Völkerrecht. Oliver Diggelmann

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Название Völkerrecht
Автор произведения Oliver Diggelmann
Жанр Документальная литература
Серия KONTEXT / Reihe zu staatspolitischen Themen
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199402



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(1583–1645) aus, dessen Hauptwerk «De iure belli ac pacis» ist. Es ist 1625, mitten im Dreissigjährigen Krieg, erschienen und hat Völkerrecht und Völkerrechtswissenschaft über Jahrhunderte stark beeinflusst. Grotius wird manchmal, überzeichnend, als «Begründer» des säkularen Völkerrechts bezeichnet. Er befasste sich nicht nur mit grundsätzlichen Fragen, sondern auch intensiv mit Detailregeln und spurte manche Entwicklung vor. Auch er hatte aber bedeutende Vorgänger, vor allem spanische Autoren, die allerdings noch stärker im mittelalterlich-theologischen Denken verhaftet waren. Sie hatten in der Folge der Entdeckung Amerikas Fragen aufgeworfen und behandelt, die im Kern völkerrechtlicher Natur waren. Zu erwähnen ist etwa die während der nächsten Jahrhunderte wichtige Frage nach dem – in heutiger Terminologie – völkerrechtlichen Status indigener Völker. Letzter Geltungsgrund des Rechts ist aber auch bei Grotius noch Gott. Er ging allerdings in Anlehnung an den Philosophen Gregor von Rimini davon aus, dass das Naturrecht auch ohne Gott gelten würde. Säkularität ist hier zumindest angedacht.

      Ein anderer bedeutender, vernunftrechtlicher Völkerrechtsautor war Christian Wolff (1679–1754). Wolff, Philosophieprofessor in Halle, veröffentlichte 1749 sein Hauptwerk «Ius gentium methodo scientifica pertractatum». Er ging davon aus, dass die vernünftige Natur die Staaten dazu verpflichtet, sich in einer universellen «civitas maxima» zu verbinden und zusammenzuarbeiten. Wolff betont die Entwicklungsfähigkeit von Menschen und Staaten und gilt als Vertreter der «idealistischen» Denkrichtung. Weiter verdient unter den Naturrechtsautoren Emer de Vattel (1714–1767) Erwähnung. Sein Hauptwerk «Droit des gens, ou principes de la loi naturelle» erschien 1758. Vattel war der Erste, der das Völkerrecht konsequent als aus der Naturvernunft folgendes Recht zwischen Staaten und nicht bloss zwischen Herrschaftsträgern beschrieb. Damit «verschwand» der einzelne Mensch gewissermassen im Staat. Vattels Denken ist wesentlich, aber nicht nur von Ideen eines «realistischen» internationalen Weltbilds geprägt. Es hatte grossen Einfluss und war etwa den «Founding Fathers» der Vereinigten Staaten gut bekannt.

      Beispiel: Fall Mendoza

      Viele bedeutende völkerrechtliche Institutionen sind aus der Praxis herausgewachsen. Der «Fall Bernardino de Mendoza» etwa aus dem späten 16. Jahrhundert ist anschaulich für die Entstehungsweise von Völkerrecht «von unten».11 Er war für die Herausbildung der diplomatierechtlichen Institutionen der Erklärung einer Person zur persona non grata und der Immunität von Diplomaten von grosser Bedeutung. Politisch ging es in dem Fall um die Frage, wie eine Krise zwischen Spanien und England, die sich zum Krieg hätte auswachsen können, mit möglichst wenig Gesichtsverlust auf beiden Seiten deeskaliert werden konnte.

      Bernardino de Mendoza war von 1578 bis 1584 Botschafter Spaniens in England. Er pflegte als Katholik enge Kontakte zu Jesuiten und unterstützte im englischen Machtkampf die Anhänger der katholischen Königin von Schottland, Mary Stuart, gegen die protestantische Königin Elizabeth I. Tudor. Als sich herausstellte, dass Mendoza gar in ein Komplott gegen Elizabeth verwickelt war – sie sollte durch Mary Stuart ersetzt werden –, stellte sich für England die Frage, wie es mit Mendoza verfahren sollte. Man befürchtete im schlimmsten Fall einen Krieg mit Spanien und bat deshalb Alberico Gentili, Professor für Zivilrecht in Oxford, um seine Meinung. Auf dessen Anraten hin wurde Mendoza von der Königin aufgefordert, das Land binnen 15 Tagen zu verlassen. Zugleich schickte England einen Gesandten nach Spanien, der mitteilte, dass der Konflikt Englands mit Mendoza nicht Spanien als Land betreffe, sondern nur Mendoza als Person. England sei bereit, einen anderen Botschafter Spaniens zu akzeptieren. Gentili vertrat zudem die Ansicht, der Botschafter könne Immunität beanspruchen, also gerichtlich nicht belangt werden. Wir sehen an diesem Fall auch den Einfluss, den Wissenschaftler als Gutachter und Ratgeber auf die Entstehung und Entwicklung des frühen Völkerrechts hatten.

      Vom Monarchen und Lehensnehmer zum Staat

      Wer waren die Teilnehmer dieses frühen Völkerrechts? Das ist keine einfach zu beantwortende Frage. Die Rede vom neuzeitlichen Staatensystem, das man sich als Gesellschaft von Staaten mit eigener (Rechts-)Persönlichkeit vorstellt, vereinfacht übermässig. Im 16. Jahrhundert war das Völkerrecht noch stark von der mittelalterlich-feudalistischen Vorstellung geprägt, Beziehungen zwischen Herrschaftsträgern seien persönlicher Natur. Es handle sich um Beziehungen zwischen zwei Menschen, nicht zwischen Staaten. Das Lehenssystem war eine Ordnung zwischen Individuen und nicht zwischen als verselbstständigt gedachten politischen Einheiten gewesen. Es fusste auf persönlichen Treuebeziehungen.12 In Frankreich, Spanien und England existierten zwar Frühformen des Territorialstaats, was aber nicht bedeutete, dass international bereits «der Staat» als Träger von Rechten und Pflichten auftrat. Die Dauer der rechtlichen Beziehungen zwischen den Herrschaftsträgern begrenzte sich im Regelfall auf die Lebenszeit der beteiligten Monarchen, was einiges über das Grundverständnis dieser Beziehungen aussagt.

      Der Abstraktionsprozess zum Völkerrecht als Recht eines «Staatensystems» mit den Staaten als einzigen Teilnehmern vollzog sich in mehreren Schritten. Der erste bestand darin, dass in Verträgen statt des blossen Namens des Herrschers oder der Herrscherin der Titel erwähnt wurde. Die Funktion des Herrschers rückte in den Vorder-, seine Person in den Hintergrund. Das war etwa bei einigen Verträgen des aus mehreren Teilvereinbarungen bestehenden Friedens von Utrecht von 1713 der Fall, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete. Der zweite Schritt war, dass man sich den Staat – wesentlich beeinflusst durch die Schriften von Thomas Hobbes – als Wesen mit spezifischen Eigenschaften vorzustellen begann. Hobbes hatte ihm Eigenschaften eines alttestamentarischen Ungeheuers zugeschrieben, des Leviathan, was die Vorstellung vom Staat als einer Einheit förderte.13

      Ein letzter Schritt schliesslich war das formale Aufrücken des Gemeinwesens in die Teilnehmer- und Subjektstellung. Frühe Fälle der Erwähnung von Staaten in Verträgen betrafen stets Republiken. Hier gab es keinen Monarchen, der persönlich verpflichtet sein konnte, die Existenz von Republiken förderte vielmehr die Vorstellung vom Staat statt dem Monarchen als Souverän und Teilnehmer des Völkerrechts.14 Der Friede von Osnabrück nach dem Dreissigjährigen Krieg nannte als Staaten nur die Niederlande und die «Kantone der Schweiz». Die Frage, ob der Staat oder der Monarch Teilnehmer des völkerrechtlichen Verkehrs sei, blieb aber auch nach 1648 in der Schwebe. Noch im 18. Jahrhundert war die Situation nicht eindeutig. Zwar stellte die naturrechtliche Völkerrechtslehre das Völkerrecht mittlerweile als Recht zwischen souveränen, unabhängigen, einander rechtlich gleichgestellten Staaten dar, klassisch im erwähnten Hauptwerk von Emer de Vattel. In der Praxis aber wurden Verträge oft noch von Monarchen als Herrschaftsträgern abgeschlossen. Teilnehmer des Vertrages zwischen Grossbritannien und Frankreich im Rahmen des Friedens von Utrecht etwa waren Prinzessin Anne und Louis XIV. Erst mit der Französischen Revolution und dem Ende des Reiches 1806 sollte sich das neue Denken endgültig durchsetzen.

      Souveränität als Angelpunkt

      Das Souveränitätskonzept, Angelpunkt des neuen politischen Denkens und auch bald des Völkerrechts, verdient nähere Betrachtung. Frühere politische Gemeinwesen kannten es nicht. Der Verkehr zwischen ihnen kam ohne es aus, was zur Frage führt, weshalb genau es entstand, auf welches politische Problem es eine Antwort war. Jean Bodin suchte 1576 in «Les six livres de la République» eine Lösung für das Problem verheerender Bürgerkriege in den durch die Reformation gespaltenen Ländern. Adelsheere bekämpften sich, oft unerbittlich, weil es um nichts weniger als die religiöse Wahrheit ging. Bodin suchte deshalb nach einer Instanz, die der Gewalt wirksam ein Ende setzen konnte.15 Die Lösung war ein König, der über den Parteien stand, eine Instanz, die im Innern ein Gewaltmonopol besass. Ausserdem musste sie nach aussen unabhängig handeln können, was zur Zeit Bodins allerdings bloss ein sekundärer Aspekt der Souveränität war. Das Gewaltmonopol im Innern war das Entscheidende. Mit Blick auf das Völkerrecht verdient dies durchaus Hervorhebung, da das Souveränitätskonzept in seinen Anfängen nicht primär ein Konzept für die Aussenbeziehungen war. Jedenfalls sind dies die zwei Seiten der Souveränität, die wir heute noch prüfen, wenn wir bei einem «Staatsaspiranten» die Staatsqualität prüfen. Es braucht neben Volk und Territorium eine Staatsgewalt, das heisst