Название | Der Schoppenfetzer und der Henkerswein |
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Автор произведения | Günter Huth |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429064921 |
Als der Nachtwächter nichts Verdächtiges feststellen konnte, entspannte er sich wieder. »Greif, lass es gut sein, mein Alter«, brummte er, tätschelte dem Rüden den Kopf und marschierte weiter in Richtung Torwache.
Der Hund wollte sich keineswegs beruhigen. Seine feinen Instinkte, die trotz seines Alters immer noch erheblich besser ausgeprägt waren als die seines Herrn, ließen ihn wachsam bleiben. Jetzt lief er seinem Menschen voraus und gab durch sein Verhalten deutlich zu verstehen, dass er eine Gefahr witterte. Seine Aufmerksamkeit galt der Brücke.
Barthel beachtete ihn nicht weiter, er wollte vor allen Dingen ins Trockene. Bevor er die Wachstube betrat, klopfte er seine schlammigen Stiefel am Eckstein des steinernen Türrahmens gründlich ab. Dann nahm er den schwarzen Dreispitz vom Kopf und schüttelte das Wasser, das sich darin angesammelt hatte, herunter.
In diesem Augenblick machte Greif einen Satz nach vorn in Richtung Tor und begann laut und zornig zu bellen. Verärgert wollte Barthel ihn schon zur Ordnung rufen, da hörte auch er die Geräusche. Sie kamen von der Brücke jenseits des Tores. Der Nachtwächter vernahm ein unregelmäßiges Klopfen. Es klang, als wenn ein Hammer auf Stein trifft. Durch die Regenwand wurde das Hämmern zwar gedämpft, war aber trotzdem deutlich als solches zu erkennen.
Barthel wunderte sich. Wer in Gottes Namen war da bei diesem Wetter mitten in der Nacht am Werk? Gewiss, an der Brücke wurde immer irgendetwas gebaut. Außerdem bedurfte sie regelmäßig der Reparatur, vor allen Dingen, wenn sich im Winter das Eis des Mains gegen die Pfeiler stemmte und der Frost Risse ins Mauerwerk sprengte. Erst vor drei Tagen hatten Steinmetze am zweiten Pfeiler ein Gerüst errichtet, um einen größeren Schaden zu beheben – aber doch nicht in der Nacht und nicht bei diesem Regen!
Der Nachtwächter war für die Brücke eigentlich nicht zuständig. Sein Bezirk lag westlich des Doms und reichte bis hinunter ins Mainviertel. Jetzt aber war sein Misstrauen geweckt. Er ging durch das kleine Seitentor, das im geschlossenen Haupttor für die Nachtwachen offengehalten wurde. Der Waffenknecht, der hier hätte stehen sollen, war jedoch nicht zu sehen. Vielleicht hatte er sich vor den Wassermassen in die Wachstube geflüchtet.
Greif war noch immer aufgeregt. Im schwachen Kerzenlicht der Laterne waren seine steil aufgerichteten Nackenhaare zu erkennen. Barthel trat langsam an die Brüstung und starrte hinunter. Der flackernde Lichtschein von mehreren pechgetränkten Fackeln war nicht zu übersehen. Die Flammen hatten Mühe, gegen die Nässe zu bestehen. Das Licht kam eindeutig vom zweiten Pfeiler.
Barthelmes konnte schemenhaft einen Nachen erkennen, der dort festgemacht hatte. Auf dem Sockel des Pfeilers sah er eine Gruppe von Männern. Einige leuchteten mit den Fackeln, während andere auf dem Gerüst standen und sich am Pfeiler zu schaffen machten. Trotz der Windböen waren ihre rauhen Stimmen zu hören. Wortfetzen schallten zu ihm herüber, die er allerdings nicht verstehen konnte. Dazwischen immer wieder der helle Klang von Metall auf Stein.
Diese nächtliche Szene hatte etwas Bedrohliches. Unwillkürlich warf der Nachtwächter einen Blick hinauf zur Burg. Auch sie war nicht zu erkennen. Dennoch war sich Barthelmes ihrer Gegenwart bewusst. Denn der neue Fürstbischof auf dem Marienberg war für die Bürger als Herrscher noch schwer einzuschätzen.
Vom Fluss her hörte er plötzlich einen lauten Schrei, der kaum als menschlich bezeichnet werden konnte. Es klang eher wie das qualvolle Brüllen eines tödlich verletzten Tieres.
So unverhofft, wie der Schrei begonnen hatte, so abrupt brach er ab. Barthelmes lief es eiskalt über den Rücken. Derartige Schreie hatte er bisher nur in der Folterkammer gehört, wenn Angeklagte einem schmerzhaften Verhör unterzogen wurden. Bis vor einigen Jahren war er für den Rat der Stadt als Büttel tätig gewesen. In dieser Eigenschaft hatte er vielen solcher Verhöre beiwohnen müssen. Er kannte die Schreie der Verzweiflung, des Schmerzes und der Todesangst.
In diesem Augenblick wurde er von hinten angesprochen.
»Barthel, was machst Du hier? Los, komm sofort herein. Du hast auf der Brücke nichts zu suchen!«
Erschrocken drehte sich der Nachtwächter um. Es war Tobias Rotemund, einer der Torwächter, der sich dem Nachtwächter unbemerkt genähert hatte. Greif, der alle Männer der Brückenwache kannte, hatte seinen Herrn nicht gewarnt.
»Was ist denn da unten los?«, fragte Barthelmes und wies in Richtung des Lichtscheins.
»Stell’ keine Fragen, Barthel, das geht Dich nichts an!«, entgegnete der Wächter ungewöhnlich barsch. Sonst war er immer für ein Schwätzchen zu haben. Jetzt aber knurrte er nur grimmig: »Los, komm runter von der Brücke … oder ich muss Dich melden!«
Der Nachtwächter zuckte mit den Schultern. Er wollte keinen Ärger mit den Wachsoldaten. Eine Anzeige beim Rat der Stadt hätte ihn die Arbeit gekostet, auf deren kärglichen Lohn er wahrlich angewiesen war.
Barthel hatte im Grunde genommen Verständnis für die Stimmung des Wächters. Die Soldaten waren ebenso wie die Bürger verunsichert. Über Würzburg lag in diesen schlimmen Tagen ein unbestimmtes Gefühl der Bedrohung.
Der Nachtwächter winkte seinem Hund, dann ging er wortlos durch das Tor zurück. Als er die Wachstube betrat, saßen die beiden anderen Wachsoldaten an einem Tisch am Kamin und würfelten. Ihr Gruß fiel diesmal nicht so kumpelhaft aus wie sonst üblich. Es herrschte eine gedrückte Stimmung.
Barthelmes stellte Hellebarde und Laterne in die Ecke, hängte den nassen Mantel an einen Haken und ließ sich dann ebenfalls ächzend auf einem Hocker nieder.
Die Wachsoldaten boten ihm einen Becher heißen Wein an, der ihm schnell die feuchte Kälte aus den Knochen treiben würde.
Greif hatte es sich in der Zwischenzeit an der Feuerstelle bequem gemacht. Die Wärme tat seinen alten Knochen gut. Sein Fell trocknete dampfend durch die Hitze des Feuers. Die Wachstube roch streng nach Hund, Feuchtigkeit und dem Schweiß der Männer. Aber das störte hier niemanden.
Der Nachtwächter wischte sich über die Lippen. Schweigend schaute er den Männern beim Würfelspiel zu. Er hatte im Laufe seines Lebens gelernt, dass es manchmal besser war, bestimmte Dinge einfach zu ignorieren. Zu viel Neugierde konnte ungesund sein.
Wieder nahm er einen kräftigen Schluck aus dem Becher. Der Wein, der aus den Weinbergen des Maintals stammte, war einfach und sauer, aber es gab reichlich davon, und er war auch für das einfache Volk billig zu haben. Außerdem war er heiß. Das vertrieb die Kälte – und der Alkohol die düsteren Gedanken.
Barthel trank den Becher leer und schenkte sich noch einen zweiten ein. Die Nacht war noch lange nicht um.
WÜRZBURG IN HEUTIGER ZEIT
Der technische Oberamtsrat der Wasser- und Schiffahrtsdirektion, Erwin Braun, betrachtete den Riss im zweiten Pfeiler der Alten Mainbrücke mit gerunzelter Stirn, dann sagte er: »Wahrscheinlich ist er nur oberflächlich. Ich denke, dass das Hochwasser nach dem langen Winter und dem starken Schneefall in einen Haarriss eingedrungen ist. Dann hat es gefroren, und das Eis hat das Mauerwerk weiter aufgesprengt. Es dürfte aber kein Problem sein, den Spalt wieder zu verschließen.«
Der Mann neben ihm wiegte bedenklich den Kopf, zog einen Zollstock aus seiner Hosentasche und schob ihn wortlos in den Spalt hinein. Mit einem kratzenden Geräusch verschwand der Zollstock im Pfeiler, ohne dabei auf Widerstand zu stoßen.
»Das geht ziemlich tief hinein«, stellte Norbert Wegmann, Techniker derselben Behörde, fest. »Beinahe einen halben Meter. Es fühlt sich fast an, als wäre im Pfeiler ein Hohlraum.« Er zog den Zollstock wieder heraus.
Die beiden Männer waren über eine Metallklappe, die vor der Figur des heiligen Kilian im Boden der Alten Mainbrücke eingelassen war, in den zweiten Pfeiler eingestiegen. Dort befand sich ein Raum, der ehemals für technisches Gerät genutzt worden war. Über eine weitere Eisentür kam man von dort wieder ins Freie und konnte über eine Metalltreppe auf