Der Jahrhundertelefant. Hanna Molden

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Название Der Jahrhundertelefant
Автор произведения Hanna Molden
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990406441



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sie sich doch überhaupt nicht ähnlich sehen … Und … und was ist ein Ma … Mahout? Und wie hat der … Stock … Stockholm in den Sand gezeichnet? In Buchstaben? Der Jakob kann doch keine Buchstaben lesen … oder?“

      Der Vater beugt sich zum Fritz, lacht leise und schubst ihn ins Bett zurück.

      „Feppchen, Schluss jetzt. Die Mama wartet mit dem Essen. Ich verspreche dir, alles was ich vom Elefanten Jakob weiß, zu erzählen.“

      „Aber wann, Papa? Wann?“

      „Nicht mehr heute. Aber bald.“ Der Papa ist schon an der Tür.

      „Schlaf gut, mein Sohn.“ Weg ist er.

      Schlafen! … Ha! – Fritz sitzt mit angezogenen Knien in seinem Bett und schaut ins Narrenkastl. Aus dem ein paar Räume entfernten Speisezimmer hört er das Stimmengemurmel von Eltern und Bruder, hört eine Türe klappen, wahrscheinlich bringt die Julie jetzt die Suppe herein.

      Fritz darf an Wochentagen noch nicht mit den anderen zu Abend essen. Nur an Samstagen darf er. Weil es am Sonntag keinen Kindergarten gibt und er am Samstag länger aufbleiben darf. Zu blöd, dass heute nicht Samstag ist. Da könnte er den Papa alles fragen.

      Zum Beispiel, was ein Mahout ist, das will er dringend wissen. Vielleicht so eine Art Kindermädel für den Jakob, wie die Mia für ihn? Könnte sein. Schließlich hat der Jakob geschrieben, dass der Mahout ihm die Ohren abspritzt. Die Mia hat’s auch immer auf seine, Feppchens, Ohren abgesehen … Interessant, dass der Elefant das Ohrenabspritzen mag. Er mag es überhaupt nicht, wenn die Mia seine Ohren mit dem Waschfleck bearbeitet … Und dieser Affe, der Jaromir! Der muss ein Schlaumeier sein, der kann Schreibmaschine schreiben. Fritz hat es ja selbst gesehen, das Maschingeschriebene auf dem Brief, den der Papa vorgelesen hat … Diktiert vom Jakob, hat der Papa gesagt. Also gibt es im Elefantenkäfig eine Schreibmaschine? Gibt’s im Schönbrunner Tiergarten nicht. Und der Jaromir, der muss eigentlich im Elefantenkäfig leben, weil er ja zur Hand sein muss, wenn der Jakob diktieren will … Obwohl der Jaromir im Elefantenkäfig nichts zu suchen haben sollte, ist ja schließlich kein Verwandter vom Jakob … Vielleicht hat ihn der Jakob adoptiert? Fritz weiß, was adoptieren heißt. An Kindes statt annehmen. Im Kindergarten haben sie ein Mädel, das adoptiert worden ist …

      Die Amsel hat ihr Abendlied beendet. Der leichte Wind weht immer noch vom Leopoldsberg herunter und trifft den Mond, der überm Bisamberg aufgeht und sich langsam auf den Weg zur alten Gasse mit dem Kopfsteinpflaster und dem gelben Haus mit dem halbrunden Tor macht.

      Mit dem Auftauchen des Elefanten Jakob bricht eine neue Zeit in Feppchens Leben an. Er beginnt, die Tage zur Woche zu ordnen und mit dem roten Buntstift einen Strich auf seinem Kindertisch zu machen, sobald eine Woche um ist. Wenn es vier Striche sind, wird ein neuer Brief vom Jakob kommen. Denn für gewöhnlich, sagt der Papa, schreibt ihm der Jakob einmal im Monat. Nicht immer, aber meistens.

      Da müsse er ja schon ganze Haufen von Elefantenbriefen haben, hat der Fritz gemeint und darauf gehofft, dass der Vater sie ihm vorlesen würde. Alle. Einfach alle. Aber der Vater hat mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass er sie leider nicht aufgehoben habe. Keinen einzigen. Zu dumm. Wo er doch sonst alle Briefe aufhebt, der Papa, sie in Mappen ordnet und die im großen Bücherkasten, der im Herrenzimmer steht, einschließt.

      Als der Vater gesehen hat, dass sein Bub traurig ist, weil es die alten Briefe nicht mehr gibt, da hat er seine Stirn in Falten gelegt und gemeint, er könne sich aber sehr gut an die Briefe erinnern. Und auch an alles, was der Jakob ihm erzählt hat, als sie sich im Budapester Zoo auf Elefantisch unterhalten haben. Aber ja, die ganze bisherige Lebensgeschichte des Jakob …

      „Erzähl, Papa! Bitte!“

      „Da brauche ich Zeit, Feppchen, das dauert lange.“

      „Am Sonntag, Papa?“

      „Also gut, am Sonntag.“

      Und dann ist Sonntag. Und Fritz und sein Bruder Otto gehen erst einmal mit den Eltern in die Kirche. Und danach geht die Mama nach Hause, weil sie an einem Gedicht schreibt. Und der Otto trifft seine wilden Freunde im Wertheimsteinpark.

      Und der Fritz geht an der Hand des Vaters zum üblichen Sonntagvormittagsbesuch beim Großvater.

      „Papa, wann kommt der Jakob dran?“, bohrt der Fritz. „Erst kommt noch der Großpapa.“

      Der Großpapa wohnt nicht weit entfernt von der alten Gasse mit dem Kopfsteinpflaster. Aber der Gehsteig in der Großpapa-Gasse ist glatt und das Haus ist neuer und hat mehr Stockwerke als das gelbe Haus mit dem halbrunden Tor. Der Großpapa Berthold wohnt im ersten Stock. Er wohnt allein, seit Großmama Berta gestorben ist. Er ist ein ernster, etwas strenger alter Herr mit kerzengeradem Rücken und einem langen, schneeweißen Bart. Er ist sehr gescheit. Er hat viele Bücher geschrieben, und auch für Zeitungen, wie der Papa. Er hat noch diesen Erzherzog beraten, der Kaiser werden sollte, aber daraus ist nichts geworden, weil sie ihn erschossen haben, den Erzherzog. Was dann zum großen Krieg geführt hat, in dem der Bruder vom Papa gefallen ist. Da hat der Großpapa das Lachen verlernt. Jetzt kann er nur mehr lächeln. Und auch das tut er selten.

      Den Fritz lächelt er allerdings an. Im Salon hat er auch einen Himbeersaft für den Fritz vorbereitet. Und noch ehe der Papa und der Großpapa ihr übliches politisches Gespräch beginnen, noch ehe der Himbeersaft ausgetrunken ist, kräht der Fritz:

      „Großpapa, der Papa hat einen Freund, der Elefant ist. Der heißt Jakob. Und der schreibt Briefe an den Papa.“

      „Interessant, interessant“, murmelt der Großvater. Es scheint ihn zu freuen, denn er lächelt mehr als sonst, bis hinauf zu den Augen. Und mit seinen mageren Händen, auf denen sich blaue Adern wie Wurzeln winden, streicht er seinen weißen Bart.

      „Ein Elefant, der schreiben kann …“, sagt er mit seiner ein wenig heiseren Altherrenstimme und sieht den Papa dabei an.

      Der Papa hat wohl keine große Lust, über den Jakob zu erzählen. Der Fritz hingegen schon. Alles, was er bisher über den Elefanten erfahren hat, sprudelt er heraus, bis ihm die Luft ausgeht.

      „Interessant“, sagt der Großvater wieder und wendet sich an den Papa.

      „Wo ist der Jakob denn geboren, im Zoo?“, fragt er und lächelt auf diese gewisse Weise, die die Mama schelmisch nennt.

      Der Papa legt seine Stirn in Falten. „Nein“, sagt er schließlich, „er ist in Indien geboren.“ Und nach ein wenig Nachdenken setzt er hinzu: „In Kerala, in der Gegend von Cochin.“

      „Aha.“ Den Großvater scheint das zu fesseln. „Die großen Dschungelgebiete im Südwesten von Indien. Wo es wilde Elefanten und Tiger und Affenherden gibt …“

      Da beginnt der Fritz vor Aufregung auf seinem Stuhl zu hopsen. „Großpapa, der Jakob hat einen Verwandten, der ist ein Affe und heißt Jaromir, und der kann Maschine schreiben …“

      Da verschluckt sich der Großvater. Zumindest klingt es so, er hält eine Hand vor den Mund und macht glucksende Geräusche. Und der Papa mahnt zum Aufbruch. Fritz würde gerne noch bleiben. Wer weiß, was der Großpapa noch alles über dieses Indien erzählen könnte …

      Immerhin, es gibt den Heimweg. Der Papa geht gerne zu Fuß. Bis nach Hause in die Kopfsteinpflastergasse sind das zwanzig Minuten. Die nützt der Bub. „Wieso ist der Jakob nicht in Indien geblieben? Haben sie ihn eingefangen für den Zoo?“, fragt er und greift mit seiner vom Himbeersaft klebrigen kleinen Hand nach der großen kühlen des Vaters.

      „Nein, Feppchen, das war anders.“ Pause. „Ich werde es dir vorm Schlafengehen erzählen.“ Pause. „Und jetzt ist vorerst Schluss mit dem Jakob. Er ist bitte auch beim Mittagessen kein Thema, sonst gibt es am Abend keine indische Geschichte. Versprochen?“ Der Fritz verspricht’s. Großes Ehrenwort.

      Tatsächlich passiert ihm bei Tisch nur ein einziger Ausrutscher. Es ist bei der Nachspeise. „Magst du noch ein Stück?“, fragt die Mama und deutet auf die Biskuitroulade. „In Indien …“, beginnt Fritzchen, holt erschrocken Luft, sieht zum Papa hinüber und rettet sich ziemlich erfinderisch, indem er