähern sie sich in ihren Forschungsmethoden den Naturwissenschaften an, arbeiten also empirisch, d. h. sie wollen Aussagen über ihre Objekte nur dann machen, wenn sie diese zuvor durch Erfahrung (griech.: Empirie) mit Hilfe genau festgelegter Methoden an der Wirklichkeit ihres Objekts überprüft haben. Das ist heute wohl in allen Sozialwissenschaften die herrschende Richtung.
Unter Sozialwissenschaften sollen hier insbesondere – in alphabetischer Reihenfolge – Demografie, Erziehungswissenschaft, Ethnologie, Politikwissenschaft, (Sozial-)Psychologie, Soziologie und empirische Wirtschaftswissenschaften verstanden werden. Daneben sind, zumindest zu einem großen Teil, Sozial- und Kulturanthropologie, Kommunikationswissenschaft, Sprachwissenschaft, Sozialmedizin und Historische Verhaltensforschung sozialwissenschaftlich orientiert. Auch in anderen Studiengängen, wie etwa Agrarwissenschaften und Ökotrophologie, nehmen sozialwissenschaftliche Anteile eher zu als ab.
Für Studierende dieser Fächer, aber auch für Laien, die sich für die genannten Wissenschaften interessieren, will dieses Buch Informationen darüber bieten, was deren Wissenschaftlichkeit ausmacht. Anders ausgedrückt: Die Wissenschaftstheorie gibt Antwort auf die Frage, wann eine Aussage eines Fachvertreters wirklich wissenschaftlich ist und nicht bloße persönliche Meinung. Das kann nur die Erfüllung der wissenschaftstheoretischen Regeln leisten, nicht schon der Gebrauch von Fremdwörtern, Schachtelsätzen, Tabellen, Formeln und anspruchsvoll klingenden Theorien.
Damit ist die Wissenschaftstheorie unabdingbare Grundlage für alles Arbeiten in den empirischen Sozialwissenschaften. Erstaunlicherweise kommt sie als ausdrücklich so genannte Lehrveranstaltung nur in wenigen Studiengängen vor. Das schließt aber nicht aus, dass Elemente der Wissenschaftstheorie in manchen Lehrveranstaltungen unter anderem Namen mitbehandelt werden. Hier sollen sie im Zusammenhang dargestellt werden, um ein Auseinanderdriften der Selbstverständnisse der empirischen Sozialwissenschaften und der Sozialwissenschaftler zu vermeiden helfen.
Was hier gesagt wird, soll nur für den Kern der empirischen Sozialwissenschaften gelten: für die empirische Forschung. Die allgemeine Wissenschaftstheorie, die als philosophische Disziplin ohnehin fast ausschließlich von (nicht empirischen) Philosophen betrieben wird, bleibt ausgespart. Wir müssen uns also nicht entscheiden, ob wir nach einem entitätenrealistischen, einem methodisch-konstruktivistischen oder einem modellistisch-experimentalistischen Ansatz vorgehen wollen. Diese Richtungen existieren tatsächlich – und noch etliche mehr. Tausende empirisch arbeitender Sozialwissenschaftler haben recht brauchbare Ergebnisse hervorgebracht, ohne sich mit diesen Fragestellungen zu beschäftigen, wahrscheinlich sogar, ohne sie überhaupt gekannt zu haben. Das heißt jedoch nicht, dass sie überflüssig sind.
Die für den empirischen Sozialwissenschaftler sehr nützlichen Kenntnisse der allgemeinen Wissenschaftstheorie, etwa Begriffsbildung, Modelltheorie, Erklärungen, sollte man schon vor dem Abitur in der Schule erworben haben. Nach dieser Einführung käme als nächster Schritt die Beschäftigung mit der Wissenschaftstheorie der jeweiligen einzelnen Sozialwissenschaft. Dort wird die Wissenschaftstheorie oft implizit unter den Methoden dieser Wissenschaft behandelt, so beispielsweise das optimale Verhalten der Versuchsleiter im erziehungswissenschaftlichen Experiment oder die zweckmäßige Fragenformulierung bei der schriftlichen Befragung in der Soziologie. Wer wissen möchte, wo der Verfasser dieses Buches bei Bedarf allgemeine wissenschaftstheoretische Orientierung zu suchen pflegt: überwiegend im Kritischen Rationalismus nach Karl R. Popper.
Manche Unterschiede der wissenschaftstheoretischen Grundpositionen ebnen sich ohnehin stark ein, wenn es um die praktischen Probleme der Forschung geht. Genau davon handelt diese Einführung. Sie soll das eigene Denken und Suchen anregen, nicht ersetzen. Daher gibt es oft absichtlich nur Andeutungen und Hinweise statt Ausdeutungen und Verweise. Überhaupt liegt die wissenschaftstheoretische Qualifikation eher im scharfen Blick für die Probleme der Forschungspraxis als im kompakten Wissen über die Literatur. Oft sind gerade bei den besten Forschungsvorhaben die wissenschaftstheoretischen Probleme neu oder in dieser Kombination neu, so dass Scharfsinn und Einfallsreichtum kaum durch die Kenntnis kopierbarer Vorbilder ersetzt werden können.
Die Probleme der empirischen Forschung können in dieser Einführung nicht erschöpfend behandelt werden. Es geht vielmehr um eine Sensibilisierung für häufige Fragen, vor allem um deren frühzeitige Erkennung. Man kann gerade als Neuling in einer Sozialwissenschaft manchmal lange an einem Projekt arbeiten, bevor man merkt, dass man schon längst in einer Sackgasse steckt. Dieses Buch soll vor allem helfen zu vermeiden, in eine solche Sackgasse hinein zu geraten.
1 Ausführlicher dazu Endruweit, S. 65–79.
1. | Begriffsklärungen |
Bevor wir mit den Überlegungen zum Inhalt der Wissenschaftstheorie beginnen, sind Einigungen darüber notwendig, wie die Schlüsselbegriffe Wissenschaft und Sozialwissenschaft zu verstehen sind. Es ist anzunehmen, dass die Wissenschaftstheorie etwas über die Gegenstände dieser Begriffe aussagen will. Die Diskussion über Gegenstände setzt aber voraus, dass man sich über deren Begriff einig ist, weil man nur so sicher sein kann, über denselben Gegenstand zu sprechen.
1.1 | Wissenschaft |
Zu Begriffsdefinitionen kann man auf verschiedene Weisen kommen,2 die alle ihre Berechtigung haben. Man kann die Begriffe apriorisch, gewissermaßen selbstherrlich festlegen. Das ist in der Wissenschaft häufig der Fall, auch in den Sozialwissenschaften. Max Weber drückte dieses Verfahren schon in der sprachlichen Fassung seiner Definitionen begrüßenswert deutlich aus, wenn er etwa Herrschaft definierte: »Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.«3 Selbst wenn niemand sonst diese Definition teilt, kann sie in der Forschung als Maßstab benutzt werden, um herauszufinden, wie nahe oder fern ein untersuchter Gegenstand dieser Definition ist und wie er sich somit von ähnlichen Gegenständen unterscheidet. Die Qualität solcher Definitionen ist danach zu beurteilen, inwieweit sie sich in der weiteren Forschung als nützliches Instrument erweisen.
Gerade für empirische Sozialwissenschaften könnte ein zweites Verfahren angemessen sein: die empirische Ermittlung aller bisher für einen Begriff vorgeschlagenen Definitionen und die Entwicklung eines Verfahrens, mit dem eine Definition nach einem sinnvollen Maßstab ausgewählt wird. Das könnte z. B. die am häufigsten benutzte Definition sein oder die neueste, wenn man davon ausgeht, dass diese die Vorteile aller früheren enthält und alle Nachteile vermeidet; zu dieser Annahme hat man jedoch sehr selten Anlass. Es könnte auch die Definition sein, die nur solche Elemente enthält, die allen Definitionen gemeinsam sind,