Название | Bildungspolitik im internationalen Vergleich |
---|---|
Автор произведения | Marius Busemeyer |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846344095 |
Die vergleichende Staatstätigkeitsforschung kann inzwischen auf einen umfangreichen Theorienkatalog zurückgreifen, der sich zur Erklärung von Unterschieden im Policy-Output als erklärungskräftig erwiesen hat (vgl. für einen Überblick Schmidt/Ostheim 2007; Schmidt 1993, 2001). Die entscheidenden Theorieansätze möchte ich im Folgenden anhand von drei Faktorenbündeln kurz vorstellen: sozioökonomische, institutionelle und (partei-)politische Determinanten.
Sozioökonomische Faktoren können als Indikatoren für Problemdruck verstanden werden, mit dem sich politische Akteure konfrontiert sehen. Strukturelle Veränderungen in der sozioökonomischen Umwelt setzen Rahmenbedingungen für politisches Handeln, aber sie determinieren es nicht. Typische Variablen zur Erfassung des sozioökonomischen Problemdrucks sind zum Beispiel der wirtschaftliche Wohlstand (BIP pro Kopf), Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit oder Inflation. Auch demografische Größen, wie der Bevölkerungsanteil junger oder älterer Menschen oder die Erwerbsbeteiligung von Frauen relativ zu Männern, wären hier zu nennen. Der Einfluss von Globalisierungsprozessen auf Staatstätigkeit wird oft als eigenständiger Theoriestrang betrachtet (Schmidt/Ostheim 2007). Die Offenheit einer Volkswirtschaft ist allerdings ebenfalls eine sozioökonomische Größe, sodass ich sie an dieser Stelle aufführen möchte. Prinzipiell erweisen sich sozioökonomische Größen im Verhältnis zu politischen Faktoren vor allem dann als erklärungsstark, wenn Länder auf sehr unterschiedlichem Entwicklungsniveau miteinander verglichen werden (vgl. Verner 1979 für ein frühes Beispiel aus der Bildungsausgabenforschung). Umgekehrt zeigt sich aber, dass die Erklärungskraft sozioökonomischer Faktoren in der Gruppe der entwickelten OECD-Staaten zurückgeht und politische und institutionelle Faktoren stärker in den Vordergrund treten. Wenn man die USA mit Angola vergleicht ist offensichtlich, dass der hohe wirtschaftliche Wohlstand der USA erklären kann, warum dieses Land mehr in Bildung investiert als ein armes afrikanisches Land. Wenn man allerdings die USA mit Schweden vergleicht – zwei Länder auf einem ähnlichen Wohlstandsniveau –, dann können die Unterschiede nicht mehr durch ökonomische Größen (allein) erklärt werden, sondern es bedarf einer Berücksichtigung von politischen und institutionellen Faktoren.
Theorien, die den Einfluss von Institutionen auf Akteurshandeln im Allgemeinen und Staatstätigkeit im Besonderen betonen, haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten unter dem Banner des »Neo-Institutionalismus« einen bedeutsamen Aufschwung erlebt (vgl. grundlegend Hall/Taylor 1996; Pierson 2004; Thelen 1999). Die Kernthese des neo-institutionalistischen Paradigmas ist, dass Akteurshandeln durch bestehende Institutionen beeinflusst wird. Akteure können institutionelle Gegebenheiten hierbei als Beschränkungen individuellen Handelns erleben; Institutionen können aber auch zu Handlungsressourcen werden, nämlich, wenn sie das Handeln anderer Akteure beschränken. Entscheidend ist die Vorstellung, dass die strategischen Interaktionen zwischen Akteuren (z. B. beim Aushandeln eines neuen Bildungsgesetzes) nicht auf Grundlage einer Tabula rasa erfolgen, sondern durch das bestehende Gerüst an Institutionen – dem Politikerbe – maßgeblich geprägt werden.
Infokasten
Mehrheits- und Konsensdemokratien
Die Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratien geht auf Arend Lijphart (1999) zurück. Lijphart klassifiziert Demokratien auf der Grundlage von zehn Unterscheidungsmerkmalen in diese beiden Grundtypen. Mehrheitsdemokratien zeichnen sich durch eine starke Konzentration von Entscheidungsmacht in den Händen der zentralstaatlichen Regierung aus. In Konsensdemokratien gibt es im Gegensatz dazu eine größere Zahl von Vetospielern, so dass Entscheidungen häufig einen breiten Konsens zwischen verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Akteuren erfordern.
Grob kann man hier zwischen zwei Spielarten unterscheiden: Die erste Variante institutionalistischer Theorien nimmt den Einfluss politischer Institutionen auf den Prozess der Politikgestaltung in den Fokus. George Tsebelis (2002) argumentiert, dass eine hohe Zahl von »Vetospielern«, deren individuelle Zustimmung notwendig ist, um eine Abkehr vom Status quo zu erreichen, die Wahrscheinlichkeit von Politikwandel verringert. Die Vetospieler-Theorie kann dabei helfen zu verstehen, warum die Sozialstaaten in föderalistischen Ländern weniger weit ausgebaut sind (Obinger et al. 2005): Eine föderale Staatsstruktur vergrößert die Zahl der Vetospieler, sodass der Ausbau des Sozialstaates in diesen Ländern langsamer voranschritt als in zentralisierten Ländern (vgl. auch schon Cameron 1978). Iversen und Soskice (2006) verweisen auf die Ausgestaltung des Wahlsystems als weiteren Faktor, der die Größe des Sozialstaats beeinflusst.
Die zweite Variante institutionalistischer Theorien betrachtet vor allem die Auswirkungen bestehender Institutionen auf Politikinhalte. Hier ist insbesondere der Ansatz des »historischen Institutionalismus« zu nennen (Thelen 1999; Pierson 2004), der die Pfadabhängigkeit politischer Entscheidungen betont. Dieser Ansatz versucht zu erklären, warum Reformprozesse in entwickelten politischen Ökonomien selten große Umbrüche nach sich ziehen, sondern Kontinuität dominiert und sich Wandel bestenfalls in inkrementellen Schritten vollzieht. Eine wesentliche Ursache für die hohe Pfadabhängigkeit von Reformprozessen ist, dass Institutionen Ressourcen an bestimmte (Wähler-)Gruppen verteilen, die dann selbst wiederum ein Interesse am Fortbestand dieser Institutionen haben (Hall/Thelen 2009; Pierson 1993, 2004). Auf die Bildungspolitik bezogen, kann davon ausgegangen werden, dass das institutionelle Erbe von wohlfahrtsstaatlichen und bildungspolitischen Institutionen einen maßgeblichen Einfluss darauf hat, welche Reformoptionen politischen Akteuren in der Gegenwart offenstehen. Sie prägen damit – ähnlich wie sozioökonomische Kontextfaktoren – den allgemeinen Handlungsrahmen von Akteuren, determinieren deren Handlungen aber nicht vollkommen.
Infokasten
Pluralismus und Korporatismus
»Das Konzept des Pluralismus […] betrachtet die Interessendurchsetzung als einen dynamischen politischen Wettbewerb […]. Dabei gilt der Staat als der Adressat für widerstreitende Interessen, die von kollektiven Akteuren geäußert werden. […] Im Grunde genommen überträgt der Pluralismus das Konzept eines funktionierenden Marktes auf die Politik. Politik wird zum Prozess des Gruppenwettbewerbs bei der Durchsetzung von Interessen. Die politische Willensbildung ist dann ein fortwährender Prozess wechselseitig ausgeübten Drucks und Gegendrucks von Interessengruppen. Der Staat ist Empfänger der Impulse und fungiert letztlich als Schiedsrichter. Im Korporatismus wird die Interessenvermittlung anhand von Statusgruppen gebündelt und Interessenkonflikte werden unter diesen ausgehandelt. […] Der Neokorporatismus geht davon aus, dass der Interessenwettbewerb nicht offen, sondern durch Interessenübereinkommen kollektiver Akteure bestimmt ist. Der Neokorporatismus geht von einem koordinierten Zusammenspiel von staatlichen und nicht-staatlichen aus.« (Jahn 2006a: 112 f.)
Die akteursorientierte Perspektive wird von Theorien eingenommen, die die Bedeutung von politischen Faktoren und hierbei insbesondere die Machtbalance zwischen unterschiedlichen parteipolitischen und zivilgesellschaftlichen Kräften betonen. Auch hier sind maßgeblich zwei Varianten zu unterscheiden. Die erste ist die Machtressourcentheorie (Esping-Andersen 1985; Korpi 1983; Stephens 1979). Sie betont die unterschiedliche Verteilung von Machtressourcen auf die organisierten Interessen von Kapital und Arbeit. Demzufolge ist eine Kernaussage dieses Theoriestranges, dass die Machtposition von Gewerkschaften eine entscheidende Variable zur Erklärung der relativen Größe des Sozialstaats sowie des Ausmaßes der sozialen Ungleichheit ist: Je größer der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft (Organisationsdichte), desto großzügiger