Название | Der Schoppenfetzer und die Weindorftoten |
---|---|
Автор произведения | Günter Huth |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429063986 |
„Is ja gut, mein Kleiner“, brummelte Rottmann, der durch das plötzlich ausgeschüttete Adrenalin eine gewisse Ernüchterung erfahren hatte. Sein Polizisteninstinkt sagte ihm, dass hier etwas vorging, was das Tageslicht scheute. Womöglich irgendwelche weinfestfeindlichen Vandalen, die hier ihr zerstörerisches Werk vollbringen wollten?
Rottmann eilte durch die Bankreihen der nächsten Weinhütte, um die andere Dorfstraße einsehen zu können. Dass er sich dabei an der Kante einer Bank das Knie anschlug, löste bei ihm zwar einen Fluch aus, brachte ihn aber nicht von seinem Vorhaben ab. Öchsle hielt sich dicht an seinen Menschen und war bereit, falls nötig, sofort helfend einzugreifen.
Wahrscheinlich wäre der Exkommissar in nüchternem Zustand erheblich schneller gewesen. So konnte er, nachdem er die andere Gasse erreicht hatte, nur noch drei oder vier Gestalten erkennen, die sehr eilig in Richtung Oberer Markt davonhasteten. Rottmann kniff die Augen zusammen. Es schien so, als würde eine der Personen eine weiße Kopfbedeckung tragen, die in der Nacht auffällig leuchtete.
„Verdammt!“, knurrte Rottmann und zog ärgerlich an seiner Pfeife. Diese hatte aber zwischenzeitlich ihre Glut eingestellt und Rottmann musste nachfeuern. „Nichts zu machen, Öchsle“, stellte er fest, nachdem er den Tabak nachgestopft hatte, „sehen wir zu, dass wir endlich heimkommen.“
Rottmann nahm seine ursprüngliche Route wieder auf und tappte in Richtung Langgasse weiter. Im Vorübergehen warf er dem dunklen Klotz des Petrinibaues einen verächtlichen Blick zu. Plötzlich blieb er mit einem Ruck stehen und legte den Kopf in den Nacken, um besser sehen zu können. „Da fress einer einen Besen!“, stieß er hervor.
An der Fassade des Gebäudes hing ein riesiges weißes Transparent, das fast ein Viertel der gesamten Fläche einnahm. Rottmann kniff die Augen zusammen und las den Text:
Bürger von Würzburg!
Schützt eure Stadt vor dem architektonischen Niedergang! Schluss mit dem baulichen Ausverkauf unserer geliebten Stadt!
Die Wilden Alten
Der Exkommissar stieß ein sattes Lachen aus. „Ein wahres Wort“, rief er und winkte grüßend zum Transparent empor. „Endschlich mal einer mit Mumm!“ Von diesen Wilden Alten hatte er einmal in der Main-Postille gelesen. Schöpf-Kelle, der rasende Reporter des örtlichen Blattes, hatte damals eine Gruppe älterer Stadträte, die während einer Stadtratssitzung gegen einen Beschluss massiv auf die Barrikaden gegangen waren, so bezeichnet. Damals hatte man am Stammtisch darüber herzhaft gelacht. Jetzt sah er die huschenden Gestalten von gerade eben in einem anderen Licht. Zufrieden vor sich hin nickend lief Erich Rottmann weiter. Da würden morgen früh wahrscheinlich einige Menschen in der Stadt schlagartig schlechte Laune bekommen. Bei dieser Vorstellung begann er wieder zu kichern.
Nur wenige Meter weiter, kurz vor der Ecke des Gebäudes, blieb Öchsle plötzlich so abrupt stehen, dass Erich Rottmann, dessen Reflexe aus nachvollziehbaren Gründen nicht ganz auf ihrem optimalen Level waren, fast über ihn gestolpert wäre.
„Was …?“ Er wollte schon lospoltern, als der Rüde erneut erregt zu knurren begann. Rottmann schüttelte den Kopf. Was war denn nur heute Nacht in dieser Stadt los?
Dann bemerkte er die dunkle Gestalt, die regungslos vor einer der letzten Weinlauben mitten auf der Dorfgasse zu Füßen des Petrinihauses lag. Langsam bewegte sich der pensionierte Polizist auf den verkrümmt daliegenden Menschen zu. Sein Instinkt sagte ihm, dass es sich nicht um eine übrig gebliebene „Weinleiche“ handelte, die hier lediglich ihren Rausch ausschlief. Erich Rottmann hatte in seinem Berufsleben viele Leichen gesehen und wusste, wann er es mit einem Toten zu tun hatte. Aus der Nähe konnte er erkennen, dass es sich um einen Mann handelte. Er trug die schwarze Uniform des Sicherheitsdienstes, der in der Nacht das Weindorf bewachte.
Öchsle blieb immer wieder stehen und prüfte die nächtliche Brise. Auch für seine empfindliche Nase war längst klar, dass mit der Gestalt am Boden etwas nicht stimmte.
Der Mann lag auf dem Bauch, das Gesicht zur Seite gedreht. Seine starr blickenden Augen waren auf die Blutlache gerichtet, die sich kreisförmig um sein Gesicht ausgebreitet hatte. Rottmann war zu sehr Profi, um die Lage des Mannes zu verändern. Er kniete jedoch nieder und legte vorsichtig Zeige- und Mittelfinger an die Halsschlagader des Liegenden. Rottmann wollte sichergehen. Wie erwartet, konnte er keinen Herzschlag feststellen. Die Haut des Mannes war noch warm, der Tod konnte also noch nicht lange eingetreten sein.
Schwerfällig erhob er sich und kramte in seinen Taschen nach dem Mobiltelefon. Dies war eindeutig ein Fall für die Mordkommission. Erich Rottmann wählte kurzerhand die Privattelefonnummer von Florian Deichler, seinem engsten Mitarbeiter, als Rottmann noch Chef des Morddezernats war.
Es dauerte einige Zeit, ehe abgehoben wurde.
„Jaaah…“, kam es verschlafen aus dem Hörer. Es war unschwer zu erkennen, dass Rottmann den Kriminalbeamten mitten aus dem tiefsten Schlaf gerissen hatte.
Rottmann zuckte mit den Schultern, das war nun mal Berufsrisiko, dann meldete er sich und berichtete Deichler knapp von dem Leichenfund.
Der Kriminalbeamte fasste sich schnell. „Mann, Erich, ständig stolperst du über irgendwelche Leichen“, brummelte er verschlafen, dann ergänzte er: „Fass am Tatort nichts an, ich trommle die Kollegen zusammen. Bleib dort, bis wir eintreffen. Ich benötige eine Aussage von dir.“
Rottmann wollte schon lospoltern, weil Deichler ihm als alten Profi derartige Belehrungen erteilte. Schließlich hatte der Bursche als beruflicher Grünschnabel alles von ihm gelernt. Aber er sagte nichts. Erstens konnte er die momentane Gemütslage Deichlers gut nachempfinden – oft genug hatte auch er sich in einer solchen Situation befunden, und zweitens war für derartige Diskussionen jetzt weder die passende Zeit noch der richtige Ort.
„Alles klar“, gab Rottmann kurz zurück, dann unterbrach er die Verbindung. Der Exkommissar suchte sich einen Sitzplatz vor einer der Weinlauben und brachte seine Pfeife wieder in Gang. Öchsle schnüffelte währenddessen interessiert vor dem Eingang der Weinhütte am Boden herum. Rottmann schenkte ihm aber keine Beachtung. Jetzt, wo die Anspannung nachließ, spürte er bleierne Müdigkeit. Es war ein anstrengender Tag gewesen, der, so wie es aussah, leider noch lange nicht zu Ende war. Sein Kopf wurde schwer und er bettete ihn auf seinen Unterarm, der auf dem Tisch ruhte. Wenn er überlegte, hatte Deichler schon Recht: Ständig pflasterten Leichen seinen Weg. Er konnte sich schon lebhaft die Schlagzeilen vorstellen, wenn morgen die Presse von dem Toten Kenntnis bekam. Das war wahrhaftig kein gutes Omen für ein Fest, das eigentlich den Gaumengenüssen und der Lebensfreude gewidmet war. Kurz darauf war Rottmann eingeschlafen.
„Das haben wir gerne!“, riss ihn die Stimme von Florian Deichler aus dem Schlaf. „Zuerst die ganze Mordkommission rebellisch machen und dann selbst einpennen!“
Rottmann riss erschrocken seinen Kopf in die Höhe und musterte orientierungslos seine Umgebung. Die Erinnerung kam schlagartig wieder. „Dass ihr auch schon da seid!“, knurrte er, dann erhob er sich mühsam. Sein Arm war eingeschlafen und erwachte nun mit heftigem Prickeln wieder zum Leben. Der üble Geschmack im Mund war unbeschreiblich. Rottmann verzog das Gesicht und krächzte: „Habt ihr den Toten schon gefunden?“
„War ja nicht zu übersehen“, gab Deichler zurück und wies mit der Hand hinüber zu den Männern der Spurensicherung, die sich bereits im Licht eines aufgestellten Scheinwerfers an die Arbeit gemacht hatten.
Rottmann erkannte den Rechtsmediziner, der gerade den Toten untersuchte. Öchsle stand wachsam neben seinem Herrchen und beobachtete die Aktivitäten auf dem Platz.
„Komm, setz dich noch einmal hin“, forderte Deichler seinen ehemaligen Chef