Der Seewolf nahm den breitschultrigen Kerl aufs Korn, in dessen Gesicht eine rote Messernarbe leuchtete. Vergeblich versuchte dieser, eine rasche Abwehr aufzubauen. Mit einem einzigen schmetternden Hieb fegte Hasard seine zur Deckung hochgerissenen Arme beiseite. Der Narbige geriet ins Wanken und taumelte zurück. Hasard setzte sofort nach. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, daß auch Ed Carberry, Ferris Tucker und Batuti mittlerweile voll beschäftigt waren. Ed schickte gleich zwei Gegner nacheinander auf die Reise, indem er sie mit der Brisanz seiner riesigen Fäuste buchstäblich von den Füßen hob…
Auf dieser Welt – oder dem, was von ihr bekannt war – konnte es solche seltsamen Tiere eigentlich gar nicht geben, wie sie die Seewölfe jetzt entdeckt hatten. Sie flohen parallel zum Flußlauf, aber dabei schlugen sie Haken. Diese Biester waren so groß wie Menschen, hatten mächtige Hinterbeine und vergleichsweise winzige Vorderläufe. Ihr Fell war grau, und die Kopfform erinnerte entfernt an europäische Hasen. Mit ihren muskulösen Hinterbeinen vollführten sie riesigen Sprünge – und einige hatten einen Beutel vor dem Bauch, eine Tragetasche, aus dem ein winziges Tier herausschaute…
Edwin Carberry ließ ein Boot des Gegners, das er aufs Korn genommen hatte, kurzerhand rammen. Mit einem Satz enterte er über. Wie es der Zufall wollte, handelte es sich um Robert Parsons Boot. Drakes erster Offizier wurde weiß im Gesicht, als er sich zum zweiten Male an diesem Abend den Riesenpranken des Profos ausgeliefert sah. Zum zweiten Male an diesem Abend mähte Carberry Drakes Ersten von den Füßen. Nur gab es diesmal keinen Fußboden, von dem sich Parsons wieder aufrappeln konnte. Er versank gurgelnd, tauchte wieder auf und flüchtete schwimmend zum Kai…
Die Flucht Dan O'Flynns und seiner fünf Gefährten von der spanischen Kriegskaravelle war vereitelt worden, und jetzt saßen sie in einer Zelle im Stadtgefängnis von Panama. Dabei brannte ihnen die Zeit unter den Nägeln, denn in Panama hatten sie ein Schiff «besorgen» wollen, um die Kameraden von den Galápagos-Inseln abholen zu können. Und sollten sie von einem gewissen Generalkapitän verhört werden – wie ihnen das angekündigt worden war -, dann konnte der Schwindel sehr schnell auffliegen, daß sie gar nicht die letzten Überlebenden der «San Lorenzo» waren. Dan O'Flynn wußte nur eins: Sie mußten raus aus diesem verdammten Bau, bevor die Dons begriffen, daß sie es mit englischen Freibeutern zu tun hatten…
Es war ausgerechnet in Kolberg, der Heimatstadt der Manteuffel-Sippe, wo Philip Hasard Killigrew mit Duell-Forderungen überhäuft wurde, und es war ihm eine Ehre, sie alle anzunehmen, immer der Reihe nach. Der erste, der sich beleidigt fühlte, war Rodriguez de Coria, seines Zeichens spanischer Gesandter, was ihn aber nicht daran hinderte, einen unverschämten Betrug versuchen zu wollen. Als nächster meinte Kapitän de Frias, von Hasard in seiner Ehre gekränkt worden zu sein, und ihm folgten noch vier andere hochwohllöbliche Dons von der «Santissima Madre», was Nils Larsen zu der Bemerkung veranlaßte, daß es fast so aussehe, als müsse die «Santissima Madre» nach diesen Duellen mit einem leeren Achterdeck nach Spanien zurücksegeln…
Grelle Feuerzungen leckten jäh aus den Stückpforten der «Hornet». Sekunden später hallte das ohrenbetäubende Donnern der Geschütze zu den französischen Schnapphähnen hinüber. Auf der britischen Galeone war die gesamte Backbordbreitseite abgefeuert worden. Zehn Siebzehn-Pfünder-Kugeln orgelten heran. Knapp oberhalb der Wasserlinie schlugen die ersten Kugeln ein. Das Bersten und Splittern von Holz übertönte jeglichen anderen Lärm. Die «Louise II» erbebte unter den Einschlägen, ein Ächzen lief durch alle Verbände der Piraten-Galeone. Schreie gellten von der Kuhl. Männer, die von Splittern getroffen wurden, sanken neben den Geschützen auf die Planken…
Als es auf die Dämmerung zuging, steuerte Old O'Flynn mit seiner «Empress of Sea» auf eine Stelle der Korallenbarriere, die einen Durchlaß bot – jedenfalls für die kleine flachgehende Karavelle, aber nicht für die schwere Kriegsgaleone «Sant Jago», das Flaggschiff des Dreier-Verbandes, der ausgezogen war, um den Seewolf zur Strecke zu bringen. Mit einer Affenfahrt rauschten Old Donegal und seine Mannen über jene Stelle, die auch in der Dämmerung noch deutlich zu erkennen war. Dann starrten sie alle nach achteraus. Bemerkte der Generalkapitän auf der «Sant Jago» die Falle, oder blieb er auf Kurs? Ja, er blieb auf Kurs, er war viel zu vernagelt. Die Mannen begannen zu grinsen…
Hasard junior hatte die Morgenwache, und als sich die Frühnebel zu lichten begannen, bezog er den höher gelegenen Ausguckposten über der Felsgrotte. Mit dem Spektiv begann er den üblichen Rundblick. Nach Westen hin hatten sich die Nebelfelder bereits weitgehend aufgelöst, die Kimm verschwamm aber noch im Dunst. Langsam schwenkte Hasard junior den Kieker nach Nordwesten. Und dann erstarrte er. Was sich da ein wenig dunstverhangen, aber doch deutlich genug im Okular abzeichnete, nannte man in den afrikanischen Wüstenregionen eine Fata Morgana, ein Bild, das den Augen vorgegaukelt wurde, das aber gar nicht existierte. Es war wie ein Schock, und Hasard junior glaubte im ersten Moment an ein Gespensterschiff…
Mit auslaufender Fahrt glitt die Schebecke der Seewölfe auf die Galion der «Fidelidad» zu. Hoch ragte das Vorschiff der Galeone über den Arwenacks auf. Ferris Tucker konnte die Höllenflaschen jetzt mit der Hand hinüberschleudern. Von der Kuhl und dem Achterdeck des Spaniers ertönte wildes Gebrüll. Sie rüsteten zur Verteidigung und wußten, daß sie das Entern der Angreifer nicht mehr verhindern konnten. Blacky, Luke Morgan und Stenmark warfen die ersten Enterhaken. In Sekundenschnelle lag die Schebecke unterhalb der Galion – in Fahrtrichtung der «Fidelidad». Mit langen Sätzen stürmte der Seewolf nach vorn und enterte als Erster. Dan O'Flynn und Don Juan de Alkazaar waren unmittelbar hinter ihm. Weitere Enterhaken flogen in hohem Bogen und wurden sofort an der Verschanzung der Schebecke vertäut…
Groß und drohend rauschte der Bug der «Isabella VIII.» auf das Vorschiff der spanischen Prunkgaleere zu. Viel zu spät erhielt die Rudermannschaft den Befehl zum Streichen. Panikartig sprangen die ersten Ruderer auf, als der Schatten der heransegelnden Galeone auf sie fiel. Befehle, die unter dem Sonnendach hervorgellten, wurden nicht mehr befolgt. Rasend schnell verringerte sich die Distanz. Mit ohrenbetäubendem Krachen bohrte sich der Bug der «Isabella» in das prachtvoll verzierte Vorschiff der Galeere. Für einen Moment hob sich der Bug der Galeone. In einem Meer von Trümmern versank der schwere Mörser der vorderen Galeerenplattform. Soldaten und Offiziere sprangen in wilder Flucht über Bord…