Das Archiv des Teufels. Martin Conrath

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Название Das Archiv des Teufels
Автор произведения Martin Conrath
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839268704



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essen, danach ins Kino. Ich lade dich ein.«

      Kate wird plötzlich ernst. »Bist du dir sicher?«

      Robert versteht nicht, was sie meint. »Natürlich.« Er überlegt, ob sie vielleicht kein Kino mag. »Wir können auch in die Oper …«

      Sie erstickt seine Worte mit ihren Lippen. »Kino ist wunderbar«, sagt sie durch die Zähne hindurch

      »Ich hole dich ab. Um sechs am Abend?«

      Sie müssen lachen. Wenn sie reden, die Lippen so aufeinandergedrückt, kribbelt es im ganzen Körper. Es ist wie Kitzeln von innen.

      Kate strahlt über das ganze Gesicht. Zum Abschied küssen sie sich leidenschaftlich. Fast wird Robert schwach, der Duft der Nacht in ihren Haaren wirkt wie Opium. Aber er muss los, es ist schon spät, nach neun Uhr. Widerwillig macht er sich frei, noch ein Blick in ihre Augen, dann verlässt er ihre Wohnung und tritt auf die Straße. Vom Fenster aus winkt sie ihm zu, er winkt zurück, wendet sich ab, schneller, als er möchte.

      Er schaut sich um und entdeckt einen Friseursalon. Fromm, gegenüber seiner Wohnung, wird auf ihn verzichten müssen. Er hat Zeit genug, und er wird nicht warten müssen. Außer ihm braucht anscheinend niemand einen Haarschnitt, aber er weiß, dass das nicht der einzige Grund ist. Viele können sich keinen leisten. Der Laden ist leer, bis auf einen schlanken jungen Mann, der auf einem der Friseurstühle sitzt und wehmütig dreinschaut, während er in einer Illustrierten blättert. Roberts Ansicht nach hat er zu viel Pomade in seinem Haar verteilt. Das scheint die neueste Mode zu sein, der letzte Chic vielleicht aus Italien. Robert öffnet die Tür, eine Klingel läutet, der junge Mann springt auf, jegliche Wehmut ist verflogen, er lächelt warm.

      »Darf ich Ihren Mantel nehmen?«

      »Sehr gerne«, antwortet Robert und reicht ihm den Mantel, unter dem Roberts Uniform sichtbar wird. Der junge Mann lässt sich nichts anmerken und hängt das Kleidungsstück sorgsam auf einen Bügel, streicht es glatt. Er zeigt auf den Friseurstuhl, auf dem er gerade gesessen hat.

      »Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?«

      »Waschen und schneiden bitte. Kurz. Die Ohren frei, den Nacken frei.«

      »Sehr wohl, der Herr.«

      Robert nimmt Platz. »Da habe ich ja Glück, dass ich so schnell drankomme, Herr …«

      »Nennen Sie mich Holger.«

      »Gerne, Holger.«

      Holger wartet einen Moment mit der Antwort, wahrscheinlich rechnet er damit, dass Robert ihm ebenfalls seinen Namen nennt. Er legt Robert den Friseurumhang an, damit die abgeschnittenen Haare nicht an seiner Uniform hängen bleiben.

      »Die meiste Kundschaft kommt am Nachmittag, nach der Arbeit. Und natürlich am Samstag. Da kommen wir gar nicht hinterher. Dann ist auch mein Chef da und noch zwei Gesellen.«

      Vorsichtig drückt Holger Roberts Kopf nach hinten auf die Waschschale. Er öffnet den Hahn, prüft mit der Hand, ob das Wasser die richtige Temperatur hat. Roberts Puls schlägt höher. Er bietet Holger seine Kehle, liefert sich ihm aus, ein unangenehmes Gefühl. Nur indem er sich sagt, dass ihm hier nichts passieren werde, gelingt es ihm, nicht die Muskeln anzuspannen, um den Kopf zu heben und seine Kehle wieder zu schützen. Hoffentlich dauert das Waschen nicht zu lange, er würde es gerne genießen, aber seine Instinkte lassen es nicht zu. Gut, dass er sich bei Kate hat fallen lassen und die Kontrolle hat abgeben können. Er kennt viele, die durch den Krieg impotent geworden sind. Ihm ist dieses Schicksal erspart geblieben. Dafür ereilte ihn ein anderes.

      Robert versetzt sich in Gedanken nach Kentucky. Ted und er stehen vor ihrem Vater, sein Gesicht ist eine wutverzerrte Maske. Ted ist gerade zwölf geworden. Robert ist vierzehn, wird bald fünfzehn und versucht, sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Er hat in der Stadt ein Heft gekauft, in dem leicht bekleidete Frauen abgebildet sind. Sie sind nicht einmal nackt. Mit Ted hat er sich die Bilder angeschaut, sie haben sich vorgestellt, wie es wohl ist, diese Frauen anzufassen. Vater hat sie erwischt, das Heft in Tausend Schnipsel zerrissen. Seit Minuten schimpft er, zitiert die Bibel, wirft ihnen vor, der Teufel sei in sie gefahren. Ihre Mutter kommt dazu, boxt Vater auf die Brust, hält ihm den Zeigefinger hin und sagt: »Wer ohne Fehl ist …«

      Daraufhin schweigt ihr Vater und geht weg. Ihre Mutter senkt den Kopf, hebt ihn wieder, schaut den beiden abwechselnd in die Augen, ihr Blick ist weich, voller Liebe. »Ihr macht so was nie wieder, versprochen?«

      Ted und Robert schwören es. An diesen Schwur hält sich Robert. Bei allem anderen, was verboten ist und er trotzdem tun will, wird er ab sofort darauf achten, nicht erwischt zu werden. Es ist ihm gelungen, und als er siebzehn ist, hat er kein Bedürfnis mehr, sich aufzulehnen.

      Seine Haare sind gewaschen, Holger drückt vorsichtig Roberts Kopf wieder hoch. Üblicherweise reden Friseure beim Schneiden ununterbrochen, doch Holger ist schweigsam. Robert ist es recht. Im Spiegel beobachtet er den jungen Mann, der konzentriert arbeitet. Büschel für Büschel raschelt über den Umhang, fällt auf den Boden, es lohnt sich, Robert war seit einem halben Jahr nicht mehr beim Friseur. Kate könnte enttäuscht sein, denn sie hat sich in der vergangenen Nacht an seinen Haaren festgekrallt, sie zerwühlt in Leidenschaft, ein süßer Schmerz.

      Holger bringt die letzten Schnitte an, massiert ein wenig Haarwachs ein, ganz dezent, fährt mit den Händen durch Roberts neue Frisur, kämmt sie glatt, schaut ihn im Spiegel an, lächelt selbstsicher.

      »Gefällt es Ihnen?«

      Er hält einen zweiten Spiegel so, dass Robert seinen Nacken sehen kann.

      »Perfekt, Holger. Gute Arbeit.« Robert ist sehr zufrieden. Die Haare haben genau die richtige Länge, er hat seine Kopfform berücksichtigt und die Wirbel gebändigt, die an seinem Hinterkopf regelmäßig für Unordnung sorgen.

      Er bezahlt, gibt ein üppiges Trinkgeld, Holger bedankt sich, wünscht einen Guten Tag.

      Robert geht zur nächsten Wache, zeigt seinen Dienstausweis und lässt sich ein Taxi rufen. Sein Kopf fühlt sich tatsächlich leichter an, obwohl die Haare nur wenige Gramm wiegen.

      Es dauert eine halbe Stunde, bis der schwarze Benz mit der weißen Linie Robert abholt. Zeit, über Kate nachzudenken oder besser nachzufühlen. Mit Bedauern und Erleichterung stellt er fest, dass die Euphorie der Nacht langsam verfliegt. Zurück bleibt Wärme und das Gefühl, mit Kate reich beschenkt worden zu sein. Würde er sie heiraten, wenn sie nun schwanger wäre? Selbstverständlich. Die Frage ist: Würde sie ihn heiraten wollen? Was bedeutete Kate ihr Zusammensein? Er wird es herausfinden, wenn es an der Zeit ist.

      Das Taxi trifft ein. Robert wendet sich seiner Aufgabe zu, sagt dem Fahrer die Adresse, der daraufhin die Nase rümpft. Es geht zu den Notunterkünften am Frauenholz. Keine gute Gegend. Kyrill Dragusch ist dort gemeldet. Nach einer Dreiviertelstunde sind sie da, der Fahrer lässt Robert an einem Holzgatter aussteigen, das den Eingang zum Lager bildet. Robert gibt ihm Trinkgeld. Er bedankt sich und fährt in Richtung Innenstadt davon.

      Um das Lager wurde ein Holzzaun errichtet, knapp zweieinhalb Meter hoch. Nichts, was jemanden daran hindern könnte hinaus- oder hineinzukommen, ohne kontrolliert zu werden. Man will nicht an ein KZ erinnern, aber dennoch die Bewohner klar von der übrigen Bevölkerung trennen. Hier leben Flüchtlinge und Asylbewerber, die nicht deutscher Abstammung sind und darauf warten, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten oder abgeschoben zu werden. Für viele ein Todesurteil.

      Robert drückt sich an der Schlange vorbei, die im Eingang eines neu gebauten einstöckigen Hauses verschwindet. Die Verwaltung ist dort untergebracht. Einige murren, aber die meisten erkennen an seiner Uniform, dass Robert sich nicht vordrängt. Er sieht die drei Schalter, hinter denen jeweils ein Mann und eine Frau sitzen und versuchen zu verstehen, was die Leute ihnen sagen wollen. Es gibt zu wenige Dolmetscher. Am Ende des Schalterraumes liest Robert von einem Namensschild ab, dass hinter dieser Tür der Lagerleiter Klaus Soltau zu finden sei. Er klopft an.

      Eine ärgerliche Stimme ruft: »Kann man denn hier nicht einmal in Ruhe zu Mittag essen?«

      Robert zückt seinen Ausweis, drückt die Klinke und tritt ein. Hinter