Im Auto um die Erde. Max Reisch

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Название Im Auto um die Erde
Автор произведения Max Reisch
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783709500118



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wenn man Glück hatte, stammte einer davon aus Afghanistan, verfügte über Beziehungen zum Kriegsminister, nützte diese Beziehungen zugunsten seiner Kollegen aus und …

      So einfach war es aber nun doch nicht. Noch in Teheran hatten wir nicht gewusst, ob unser Gesuch wirklich bewilligt werden würde. Viele Telegramme waren zwischen den beiden Hauptstädten hin und her gegangen, ehe wir endlich die Visa abholen konnten. Ganz nebenbei, mit gespielter Gleichgültigkeit, ließ ich beim Abschiedsbesuch im afghanischen Konsulat von Teheran die Worte fallen: »Mit dem Wagen werden wir doch keine Schwierigkeiten haben?«

      Die Befürchtung lag nahe, dass dieses umfangreiche »Gepäckstück« die Einreisebewilligung erheblich erschweren würde, und deshalb hatten wir es anfangs gar nicht erwähnt.

      »Ah, Sie wollen ein Auto mitnehmen?«, meinte jetzt der Konsul und wiegte bedenklich den Kopf. »Da kann ich Ihnen gar nicht sagen, ob Sie Schwierigkeiten haben werden. Das hängt einzig von dem Zollamt an der Grenze ab.«

      Noch haben wir kein Zollamt gesehen, aber nach dreistündiger Fahrt durchs Niemandsland taucht jetzt am Horizont ein großes Fort auf. Wir halten an und verstauen Photo- und Kinoapparate in den Proviantkammern hinter den Sitzen. In dem so strenggläubigen Afghanistan ist es sicher besser, die »Bildmaschinen« nicht zu zeigen.

      Einen langen Schatten wirft der Wagen über die Ebene, als wir uns dem afghanischen Grenzfort nähern. Bald wird die Dämmerung zur Nacht geworden sein. Die große Befestigungsanlage ist halb verfallen und gleicht einer riesigen Ruine. Im Hof brennen gespenstische Feuer. Afghanen braten Fleisch. Gewehrläufe blinken im Widerschein der Flammen. Pferde scheuern mit den Hufen und zerren an den Strängen, dunkel heben sich die Gewölbe und Mauern gegen den Abendhimmel ab. Von einem Soldaten werden wir in das Innere der Festung geführt.

      Zum ersten Male auf der Reise fühle ich so etwas wie Beklemmung. Die rohen Gesellen, die um die Feuer lagern, verstummen, Hände, die gerade eine blutige Fleischkeule zum Munde führen wollten, erstarren auf halbem Wege. Alles blickt feindselig auf die fremden Eindringlinge. Totenstille herrscht, nur die Pferde scharren unbekümmert weiter.

      Das Herz klopft mit heftigen Schlägen: Das ist nun wirklich jenes Asien, wie man es in der Kindheit erträumte. Wild und unberechenbar, von Hass erfüllt gegen alles, was ungläubig ist. Das ist das wahre Asien, wie man es als Knabe miterlebt hat in den Taten Hadschi Halef Omars …

      Ich nehme allen Mut zusammen und will etwas sagen, aber es bleibt mir in der Kehle stecken. Dann würge ich es doch heraus, ein einsames »Salam« hallt unsicher über den Hof. Niemand antwortet. Aber der Mann vor mir, in der Pluderhose und dem weiten Burnus, führt seine Hammelkeule zum Mund. Die Starrheit löst sich und alle wenden sich wieder ihrem Mahl zu. Niemand nimmt mehr Notiz von den beiden Fremden, die nicht an Allah glauben. Der Soldat führt uns durch die Reihen der Krieger hindurch zum rückwärtigen Teil der Festung. Und verschwindet darin mit dem afghanischen Empfehlungsschreiben, das von unserem Studienfreund Mahmudi aus Wien stammt.

      Wir warten. Sehr lange warten wir. Auf einmal aber wird die Tür aufgerissen und ein blendend aussehender, tadellos gekleideter afghanischer Offizier eilt auf uns zu und begrüßt uns mit den Worten: »Glad to meet you!« Wir sind mehr als erstaunt. Aber schon fährt er in gutem Englisch fort: »Denken Sie, welcher Zufall! Mahmudi, der Ihnen diesen Brief mitgab, ist ein guter alter Freund von mir.«

      Wir lassen die wilde asiatische Romantik des Hofes mit den fleischbratenden Afghanen und den Gewehrpyramiden hinter uns und sitzen bald in einem behaglich ausgestatteten Raum, in dem es sich gut plaudern lässt. Aus Andeutungen entnehmen wir, dass auch der Mann vor uns mit den intelligenten Augen und dem etwas schmerzlichen Zug um den Mund nicht immer zwischen so rauen Kriegern geweilt hat und dass sein Aufenthalt auf der Festung einer Art Strafversetzung gleichkommt. Sicher hat er sich selbst, vielleicht sogar seine Wohnung, erst noch rasch auf Glanz herausgeputzt, ehe er uns als Boten aus einer anderen Welt empfing – deshalb haben wir so lange warten müssen.

      Jetzt erzählt er uns von Afghanistan und seinen Bewohnern Dinge, die für uns bei späteren Begegnungen sehr wertvoll werden sollten. Die Afghanen sind ein freiheitsliebendes Volk. Waffen zu tragen ist für jeden Mann selbstverständlich – aber auch davon Gebrauch zu machen, sowie auch nur die leisesten Anhaltspunkte dafür gegeben sind. Deshalb rät Gulam Ali, unser freundlicher Gastgeber, eindringlich, nur ja anzuhalten, wenn wir auf berittene Afghanen treffen. Sollte ein Pferd durch das Auto scheu werden und seinen Reiter abwerfen, so empfände ein Afghane das als eine Schmach, die Rache fordert. Noch besser sei es, die Landessöhne gleich zu einer Zigarette einzuladen. Das Gesetz der Gastfreundschaft wird so heilig gehalten, dass damit praktisch jeder schon entwaffnet ist und nie daran denken wird, die Hand gegen den Gastgeber zu erheben.

      Friedlich schlummern wir in der Nacht in unseren Feldbetten, die wir in Gulam Alis Schreibzimmer aufschlagen. Draußen wachen die wilden Gesellen über die Sicherheit des Forts und damit auch über die unsere. Ob sie von dieser zusätzlichen Aufgabe besonders entzückt sind, wissen wir nicht. Der Kommandant hat es jedenfalls so befohlen. Am nächsten Morgen warte ich gespannt, ob nun die Rede auf die Zollabfertigung kommen wird – ein Thema, das wir am gestrigen Abend ängstlich vermieden haben. Denn Gulam Ali war zwar sehr freundschaftlich, aber man konnte doch nicht wissen …

      Beim Frühstück, zu dem wir unsererseits Konserven beisteuern, fragen wir nach den Pässen und bitten um einen recht schönen Stempel. Darüber freut sich fast jeder asiatische Zöllner und fühlt sich geschmeichelt. Bei Gulam Ali ist indessen eine derartige Regung nicht zu bemerken. Sie wäre für eine günstige Zollabwicklung von Wert! Er gibt uns die Pässe und erklärt: »Ich möchte gerne Ihren Wagen sehen.« Unangenehme Ahnungen beschleichen mich. Er betrachtet das Fahrzeug und beweist ein erstaunliches technisches Wissen. Dann sagt er: »Ich würde Ihnen raten, bald weiterzufahren, sonst kommen Sie in die große Hitze des Tages, bevor Sie in Herat sind.«

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      Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Wir schütteln ihm die Hand und bedanken uns. Dann springen wir in den Wagen, der Motor läuft an.

      »Auf Wiedersehen und gute Fahrt!«, ruft er noch, dann rückt die Kupplung ein, wir fahren, sind in Afghanistan.

      Das ist ein Land! Kein Triptyk, kein Carnet, kein Zolldepot, keine Gepäcksdurchsuchung – es ist, als wären wir barfuß über die Grenze gekommen.

      Nach der völligen Weglosigkeit im »Niemandsland« gibt es jetzt wieder so eine Art Straße, die sich bald rechts, bald links vom Heri-Rud dahinschlängelt. Jedes Mal, wenn der Weg auf hoher, gewölbter Steinbrücke von fast biblischem Alter den Fluss kreuzt, machen wir halt und tauchen in die Fluten. Man wird diese »Wassersucht« kaum verstehen können, wenn man nicht selbst in der glühenden Julisonne durch das »Urlajat« gezogen ist. Urlajat, das Stammland, nennen die Afghanen ihr Land. Wir machen eine neue Erfindung: Sie besteht darin, auch die Hemden einzutauchen und dann klitschnass überzuziehen. Im Fahrtwind kühlt das den ganzen Körper lange.

      Herat, mit seinen 50.000 Einwohnern, sieht wie eine Festung aus, so zahlreich sind die hohen, alten Mauern, die den eigentlichen Stadtkern umschließen. Erfreulich sauber sind die Straßen, deren Reinigung auf recht originelle Weise geschieht. Ein Mann trägt eine Ziegenhaut prall mit Wasser gefüllt auf seinem Rücken wie einen Rucksack und was einst ein Ziegenbein gewesen ist, wird jetzt als Schlauch benützt, aus dem schlenkernd ein Wasserstrahl auf die Straße spritzt.

      Weniger genau nimmt man es mit der Reinhaltung des Benzins. Wir erkunden, dass eine Karawanserei begonnen hat, sich auf Autos umzustellen – in Afghanistan spielen sie noch nicht annähernd die gleiche Rolle wie in Persien –, und wirklich, man bringt uns einige offene Kannen. Im Sieb des Trichters sammelt sich alles Mögliche: kleine Steinchen, Stroh und grober Schmutz – der feine macht es sich im Tank bequem. Immerhin, wir hatten Benzin. Doch jetzt ging es ans Zahlen. Sechzig Liter Benzin kosten 748 Stück Afghani-Münzen. Wehe dem, der beim Zählen nervös wird! Es kann ihm passieren, dass er knapp vor dem Ende noch einmal anfangen muss. Wir hatten unsere liebe Not mit diesen Münzen. Vier persische Hundert-Toman-Noten trugen wir in die Wechselstube von Herat und