Der Jahrhundertelefant. Hanna Molden

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Название Der Jahrhundertelefant
Автор произведения Hanna Molden
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990406441



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beim Abendessen gehört, dass er noch in die Redaktion muss, er wird nicht lange bleiben, also nur keine Zeit vertrödeln.

      „Bitte, Papa, wie ist der Jakob von Indien in den Zoo gekommen!“ Kurz und bündig.

      Der Vater denkt ein wenig nach, schmunzelt und sagt, schließlich auch kurz und bündig, „als Geschenk“. Als er in die erwartungsvoll aufgerissenen Augen seines Buben schaut, gibt er sich einen Ruck. „Der Jakob war noch ein kleiner Elefant, ungefähr so alt wie du jetzt, als ihn … der Maharadscha von Cochin … dem Erzherzog Leopold von Österreich geschenkt hat.“

      Das muss der Fritz erst verdauen. Es dauert eine Weile. Eine ganze Sturzflut von Fragen tobt durch seinen Kopf. Maharadscha … Erzherzog … Der Vater weiß das, er kann das Durcheinander nämlich fühlen, wenn man lieb hat, fühlt man so etwas. Er wuselt mit beiden Händen durch die hellen Locken seines Sohnes. „Mein Feppchen“, sagt er, „diese Geschichte ist so lang wie ein ganzes Elefantenleben. Ich werde sie dir erzählen. Aber es wird lange dauern. Du musst Geduld haben.“

      Geduld ist eine Tugend. Sagt die Mama. Je mehr Tugenden man hat, desto tauglicher ist man als Mensch. Sagt die Mama. Sie hat ihm auch aufgezählt, was man alles sein muss, um tauglich zu sein. Lauter Tugenden. Die meisten hat der Fritz vergessen. Aber die Geduld, die kennt er. Weil die Mia, wenn sie ihm seine Siebensachen für den Kindergarten zusammenpackt, immer wieder sagt: „Mein Gott, Kind, hör auf zu zappeln, sei nicht so ungeduldig.“ Also weiß der Fritz, dass er nicht geduldig ist. Und dass es schwer ist, geduldig zu sein, wenn man auf etwas sehr wartet. Zum Beispiel auf den Papa, um mehr über den Jakob zu erfahren.

      Der Papa hat sehr viel in der Zeitung zu tun. Auch abends. Manchmal, wenn etwas Aufregendes auf der Welt geschieht, muss er sogar mitten in der Nacht in sein Büro, das alle „die Redaktion“ nennen. Und wenn er endlich zu Hause ist, gehört er vor allem der Mama. Die beiden haben immer etwas zu reden. Sie reden gern zu zweit. Da hört man sie auch immer wieder lachen. Und dann gehört der Papa natürlich auch dem Otto. Mit dem großen Bruder spricht er über die Schule. Der geht nämlich schon ins Gymnasium. Und mit dem Otto spricht er auch über die Dinge, die grade in der Welt geschehen. Den Otto interessiert das sehr. Den Fritz eigentlich gar nicht. Obwohl er gern dabeisitzt, weil er gern hört, wenn der Papa mit seiner ruhigen tiefen Stimme etwas erzählt. Außerdem will er wissen, was den Otto interessiert. Dann könnte man vielleicht mitreden, wenn die Spezln zum Otto in den Garten kommen, vielleicht mit ihnen Elfmeter trainieren …

      Jetzt freilich ist es anders. Jetzt braucht der Fritz den Papa für sich. Allein, weil der Papa vielleicht vor den anderen nichts vom Jakob erzählen möchte. Weil der Fritz gar nicht will, dass der Papa vor den anderen erzählt. Weil es schön ist, mit dem Papa etwas zu haben, von dem nur sie beide wissen. Also nervt jetzt der Fritz die Mama und die Mia, weil er ständig fragt, wann der Papa heute nach Hause kommen wird. Meistens wissen sie es nicht. Aber wenn sie es wissen und „Mittag“ oder „Abend“ sagen, dann lauert er im Hausgang auf den Vater. Er muss oft lange warten. „Das ist ja ganz neu, wieso bist du denn auf einmal so geduldig?“, hat die Mia einmal gefragt. „Wegen der Tugend“, hat der Fritz gesagt.

      „Zwischen Tür und Angel?“, fragt der Papa, als der Fritz ihm zum ersten Mal erfolgreich auflauert. Es ist später Mittag, der Papa biegt mit langen Schritten in die Toreinfahrt, als Fritz ihm entgegenspringt und bittet: „Erzähl, Papa, nur ein kleines Stück, vom Elefanten …“ „Aber Feppchen, einfach so, zwischen Tür und Angel?“ Er lächelt dazu. Und nimmt den Fritz bei der Hand, und langsam gehen sie durch die Einfahrt in den Garten, einmal zum Salettl und zurück, die Stiege hinauf bis zur gläsernen Tür, und da erfährt der Fritz immerhin das Folgende:

      Vor rund dreißig Jahren, als es noch den Kaiser in Wien gegeben hat und Wien die Hauptstadt vom Kaiserreich gewesen ist, da ist ein Verwandter des Kaisers, ein gewisser Erzherzog Leopold, der sich sehr für fremde Länder interessiert hat, ins ferne Indien aufgebrochen. Ganz Indien hat er bereist, bis er schließlich in Kerala angekommen ist. In der dortigen Hauptstadt Cochin hat er den Maharadscha – so nennen die Inder ihre Fürsten – besucht. Ein sehr, sehr reicher Mann, der neben vielen anderen Reichtümern auch sehr viele Elefanten besitzt. Einen weißen Elefanten, auf dem nur er reiten darf. Und ein ganz großes Elefantencamp, in dem seine Arbeitselefanten leben. Der Erzherzog und der Maharadscha haben sich sehr gut verstanden. Also hat der Maharadscha dem Erzherzog ein Abschiedsgeschenk machen wollen. Und was hat er ausgesucht?

      Einen kleinen Elefanten! Den hübschesten kleinen Elefanten im ganzen Camp.

      Sein Name war Puha. Der sollte mit dem Erzherzog Leopold nach Europa reisen …

      Ausgerechnet da stehen Vater und Sohn vor der gläsernen Tür im ersten Stock, und die Mama ruft, „Seid ihr da? Die Suppe wartet.“

      „Papa, hat der Erzherzog dem Maharadscha auch etwas geschenkt?“ Fritz flüstert, gleich ist man im Speiszimmer, die anderen sollen ja nichts Indisches hören.

      „Der Erzherzog hat nichts Passendes dabeigehabt, aber er hat den Maharadscha nach Österreich auf die Jagd eingeladen und ihm eine Gams versprochen“, flüstert der Papa zurück. Und ruft ins Speiszimmer: „Verzeih die Verspätung, Paula, wir sind da!“

      Während des Mittagessens ist der Fritz ungewöhnlich still. Er muss sich das alles durch den Kopf gehen lassen. Das mit dem Geschenk zum Beispiel. Im Vergleich zu einem Elefanten ist eine Gams doch eher mickrig. Dieser Erzherzog war wohl ein Geizkragen. Und der kleine Elefant, ob der gerne aus seinem Land weggegangen ist?

      „Feppchen, wo ist die Hand“, sagt die Mama mit ihrer schönen weichen Stimme. Fritzchens linke Hand hat nämlich die Angewohnheit, während des Essens vom Tisch zu verschwinden, sich am Knie zu kratzen oder nach den Murmeln in seiner Jackentasche zu tasten. Wupps, kehrt sie zurück auf das weiße Tischtuch, die Hand, wo sie die Mama gerne sehen möchte. Die Mama wird nie laut, wenn sie ihre Kinder ermahnt. Sie schimpft auch nie wie Mütter anderer Kinder. Sie sagt einfach ruhig, was sie zu sagen hat, legt dabei den Kopf etwas schief und schaut ihren Kindern in die Augen. Da macht eins einfach, was die Mama möchte. Genau das macht man.

      An diesem Tag gibt es keine Möglichkeit mehr, beim Papa um weitere Jakob-Geschichten zu betteln. Er fährt in die Redaktion, und als es Zeit zum Schlafen wird, ist er noch nicht nach Hause gekommen. Also kommt die Mama, um Gute Nacht zu sagen.

      An sich hat das der Fritz besonders gern. Die Mama, die sehr viel dichtet, hat nämlich für ihren Sohn einen kleinen Vers erfunden, den sie aufsagt, sobald der Fritz zugedeckt im Bett liegt. Und dieser Vers geht so: Liegst im Bettchen / rein und weiß gekleidet / wirst von allen / Tieren sehr beneidet/ auch vom aaaaarmen / kleiiiinen / Hasimandili. Das Besondere dabei ist, dass die Stimme der Mama ab dem … armen kleinen … immer langsamer und leiser wird. Auf das Hasimandili muss man etwas warten. Denn das Hasimandili ruft die Mama nach einer Pause ganz plötzlich heraus. Und laut. Und dazu macht sie einen kleinen Hasenhopser, so dass man ein bisschen erschrickt, und vor Vergnügen lachen muss, als würde man gekitzelt.

      „Was war denn heute beim Mittagessen mit dir los?“, fragt die Mama, als es Abend geworden ist, und der Fritz die Zähne geputzt hat, und die Mama ins Bubenzimmer gekommen ist und die Bettdecke um den Fritz gestopft hat. „Du warst ja ganz in Gedanken versunken.“ „Gar nix“, nuschelt der, obwohl er dabei gleich an den Jakob denken muss. „Dann ist es ja gut“, sagt die Mama und beginnt mit leiser singender Stimme das Hasimandili-Ritual.

      Ehe er einschläft, fragt sich der Fritz, ob man lügt, wenn man etwas geheim hält. Lügen haben beide Eltern überhaupt nicht gerne. Wenn der Papa auf eine Lüge draufkommt, wird er ziemlich böse. Aber die Mama, die wird dann traurig. Und das ist viel ärger als der Zorn vom Papa. Ehe dem Fritz die Augen zufallen, hat er sich in dieser Sache entschieden: Geheimnisse haben und Lügen sind zweierlei.

      In den folgenden Tagen erfährt der Fritz vom Papa noch allerhand über den Jakob. Zizerlweis, würde die Mia sagen. Wann immer er den Vater für ein paar Minuten allein erwischt, fragt er ihn aus.

      „Wieso heißt der Jakob nicht mehr so wie in Indien?“, fragt Fritz.

      „Weil der Erzherzog mit dem Namen Puha nichts anzufangen wusste.“

      „Und