Am Strand, etwa hundert Yards vom Uferwasser entfernt, hatte ein erstes Kommando der Holländer Pfähle in den Boden gerammt. Planken waren in aller Eile an ihnen festgenagelt worden. Die schmale Öffnung wurde mit zwei beweglichen Stangen verschlossen. Zehn mit Musketen, Pistolen und Säbeln bewaffnete Männer waren bei dem Gehege postiert. Das Hineintreiben der Schweine wurde von einem Dutzend unbewaffneter Männer besorgt. Die Wächter spähten fortwährend zum Dickicht. Ihren Mienen war anzusehen, daß sie sich nicht sehr behaglich fühlten. Der Dschungel auf einer unbekannten Insel konnte alle nur erdenklichen Gefahren bergen. Tatsächlich wurden sie bereits heimlich beobachtet…
Cesare Bruto flog, vom Fausthieb des Seewolfs getroffen, durch den schwarzen Vorhangstoff der Toten-Gondel und prallte gegen die Pulverfässer. Die oberen kippten um und fielen polternd auf die Planken. Hasard sah, wie eins der Fässer auseinanderplatzte. Schwarzpulver ergoß sich feinkörnig über Brutos Oberkörper, als er noch versuchte, sich aufzurichten. Die Glut der Lunte war ihm nahe. Und das Pulver rieselte von seinen Schultern nieder. Hasard reagierte blitzartig. Ihm blieb keine Zeit mehr, den Cutlass in die Scheide zu stoßen. Er ließ die Blankwaffe fallen und hechtete mit einem wilden Sprung ins Wasser. Die Detonation war wie das Brüllen eines Vulkans. Unter Wasser erfaßte ihn eine Flutwelle, die ihn wie einen Korken weiterkatapultierte…
Die Schebecke der Seewölfe lief auf die beiden ankernden Fleuten zu, die offenbar damit beschäftigt waren, aus einer anderen, halb gesunkenen Fleute Ladegüter abzubergen. Hasard wollte den Holländern Hilfe anbieten, aber die Mijnheers schienen darauf keinen Wert zu legen. Im Gegenteil, die eine Fleute setzte Segel, ging ankerauf und steuerte der Schebecke entgegen, während auf der anderen die Stückpforten geöffnet wurden. Hasard zögerte noch, Befehl zum Abdrehen zu geben. Vermutlich mußte er den Mijnheers zuerst einmal erklären, daß er die Absicht habe, ihnen zu helfen. Er irrte sich. Sie wollten sich gar nicht helfen lassen, sondern den Schnüffler vertreiben. Und das taten sie, indem sie der Schebecke einen Schuß vor den Bug setzten…
Es gehörte schon eine ganze Portion Verwegenheit – und Glück – dazu, in den spanischen Stützpunkt auf Flores einzudringen, aber Hasard hatte es mit den acht Männern geschafft. Mit dem Glück war es jedoch nicht so weit her, als der Seewolf auf den Posten stieß, der die Treppe hinunterstürmte. Der ließ sich weder von Hasards Warnung noch von seiner Pistole stören. Er brüllte «Alarm!» und zog die eigene Pistole. Da schoß Hasard. Einen Moment später krachte auch die Waffe des Soldaten. Das Schußgetöse in der Kommandantur vereinte sich zu einem urgewaltigen Wummern, das von den Wänden zurückprallte und die ganze Garnison auf die Beine bringen mußte. Was das bedeutete, darüber brauchte Hasards Stoßtrupp nicht lange nachzudenken…
Hasards Misstrauen wuchs – und es bestätigte sich kurz darauf. Der Wind drehte endgültig nach Osten, und die «Isabella» konnte den Kreuzkurs nicht mehr halten. Sie musste abfallen. Eine immer höhere Dünung baute sich auf, der Himmel nahm eine unnatürlich aussehende, fast schwefelig gelbe Farbe an. Die Seevögel, welche die «Isabella» bisher noch begleitet hatten, wurden unruhig und begannen, nach Westen abzustreichen – ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich etwas zusammenbraute. Dafür sprachen auch die zerfaserten Wolken, die mit beträchtlicher Geschwindigkeit aus Südosten herantrieben, Wolken, die sich hoch am Himmel als Haken, Krallen und faserige Büschel darstellten…
Struzzos schriller Befehl hallte weit über das Wasser. Der Henkersknecht stieß die Felsbrocken nach Backbord von der Bugplattform. Black wurde von den beiden Brocken, an die er mit einer Kette gefesselt war, mitgerissen. Indem er den Oberkörper zur Seiter krümmte, konnte er eben noch verhindern, daß er mit dem Kopf auf den Dollbord schlug. Er pumpte Luft in die Lungen, obwohl er nicht glaubte, daß es ihm noch etwas nutzte. Das Wasser schlug über ihm zusammen. Die Zentnergewichte der Felsbroken zogen ihn in die Tiefe. Rasch schwand die Helligkeit des Sonnenlichts. Blacky sank tiefer und tiefer, er spürte den zunehmenden Wasserdruck, Schleier begannen vor seinen Augen zu wallen, er lehnte sich verzweifelt gegen das Schwinden seiner Sinne auf…
Mit untrüglicher Sicherheit prägte sich Dan O`Flynn die unterschiedlichen Laute des Urwalds ein. Die langen Jahre auf See hatten seine Sinne geschärft. Jedes neue, fremde Geräusch würde ihm sofort auffallen. Davon war er jedenfalls überzeugt. Aber der Schatten, der hinter ihm aus dem Mangrovendickicht auftauchte, bewegte sich so lautlos, wie ein Schatten nur sein kann. Als Dan O`Flynn die fremdartige menschliche Ausdünstung wahrnahm, war es schon zu spät. Er wollte hochschnellen, herumwirbeln – doch es blieb beim Ansatz der Bewegung. Ein Hieb explodierte auf seinem Schädel…
Ein heiseres Kommando ertönte. Arne von Manteuffel und Jussuf kauerten bereits mit glimmenden Lunten unterhalb der Fenstersimse im oberen Stockwerk der Faktorei. Die Fenster standen offen. Schüsse krachten. Kugeln klatschten ins Mauerwerk oder rasten in den Raum, wo sie sich in die Deckenbalken oder in das Wandholz gruben. Die beiden Männer schleuderten zwei Flaschenbomben gleichzeitig hinunter. Der Rammstoß des Baumstammes traf noch die Tür. Die Mauern des Hauses erbebten, aber die Tür mit der inneren Balkensicherung hielt stand. Die Kerle wollten den Rammbock erneut ansetzen, doch in diesem Augenblick explodierten die beiden Flaschenbomben. Es klang wie ein Doppelschlag…
Zwei Reiter fegten fast nebeneinander den steilen Pfad herauf, der zu der Silber-Galeone am Fluß führte. Sie trieben ihre Tiere brutal mit den Zügelenden und Sporen an. Auf den ersten flüchtigen Blick erkannte der Seewolf, daß die beiden Reiter weitaus besser gekleidet waren und gepflegter aussahen als jene Kerle die sich der «Fidelidad» bemächtigt hatten. Klarer Fall, es handelte sich um die beide Oberhalunken der Themse-Geier, die jetzt flüchten wollten und ihre Kerle im Stich ließen. Fast gleichzeitig schossen Big Old Shane und Batuti ihre Bögen ab. Die Pfeile rasten von den Sehnen und trafen die beiden Reiter mit großer Wucht in die Schultern. Hasard packte, als der erste Mann halb an ihm vorbei war, dessen Fuß und riß den Reiter aus dem Sattel…
Spaß muß sein, dachte Philip Hasard Killigrew, und darum gestattete er es den fremden Gauklern, ihre Kunststücke den Seewölfen an Bord der «Isabella» vorzuführen. Da war sogar ein Wunderdoktor dabei – genau der Richtige, um Old O´Flynn von seinen ewigen Schmerzen im Beinstumpf zu erlösen. Begierig trank Old O´Flynn aus der Flasche, die das Wunderheilmittel enthalten sollte. Und alle schauten ihm zu, gespannt auf die Wirkung. Darum sah keiner der Seewölfe, daß die beiden Helfer des Wunderdoktors den Zwillingen ihres Kapitäns Messer an die Kehle gesetzt hatten. Also Spaß war das nun wirklich nicht mehr…