Orchesterklänge kamen ihm entgegen, als Boris den klassizistischen Bau der Philharmonie betrat, der im Krieg stark beschädigt und nach dem Krieg meisterhaft wiederhergestellt war. Oboen und Fagotte bliesen die Tonleitern über zwei, manchmal über drei Oktaven rauf und runter, während die Streicher ihre Quinten von Saite zu Saite stimmten und miteinander abstimmten und die Kontrabässe wie schnarchende Bären dazwischenkratzten, als Boris den Konzertsaal betrat, einem großen Saal mit doppelstöckigen Seitenrängen unter einer hohen, gewölbten Decke. Er stieg die Stufen zur Bühne und wurde vom Maestro Wiktor Kulczynski herzlich begrüßt. Dann verbeugte sich Boris vor dem Ensemble und ging auf den Flügel zu. Der Konzertmeister, ein Geiger zwischen dreißig und vierzig begrüßte ihn: «Willkommen in Warschau! Willkommen in unserer Philharmonie!» Das Orchester brachte das Eingangsmotiv im 'Allegro non troppo' mit den steigenden Viertelnoten B-C-D, der herabgleitenden Triole Es-D-C, dann dem D als Viertelnote und dem langgezogenen F in der Dreiviertelnote. Unwillkürlich hörte Boris den Ruf seines Vaters, den stummen Schrei des Ilja Igorowitsch. Dabei sah er vor dem geistigen Auge den breiten Wolgastrom in seiner Breite und der Schwermut über seinem Lauf. Den Ohren stellt sich ein gewaltiges Gebäude von großen Dimensionen dar, das aus immer neuen Perspektiven zur Betrachtung kommt. Wiktor Kulczynski wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die große Seele des Tonschöpfers kam ins Schwingen, und die Klänge mit der genauen Beachtung von laut und leise und dem stärkeren und präzisen Vibrato drückten das Schwingen schön und ergreifend aus. Der Vortrag des 'Andante', dem folgenden Satz, empfand er als den Höhepunkt bei der Probe. Boris war ergriffen, weil er sich nicht erklären konnte, dass es hier schon beim ersten Mal ein so enges und bis ins Detail abgestimmtes Zusammenspiel gab. Maestro Wiktor Kulczynski merkte an, dass mit dem 'Andante' die Warschauer Philharmonie ihre tiefe Ergriffenheit vom gewaltigen Geist dieser Tonschöpfung zum Ausdruck bringt und dem großen Komponisten seine Unsterblichkeit bezeugt. Oberstudiendirektor Sternberg ging auf Boris zu und beglückwünschte ihn zu den Leistungen seiner Schüler beim vierhändigen Klavierabend, die beachtlich seien, wenn er das Alter der Spieler bedächte. «Der jüngste Schüler kommt erst noch», sagte Boris, worauf Herr Sternberg ein erstauntes Gesicht machte, zumal der Jüngste nicht den Anfang im Spielen machte, sondern als Vorletzter auf dem Programm stand. Nichts schien dem 10-jährigen Joschua ein Problem zu sein, und sie spielten die letzten Brahms'schen Variationen auf das Schumann'sche Thema mit den komplizierten Fingersätzen, als wären sie nicht anders als selbstverständlich zu spielen.