Название | Der Schoppenfetzer und die Weindorftoten |
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Автор произведения | Günter Huth |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429063986 |
Rottmann hatte das Transparent völlig vergessen. Er warf einen Blick hinauf, dann nickte er. „Stimmt! Ich habe da zufällig ein paar Beobachtungen gemacht, die darauf hindeuten, dass der Tote und das Transparent in einem Zusammenhang stehen könnten.“ Er sammelte kurz seine Gedanken, dann schilderte er seinem ehemaligen Mitarbeiter die Ereignisse dieser Nacht. Als er die weglaufenden Gestalten erwähnte, hob Deichler die Augenbrauen.
„Hast du irgendwelche Einzelheiten erkennen können? Konntest du wenigstens sehen, um wie viele Personen es sich handelte?“
Rottmann zuckte mit den Schultern. „Ich bin zwar rüber zur anderen Dorfstraße gelaufen, konnte aber nichts Genaues erkennen“, gab Rottmann zurück, der wieder erstaunlich nüchtern war. „Ich denke, es waren drei oder vier Personen. Vermutlich männlich, aber auch das kann ich nicht beschwören. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass einer von denen eine weiße Kappe oder so etwas Ähnliches auf dem Kopf trug.“ „Das gibt nicht viel her“, gab Deichler zurück.
„Weiß ich auch“, brummte der Exkommissar. „Aber bei dem diffusen Licht …“
„… und mit einer gehörigen Anzahl Schoppen im Bauch“, ergänzte Deichler leicht grinsend den Satz.
„Ist sicher richtig“, gab Rottmann zurück. „Aber am Eröffnungsabend des Weindorfes darf man ja mal etwas tiefer ins Glas schauen. Man rechnet ja auch nicht damit, dass die Mordkommission einen in der Nacht noch als Zeugen benötigt.“
In diesem Augenblick kam der Rechtsmediziner herüber und nickte knapp.
„Gibt es irgendwelche verwertbaren Erkenntnisse?“, fragte Deichler.
„Im Augenblick kann ich noch nicht viel sagen. Lange liegt er jedenfalls noch nicht, eine gute Stunde würde ich sagen. Das Blut stammt von einer Kopfverletzung. Sie kann von einem Schlag oder aber auch von dem Sturz auf den Boden gekommen sein. Sonstige Verletzungen konnte ich noch nicht feststellen. Näheres nach der Obduktion.“
Deichler nickte und der Arzt entfernte sich wieder. Gerade fuhr der Leichenwagen auf den Platz, der den Toten zum Institut für Rechtsmedizin fahren würde.
Rottmann gähnte verhalten. „Wie sieht es aus, kann ich jetzt gehen? Ich bin wirklich müde. Wenn du eine schriftliche Aussage von mir benötigst, komme ich halt in den nächsten Tagen zu dir ins Büro.“
Deichler nickte. „Schlaf gut. Und tu mir einen Gefallen: Sieh zu, dass du auf dem Heimweg nicht über noch eine Leiche stolperst.“
Rottmann brummelte etwas Unverständliches in seinen Bart, dann winkte er knapp und marschierte in Richtung Grafeneckart davon. Öchsle folgte ihm auf dem Fuß.
Als die Sekretärin der BR Bürger- und Reibeisenbank Würzburg am nächsten Morgen voller Stolz ihr neues Arbeitsdomizil im Petrinihaus am Unteren Markt betreten wollte, fiel ihr fast die Tasche aus der Hand. Rings um das neue Gebäude hatte sich eine große Menschentraube versammelt. Die Leute kommentierten mit erheblicher Lautstärke das Transparent, das einen großen Teil der Vorderfront des Hauses bedeckte. Dazwischen flitzten einige Reporter herum und sogar der Bayerische Rundfunk, Abteilung Fernsehen, war schon mit einem Team vor Ort, machte Aufnahmen und interviewte die Menschen. Selbstverständlich war auch der Würzburger Starf eporter Christian Schöpf-Kelle dabei. Das würde in der morgigen Ausgabe der Main-Postille einen knalligen Artikel geben.
„Das ist ja der völlige Wahnsinn!“, stöhnte die Frau und riss sich aus ihrer Erstarrung. Sie musste sofort ihren Chef verständigen! Hastig drängte sie sich durch die Menge und verschwand im Haus.
Es dauerte nur zwanzig Minuten, dann erschien Direktor Hünnerklein im Büro.
„Wir hatten schon zehn Anrufe von der Presse und auch einige aus dem Rathaus. Die Anrufer wollten wissen, was es mit dem Transparent auf sich hat. Ich habe ihnen gesagt, dass Sie bald hier sein würden.“
Der Banker sah seine Mitarbeiterin mit gerunzelter Stirn an. „Wenn ich die Kerle erwische, die mir das angetan haben, dann …“ Den Rest ließ er offen.
Er stürmte in sein angrenzendes Büro und griff zum Telefonhörer. Zuerst einmal musste dieser Schandfleck vom Haus entfernt werden.
Der Parkplatz des Freibades war bis auf wenige freie Plätze belegt. Jetzt, am späten Nachmittag, war ein ständiges Kommen und Gehen. Familien mit Kindern machten sich auf den Heimweg und die Berufstätigen, die nach Feierabend noch ein paar Runden schwimmen wollten, kamen. Niemand schenkte daher den beiden Autos, die in kurzem Abstand eintrafen, Beachtung. Der Fahrer des einen Pkw stieg aus und schlenderte zu dem anderen Wagen. Nachdem er sich mit einem kurzen Blick davon überzeugt hatte, dass er nicht beobachtet wurde, öffnete er die Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz gleiten.
Der Mann hinter dem Steuer warf dem Neuankömmling einen zornigen Blick zu. Ohne ein Wort der Begrüßung kam er zur Sache. „Wer von euch Idioten hat uns denn diesen Mist eingehandelt? Hatten wir nicht ausgemacht, dass das alles diskret und ohne Aufsehen ablaufen sollte? Jetzt haben wir eine Leiche und damit die volle Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit.“ Seine Faust knallte wütend gegen das Lenkrad.
„Tut mir leid, Chef“, gab der Mann auf dem Beifahrersitz kleinlaut zurück, „es ging alles so schnell. Plötzlich stand der Typ vor uns und dann lag er auch schon da. Es war bestimmt keine Absicht …“
„Keine Absicht! Keine Absicht! Das nützt mir gar nichts! Habt ihr wenigstens gefunden, weswegen ich euch beauftragt habe?“
Der Mann wurde noch ein Stück kleiner in seinem Sitz, als er langsam den Kopf schüttelte. „Wir sind wie verabredet reingegangen. Das klappte auch wie geplant. Dann lief jedoch alles schief. Wir hatten erst ein paar Meter zurückgelegt, als die Holzstempel, die wir zur Abstützung eingesetzt hatten, zu knacken begannen. Ehe wir wussten, was los ist, gab plötzlich die Decke nach. Zuerst fielen nur einige Brocken herunter, dann stürzte das ganze Erdreich ein. Wir sind nur noch gelaufen. Es war wirklich verdammt knapp, das können Sie mir glauben. Hinter uns ist vermutlich der ganze Gang zusammengestürzt. Wir waren heilfroh, dass wir noch herausgekommen sind. Durch den Schrecken waren wir völlig panisch und konfus. Dann stand auf dem Platz plötzlich der Wachmann vor uns. Er hat gesehen, von wo wir kamen. Aber das war uns in diesem Augenblick ziemlich egal. Wir wollten nur noch weg! Dabei muss es dann passiert sein. Er verstellte uns den Weg und hat irgendetwas gerufen. Es bestand keine Möglichkeit auszuweichen. Wir haben ihn regelrecht über den Haufen gerannt. Ich konnte sehen, dass er fiel. Vielleicht hat er sich dabei den Kopf gestoßen. Aber wir haben ihn mit Sicherheit nicht absichtlich verletzt … und schon gar nicht umgebracht!“ „Ihr seid solche Vollidioten!“, fauchte der Mann hinter dem Lenkrad. „Ihr habt die ganze Geschichte gründlich vermasselt. Es ist euch ja wohl klar, dass ihr für solchen Mist keinen Cent seht!“ Seine Wangenmuskulatur trat hervor.
„Aber Chef, wir haben doch alles gemacht, was Sie von uns verlangt haben.“ Der Mann rutschte nervös auf dem Sitz herum. „Wie soll ich das denn meinen Kumpels erklären?“ „Das ist mir scheißegal“, fauchte der andere zurück. „Ich muss jetzt erst mal zusehen, was ich noch retten kann. Ihr haltet gefälligst die Klappe. Wenn die Bullen herausfinden, dass ihr am Tod des Wachmanns schuld seid, stecken sie euch in den Knast und werfen den Schlüssel weg.“ Er machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: „… und kommt nicht auf die Idee, mich da mit reinzuziehen. Ich habe für die Zeit ein hieb- und stichfestes Alibi.“ Er machte ein Zeichen in Richtung Tür. „Los, raus jetzt! Sollte ich noch einmal einen von euch Versagern benötigen, lass ich von mir hören.“
Der Mann auf dem Beifahrersitz öffnete wortlos die Autotür und stieg aus. Die Wagentür war kaum ins Schloss gefallen, als Stadtbaurat Buschwächter den Motor startete und das Fahrzeug aus der Parklücke lenkte. Der andere sah dem Pkw hinterher. Er kochte vor Wut.
Vladimir Müller, Bauhilfsarbeiter, Mitte