Das Archiv des Teufels. Martin Conrath

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Название Das Archiv des Teufels
Автор произведения Martin Conrath
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839268704



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zu saufen, und Huren gab es auch.«

      »Haben Sie von dem Erschießungskommando gehört, das Spione hinrichten sollte, die versucht haben, Juden aus der Stadt zu schmuggeln?«

      Dragusch steckt einen seiner Finger in den Mund und fängt an, auf dem Nagel herumzukauen.

      »Also haben Sie davon gehört.« Dragusch antwortet nicht, Robert kommt ein Verdacht. »Waren Sie dabei?«

      Dragusch schreckt hoch. »Nein, um Gottes willen.«

      »Erzählen Sie mir, was vorgefallen ist. Wer war dabei? Dragusch, los Mann, raus damit.«

      »Die sind alle tot«, flüstert Dragusch. »Vom Bataillon Ostmark hat so gut wie niemand überlebt.« Dragusch wippt mit dem Oberkörper vor und zurück, sein Blick ist starr, Schweiß bildet sich an seinem Haaransatz. Er ist bereit zu reden.

      Robert zieht eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, hält ihm das Päckchen hin. Er starrt darauf, als hätte er eine Erscheinung. »Nehmen Sie«, sagt Robert.

      Mit spitzen Fingern greift Dragusch eine Chesterfield und zupft sie heraus. Robert steckt sich eine in den Mundwinkel und gibt sich und Dragusch Feuer. Sie inhalieren tief. Robert raucht normalerweise nicht tagsüber. Doch jetzt ist es ein Zeichen der Gemeinsamkeit, der Zuwendung, des Respekts, mit Dragusch zu rauchen.

      Dragusch seufzt. »Die sind verdammt gut.«

      Robert wirft ihm die Schachtel zu. Ohne hinzuschauen, fängt er sie aus der Luft und lässt sie in seinem Mantel verschwinden. Draguschs Reflexe sind gut. Robert würde niemals jemanden unterschätzen, der das Inferno des Krieges fünf Jahre lang überlebt und danach einige Zeit im Untergrund und im Auffanglager überstanden hat, mit der ständigen Angst im Nacken, abgeschoben zu werden. »Mein Angebot steht«, sagt Robert. »Aber nicht mehr lang.«

      Dragusch zieht mehrfach schnell hintereinander an der Zigarette. »Ein Unteroffizier hat mich und zehn andere mit einem Laster hoch in den Kaiserwald gefahren. Da gibt es ein flaches Stück ohne Bäume mit Wiese. Da können Flugzeuge landen.« Dragusch schüttelt den Kopf. »Es ist verrückt, total verrückt.«

      »Was ist in dem Wald passiert, Dragusch?« Roberts Anspannung wird fast unerträglich.

      »Wir haben die armen Schweine abgeknallt.«

      Robert verliert bald die Geduld, er spürt es, aber er muss sich zusammenreißen. Gewalt würde nicht helfen. Dragusch würde für immer verstummen. »Welche armen Schweine?«

      »Ein paar Bauern, bei denen sie Waffen gefunden haben. Na ja, und die wurden an derselben Stelle erschossen, an der die Amis erledigt wurden. Angeblich während eines Gefechts, aber die waren unbewaffnet, das hat schnell die Runde gemacht. Hatten sich ergeben. Eigentlich hätten sie als Kriegsgefangene gelten müssen, obwohl die Amis noch gar nicht im Krieg waren. Die kamen erst später. Hat keine Sau interessiert. Ich hätte da nicht mitgemacht.«

      Aber Bauern erschießen, die irgendeine alte Schrotflinte für die Fasanenjagd im Keller hatten. Robert hat den Wahnsinn des Krieges zur Genüge erlebt. Dragusch ist nur ein winziges Teil des kollektiven Irrsinns, der Menschen zu wertlosem Fleisch degradiert.

      »Wer war der Unteroffizier, der Sie in den Wald gebracht hat?«

      »Wir haben ihn nur den Verrückten genannt. Müsste doch alles in den Akten stehen. Die Deutschen hatten Berge von Akten, Lkw-Ladungen.«

      »Davon ist nicht mehr viel übrig. Verbrannt. Kommt Ihnen vielleicht auch gelegen, Dragusch, oder?«

      Der altgediente Kämpfer lässt sich nicht verunsichern. Er wirft Robert einen fetten Brocken hin.

      »Der Unteroffizier hieß Paul Sauer. Er war Heiderer direkt unterstellt. War für die Exekutionen verantwortlich. Ein fleißiger Kerl. Aber er hat nur Befehle befolgt. Er war nicht grausam. Er hat uns befohlen, schnell und präzise zu schießen, damit niemand leiden muss. Das haben wir dann auch gemacht. War nicht immer so. Ein paar Offiziere liebten es, mit ihren persönlichen Revolvern den Fangschuss zu setzen, ins Genick. Sie haben die Angst ihrer Opfer genossen. So bin ich nicht, das müssen Sie mir glauben.«

      Robert muss Dragusch gar nichts glauben. Trotzdem geht sein Atem schneller, seine Hände werden feucht. Paul Sauer. Ein Name, der ihm nicht fremd ist, den er schon einmal gelesen hat.

      »Hat Sauer auch die Exekution der Amerikaner ausgeführt?« Robert bemüht sich um einen neutralen Ton, doch dieser misslingt ihm. Dragusch muss erkennen, dass in seinem Inneren ein Sturm tobt.

      Der presst die Lippen aufeinander, sieht Robert trotzig an. »Ich habe nur Befehle befolgt. Ich schwöre es.«

      Dragusch hat Roberts Reaktion tatsächlich missverstanden. Er wird sein Wort halten. Was immer ihm Dragusch auch erzählt, es wird ihm nicht zum Nachteil gereichen. Robert geht es um Sauer. Der Name taucht in den Akten auf, er gilt als verschollen. Was weiß Dragusch noch? Welche Namen stecken in seinem Kopf? Ist alles nur Lüge?

      »Kein Sorge, ich halte mein Wort, Dragusch. Sie sind mein Informant und damit stehen Sie unter meinem Schutz. Und glauben Sie mir, mein Arm reicht weit.«

      Dragusch steckt sich eine neue Zigarette an der alten an, zieht gierig. Schließt die Augen. »Wissen Sie, warum Sauer und ich überlebt haben?«

      Dragusch öffnet die Augen halb, Robert sieht nur die fast schwarze Iris. Es sieht falsch aus.

      »Wir haben nie Fragen gestellt, haben getan, was wir tun mussten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist heute nicht anders.«

      Robert muss ihm widerwillig recht geben. Oft hat er mit schlechtem Gewissen einen Haken gesetzt, um einen Nazi reinzuwaschen. Aber es gab Fälle, bei denen er sich geweigert hat. Mit dem Unterschied, dass Dragusch ein Sandkorn ist und er der Sohn eines Kriegshelden.

      »Wo ist Sauer?«

      Robert kann seine Ungeduld kaum unterdrücken. Sauer wäre vielleicht ein glaubwürdiger Zeuge, der gegen Heiderer aussagen würde, um seine eigene Haut zu retten, oder der ihn zu dem Archiv führen könnte, das die Beweise gegen Heiderer hütet. Vielleicht.

      »Er hat seine Marke irgendwo hingeworfen, wo man sie entdecken musste. Deswegen gilt er als vermisst. Wenn er nicht abgehauen ist, finden Sie ihn in Berlin. Da haben wir uns siebenundvierzig das letzte Mal gesehen. Ich war im Durchgangslager, er hat mir geholfen, hat mir Geld gegeben, Zigaretten und Fusel. Er war ein guter Kamerad. Er ist Deutscher, hat keine Probleme gehabt. Ein echter Glückspilz. Was er macht, weiß ich nicht.«

      Und dennoch gilt Sauer als verschollen. Er muss getrickst haben. Oder er hatte gute Verbindungen. Sauer muss wissen, ob Heiderer den Befehl zur Erschießung seines Bruders gegeben hat oder nicht. Robert wird nach Berlin fahren und alles prüfen und er wird dafür sorgen, dass Dragusch hier sicher verwahrt bleibt, vielleicht braucht er ihn noch. Er wird ihn beobachten lassen, und wenn er gelogen hat, dann wird er ihm die Hölle heißmachen.

      »Okay, Dragusch. Ich werde Ihre Angaben prüfen. Bis dahin sind Sie hier gut aufgehoben. Ich werde dafür sorgen, dass man anständig mit Ihnen umgeht. Und dass man auf Sie achtgibt.«

      Dragusch steht auf, sein Blick verrät Misstrauen, aber er hat keine Wahl, außer zu hoffen. Er reicht Robert die Hand, sie ist fast so knochig wie die eines Insassen eines Konzentrationslagers. Er öffnet die Tür, blickt sich um und sagt: »Man müsste nur die Akte Heiderer finden, sie ist irgendwo da draußen, aber das geht ja nicht.« Dann ist er weg.

      Soltau kommt herein, setzt sich wieder auf seinen kleinen Thron. »Und? Was erreicht?«

      »Ich brauche Dragusch noch. Sie sorgen dafür, dass es ihm gut geht. Und ich will, dass Sie ihn beobachten. Mit wem hat er Kontakt? Fragt jemand nach ihm? Alles, hören Sie?«

      Soltau nickt.

      Robert glaubt, dass Soltau noch eine kleine Ermunterung braucht. »Wenn das schiefläuft, wenn Dragusch abhaut oder er stirbt, haben Sie die längste Zeit hier Gulasch gegessen. Klar?«

      Soltau sitzt stumm da, er glotzt nur und nickt. Robert kehrt ihm den Rücken, geht an den Schaltern vorbei, tritt ins Freie,