Blaue Blumen zu Allerseelen. Santo Piazzese

Читать онлайн.
Название Blaue Blumen zu Allerseelen
Автор произведения Santo Piazzese
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949558009



Скачать книгу

image

      Santo Piazzese

       Blaue Blumen zu Allerseelen

      Ein Palermo-Krimi

      Aus dem Italienischen von

      Monika Lustig

image

       Inhaltsverzeichnis

       Vorwort

       Abschweifungen über einen Teerfleck (samt Verbrechen)

       Via degli Emiri, viel zu viele Jahre später

       Signorina Lo Giudice

       Kommissar Spotornos diffiziles Schweigen

       Maddalena und der Preis von Baumwollgarn

       Die Seismographen der Mordkommission

       Spotornos Beruf

       Die Dama Bianca vom Ponticello

       Signora Spotornos Tropenträume

       De Chirico und Dalí in der Via Siccheria Quattro Camere

       Es gibt Verbrechen, weil es Polizisten gibt

       Spotornos Rezepte

       Der amerikanische Football, Rugby und die Strapazen einer Prinzessin

       Die Polizeibeamtin Stella, die weiße Dame und die Schwarze Madonna

       Attack!

       Amalias Schuldgefühle – und die von Spotorno

       Blaue Blumen zu Allerseelen

       Anmerkung

       Editorische Notiz

      Vorwort

      Palermo, ein fließendes Mosaik?

      Meine Widerstände, dessen bin ich mir vollkommen bewusst, sind mehr affektiver denn rationaler Natur: In dieser Stadt bin ich geboren, hier habe ich immer schon gelebt, zuweilen habe ich mir auch eine Tarnkappe aufgesetzt, und zwar in einer wackeligen Balance zwischen Schimpfen, sehnsüchtigen Fluchtgedanken und der Einsicht, dass es mir schlichtweg unmöglich ist, andernorts zu leben.

      Ich bin mir ziemlich sicher, wäre Leonardo Sciascia heute noch am Leben, käme er um die Erkenntnis nicht herum, dass seine warnende Prophezeiung, die er in die berühmte Metapher von der Palmenlinie gekleidet hat, längst Wirklichkeit geworden ist. Die Nachricht, dass sich aufgrund der weltweiten Klimaerwärmung der nördlichste Breitengrad, auf dem die Palme optimale Lebensbedingungen vorfindet, pro Jahr um einige Zentimeter von Süd nach Nord verschiebt, hatte den aus Racalmuto gebürtigen Schriftsteller sehr nachdenklich gestimmt. Mit seiner bitterscharfen Ironie, der wir nie genug nachtrauern können, entwarf Sciascia das Bild der fortschreitenden Sizilianisierung ganz Italiens zum Schlechten hin.

      Wovon er sich vermutlich keine Vorstellung machen konnte, ist die starke Beschleunigung, die dieser Prozess in den Jahren nach seinem Tod (er starb 1989) erfahren sollte. Italien, unrettbar verloren, hätte er heute gesagt. Und heute würde ich in dieser Aussage vielleicht einen Teil der Gründe finden, derentwegen ich eine Sonderstellung Palermos ablehne: Eine Weigerung, die, damit wir uns richtig verstehen, ganz und gar nichts Tröstliches an sich hat. Denn die Verwässerung unserer Verantwortung als Bürger Palermos und ihre Auflösung in einer kollektiven Verantwortung aller Italiener – als wäre es das Hinnehmen eines geteilten Leids – könnte für uns gewiss kein Trost sein.

      Seitdem ich mich bei der Niederschrift meines ersten Romans bemüßigt gefühlt hatte, systematisch und, sofern möglich, auf wissenschaftliche Weise über die städtische Wirklichkeit nachzusinnen, kam ich nach und nach zu der Überzeugung: Sollte Palermo tatsächlich eine Besonderheit zu eigen sein, dann ist das nicht seine Unerlösbarkeit, sondern seine Vagheit, seine Vermeidungshaltung, seine Drückebergerei. Jedes Mal, wenn ich mich auf die Suche nach einem möglichen Kondensat machte, das heißt, dem nachspürte, was zuweilen mit einer gewissen Dramatisierung die Seele der Stadt genannt wird, bin ich mit schöner Regelmäßigkeit gegen eine Gummiwand geprallt. Ein fruchtloses Unterfangen, umso mehr noch für einen, der so manchen Zweifel an der Existenz einer Seele hegt, selbst beim Homo sapiens.

      Mein Versuch ging in die Richtung einer anthropologischen Verschmelzung – und ich nehme als schlichter Beobachter, als, nennen wir es ruhig so, einfacher Mann von der Straße, gewiss nicht als Eingeweihter Zuflucht bei der Anthropologie – denn eine Stadt verstehen zu wollen, bedeutet selbstverständlich und vor allem, zu verstehen, wer ihre Bürger sind. Und das ist es, wo wir Palermitaner als Kollektiv ein Höchstmaß an widerständiger Verschleppungstaktik betreiben: ein passives und unbewusstes, wiewohl hartnäckiges Allem-aus-dem-Weg-Gehen.

      Nun will ich mir keine Analyse über den Identitätsverlust der Stadt und ihrer Bewohner anmaßen – also den Niedergang der Gesellschaftsklassen und ihrer Führungsriege in der Zeit nach dem Bauboom der 60er und 70er Jahre; ich begnüge mich mit der Mutmaßung, dass die Schwierigkeit, Palermo zu lesen, die