Schwarzfahrt. Alexander Pelkim

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Название Schwarzfahrt
Автор произведения Alexander Pelkim
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783429064327



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sie nicht wusste, wovon Schössler und er sprachen. »Am besten ist es, ich gebe noch mal einen kurzen Überblick, damit wir alle auf dem gleichen Stand sind.« Er stellte sich an die Tafel und begann. »Am 19. Mai vor acht Jahren fand man auf der Würzburger Talavera die 23-jährige Studentin Monika Storke.« Mit einem ausziehbaren Zeigestab deutete er auf das Bild der Toten und die Fotos der Umgebung. »Sie lehnte an der Rückseite der dortigen Waldschenke Dornheim, mit einem Gürtel erdrosselt. Alle Ermittlungen liefen ins Leere. Ihr Mörder wurde bis heute nicht gefunden.« Habich deutete auf die Bilder rechts daneben. »Am 10. August vor drei Jahren dann die zweite Ermordete, Sylvia Harms, 24 Jahre alt, eine Verwaltungsangestellte aus dem Landkreis Kitzingen. Ihre Leiche wurde sitzend am Rande eines Gebüsches in der Nähe des Repperndorfer Sportplatzes gefunden. Sie hatte, so wie unser letztes Opfer, einen Seidenschal um den Hals, mit dem man sie laut Gerichtsmedizin erdrosselt hat.«

      Habichs Chef nickte heftig. »In beiden Fällen läuft der Mörder noch frei herum. Diese zwei Morde sind ein schwarzer Fleck auf unserer sonst makellos weißen Statistikweste hinsichtlich erfolgreicher Verbrechensaufklärung«, erinnerte Kriminaloberrat Schössler. »Und Sie glauben, die drei Taten hängen zusammen?«

      »Der Verdacht liegt nahe. Alle jungen Frauen wurden auf dieselbe Art und Weise umgebracht. Der Mord mit dem Gürtel war wahrscheinlich der Anfang, aber mit dem Seidentuch hat er jetzt sein Mordwerkzeug gefunden. Warum auch immer es so ein Schal sein muss.«

      »Ein Serienmörder also! Das wäre fatal. Glauben Sie, er macht weiter?«

      »Keine Ahnung! Dazu müssten wir wissen, was ihn antreibt.«

      »Aber wieso diese zeitlichen Abstände? Zuerst fünf Jahre, jetzt drei Jahre dazwischen.«

      »Vielleicht fehlten ihm die Gelegenheiten … Vielleicht war er im Ausland oder im Gefängnis … Vielleicht gibt es einen oder mehrere spezielle Auslöser für seine Taten.«

      Schössler überlegte kurz und fragte dann: »Verrennen wir uns da nicht in eine Vermutung?«

      »Nach den beiden ersten Morden wäre ich auch nicht auf diese Theorie gekommen, aber jetzt …«

      »Okay!« Kriminaloberrat Schössler erhob sich. »Ich möchte aber, dass Sie alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, also in sämtliche Richtungen ermitteln. Meinetwegen beziehen Sie die beiden alten Fälle in Ihre Ermittlungen mit ein.« Er hob mahnend den Finger. »Aber versteifen Sie sich nicht zu sehr nur auf die eine Theorie.« Mit diesen Worten verließ er den Raum.

      Einen Moment herrschte Schweigen im Büro. Jeder der drei hing seinen Gedanken nach und verarbeitete das Gehörte. Jasmin war die Erste, die ihre Sprache wiederfand. Sie wandt sich den beiden Kollegen zu.

      »Habt ihr damals … ?«

      »Nein! Nicht ihr, nur ich«, unterbrach sie Habich. »Ich kenne beide Fälle gut. Beim ersten Mord war mein Vorgänger, Hauptkommissar Pfaff, noch im Amt und leitete die Ermittlungen. Ich war auf Fortbildung und Chris war zu der Zeit noch nicht in unserer Abteilung. Als ich zurückkam, waren schon viereinhalb Monate vergangen. Trotzdem habe ich mich mit dem Fall vertraut gemacht. Leider gab es damals sehr wenig Hinweise und die brachten uns alle nicht weiter. Wenn die Spuren kalt werden und man keine Sonderkommission bildet, dann holt uns unser Alltagsgeschäft ein. Irgendwann haben aktuelle Dinge mehr Priorität und die Altfälle werden automatisch vernachlässigt. Vieles hängt dann von Kommissar Zufall ab.« Er zuckte mit den Schultern. »Es ist nun mal so. Deshalb müssen wir jetzt intensiv dranbleiben. Ähnlich war es vor drei Jahren. Die Spuren- und Hinweislage war genauso dürftig. Es soll keine Entschuldigung sein, aber dazu kam, dass ich damals etwas überfordert war, da ich in der Abteilung alleine Dienst schob. Der alte Hauptkommissar war gerade in Rente gegangen, mein langjähriger Kollege und Partner starb kurz zuvor durch einen Autounfall und unser Ersatz«, dabei deutete er auf Rautner, »Chris hier, war erst seit ein paar Tagen neu im Dienst. Also noch keine sooooo große Hilfe. Es war somit vielleicht auch etwas unserer Personalnot geschuldet. Obwohl wir uns intensiv in den Fall hineinknieten und uns die Nächte um die Ohren schlugen.« An Jasmin gerichtet meinte er: »Das ist auch der Grund, warum du da bist. Wir haben es unserem Kriminaloberrat zu verdanken, dass wir dich als dritte Kraft ins Team bekamen. Er hat sich für die Planstelle eingesetzt und sie durchgeboxt.«

      »Das bedeutet, wir werden zusammen mit dem neuen Fall die beiden anderen Fälle noch mal akribisch durchleuchten«, stellte Jasmin sachlich fest.

      Der Hauptkommissar nickte. »Ihr werdet beide nacheinander die alten Fallakten durchforsten, ob wir damals etwas übersehen haben. Sucht nach Übereinstimmungen, Querverbindungen oder sonstigen Ähnlichkeiten. Ich gewinne immer mehr die Überzeugung, dass wir es mit nur einem Täter zu tun haben. Alles junge Frauen …, die gleiche Mordmethode …, die öffentliche Präsentation der Leichen. Diese Gemeinsamkeiten sind schon auffällig.

      Habich wurde in seinen Anweisungen unterbrochen. Ein uniformierter Kollege kam herein und schwenkte eine dünne Akte. »Wir haben die Identität der Toten. Hier ist die Vermisstenakte dazu.« Er übergab die Unterlagen dem Hauptkommissar und verschwand wieder.

      »Die Ermordete heißt Tanja Böhmert, ist 25 Jahre alt und kommt aus Dettelbach. Sie wird seit über einer Woche vermisst«, las Habich laut vor. Er klappte den Aktendeckel zu und murmelte leicht frustriert: »Dann werde ich mich mal aufmachen, die schlimme Nachricht zu überbringen.«

      Dies war für ihn immer noch eine der schwersten Aufgaben. Die Reaktionen der Angehörigen gingen ihm jedes Mal nahe: Von tiefster Betroffenheit über Wein- und Schreikrämpfe bis hin zu Ohnmachtsanfällen hatte er alles schon mitgemacht. Dann war viel Taktgefühl gefragt, um bei diesen Menschen, die gerade die Hiobsbotschaft bekommen hatten, dass eine oder einer ihrer Liebsten gestorben war, über den Toten und dessen Umfeld Informationen zu erhalten.

      In Dettelbach traf Habich auf die verzweifelten Eltern, von denen die Vermisstenanzeige stammte. Der Vater wirkte geschockt, die Mutter war nach der schrecklichen Gewissheit, dass ihre Tochter tot war, in Tränen aufgelöst. Erst nach endlos dauernden Minuten konnte Habich ein Gespräch mit Tanjas Vater führen. Darin erfuhr der Hauptkommissar, dass die Eltern ihre Tochter am Samstag vor acht Tagen zum letzten Mal gesehen hatten. Sie sei auf die Arbeit gegangen, um ihren Nachmittagsdienst anzutreten.

      »Wo arbeitete Ihre Tochter?«

      »Sie kellnerte in einer hiesigen Gaststätte.« Vater Böhmert nannte Namen und Adresse des Lokales, in dem Tanja bedient hatte.

      »Hatte sie einen Freund?«

      »Seitdem sie wieder zu uns gezogen war, nicht mehr.«

      »Was ist vorgefallen?«

      »Tanja ist gelernte Grafikerin. Sie hatte eine Anstellung in Würzburg, wurde aber dort zum Ende des letzten Jahres gekündigt. Personaleinsparung oder so. Na ja, wie das halt so ist. Mit der Arbeitslosigkeit kommt Unzufriedenheit auf. Tanjas Stimmungen waren schwankend, mal zuversichtlich, mal depressiv. Sie schrieb Bewerbungen, erhielt Absagen, ging zu Vorstellungsgesprächen und bekam wieder Absagen. Hinzu kamen die finanziellen Einbußen durch den fehlenden Job. Ihr damaliger Freund war im Elektrohandwerk tätig. Die schöne Wohnung in Würzburg wurde zu teuer. Daraufhin schlug Tanja vor … Nein, eigentlich haben wir vorgeschlagen, sie sollten beide zu uns ziehen. Wir haben oben noch eine kleine Wohnung frei. Die hätte fürs Erste mal gereicht. Ihr Freund wollte nicht, Tanja schon und so kam es zum Bruch.«

      »Gab es seither Probleme mit dem Ex?«, erkundigte sich der Hauptkommissar. »Ich meine, ob er die Trennung anstandslos akzeptiert hat?«

      »So etwas ist nie angenehm, aber nicht dass ich wüsste.«

      »Wissen Sie denn jemand anderen, mit dem Ihre Tochter vielleicht Ärger hatte, von dem sie womöglich sogar bedroht wurde oder der ihr nachstellte?«

      Zuerst wirkte der Vater bei der Frage ratlos, dann meinte er zögernd: »Ja gut, da gab es hin und wieder ein bisschen Belästigung in ihrem Job, durch alkoholisierte Gäste. Ich habe es nicht gerne gesehen, dass sie als Bedienung arbeitete. Aber sie wollte niemandem auf der Tasche liegen und meinte, ihr fiele die Decke auf den Kopf, wenn sie nichts zu tun habe, nur herumsäße und auf bessere Zeiten warten