Buddha ohne Geheimnis. Ayya Khema

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Название Buddha ohne Geheimnis
Автор произведения Ayya Khema
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783931274528



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Gedanken und Gefühle ja jede Sekunde ändern, ist nicht die Zukunft in Betracht zu ziehen, sondern der Moment des Praktizierens. Und der ist jetzt.

      Liebende Güte wird auf zwei Wegen geübt: durch Meditation und durch unser Verhalten.

      Ich habe in Australien einmal mit einer Frau gesprochen, die Kurse in Kommunikation gibt. Ist es nicht absurd, dass wir erst lernen müssen zu kommunizieren? Sie sagte mir, dass Worte nur 7% der Kommunikation ausmachen. Die restlichen 93% liegen in Tonfall, Lautstärke, Mimik, Gestik, Körpersprache. Wer Liebe empfindet, braucht also keine Worte, um sie mitzuteilen. Er muss nicht die Runde machen und jedem versichern: »Ich liebe dich« – das wäre lächerlich und unglaubwürdig. Glaubwürdig ist allein das liebevolle Verhalten, und das überträgt sich von Herz zu Herz. Einsamkeit, die große Not unserer Zeit, ist Ausdruck mangelnder Liebe unter den Menschen. Wer keine Liebe empfinden kann, sollte sich immer wieder selber einen Ruck geben; wohin man die Gedanken richtet, dorthin kommt mit der Zeit auch das Gefühl. Der Verstand, das bewusste Drandenken kommt einem dabei zu Hilfe. Wir sollen ja den Verstand weder ablegen noch gering schätzen, er ist notwendig, und er kann uns auch auf die richtige Bahn lenken. Das ist der Grund, weshalb der Buddha Lehrrede um Lehrrede gehalten hat. Die Wahrheit, die hinter den Worten steht, lässt sich fühlen. Genauso ist es, wenn wir aus puren Vernunftgründen handeln: Im rechten Tun liegt Wahrheit, und die können wir fühlen. So bekommen wir mit der Zeit auch ein Gefühl für liebende Güte.

      Das Gleiche gilt für die Mettā-Meditation auf der Grundlage der Liebende-Güte-Betrachtungen:

      Möge ich frei sein von Feindseligkeit,

      möge ich keinem Wesen Leid zufügen,

      möge ich frei sein von Schmerzen in Geist und Körper,

      möge ich fähig sein, mein eigenes Glück zu behüten.

      Mögen alle Wesen frei sein von Feindseligkeit,

      mögen alle Wesen einander kein Leid zufügen,

      mögen alle Wesen frei sein von Schmerzen in Geist und Körper,

      mögen alle Wesen fähig sein, ihr eigenes Glück zu behüten.

      Manche sagen, ganz zu Recht, sie fühlten nichts: »Ich denke es nur«. Wenn man trotzdem weiterübt und immer wieder den Wahrheitsgehalt erkennt, kommt auch das Gefühl auf. Wenn man dagegen nur oberflächlich dahinplappert und gar nicht sieht, dass es wahr ist, wünschenswert und der Weg zum Glück, kommt es natürlich nicht.

      Wenn wir bedingungslos lieben, verkleinert sich unser Ich – und um nichts anderes dreht sich die Lehre des Buddha –, bis es eines Tages so klein geworden ist, dass wir es als Gespinst, als Illusion, als gar nicht existent erkennen. Und wenn das »Ich« etwas kleiner wird, verschiebt sich auch der Punkt, wo es steht: nicht mehr genau im Mittelpunkt; es rutscht ein bisschen zur Seite, und andere Menschen rücken ins Zentrum.

      Zur Zeit des Buddha gab es einen Mönch, der bei seiner täglichen Almosenrunde immer diese liebende Güte übte. Er stand ganz ruhig vor einem Haus, wie es üblich ist, ohne etwas zu sagen, schaute die Leute nicht einmal an, was gleichfalls der Tradition entspricht, und wartete, ob etwas in seine Almosenschale gegeben werde. Wenn das geschah, strahlte er von seinem Herzen Dankbarkeit und Liebe zu dem Geber aus, von dem er gar nicht wusste, wie er aussah, ob Mann oder Frau, jung oder alt; es ging nur um das Lebewesen, das etwas Gutes getan hatte. Auf diese Weise wurde er erleuchtet. Die Läuterung des Herzens ist der Weg zur Erleuchtung, ohne sie geht es nicht. Der Verstand ist zwar hilfreich und notwendig, aber das Herz fühlt. Und Erleuchtung, vor allem der Moment der Erleuchtung, wird erst gefühlt und dann verstanden. Es ist erkanntes Erleben.

      Der Buddha hat drei Arten zu lieben unterschieden. Der erste Schritt ist, für die Menschen um einen herum Wohlwollen und Freundschaft zu empfinden. Anders ist ein Miteinander gar nicht denkbar. Der zweite, ein Gefühl von Hilfsbereitschaft in sich aufkommen zu lassen und seine Mitmenschen als Teil seiner selbst zu betrachten. Die höchste Form aber ist, alle Menschen zu lieben, als wären sie die eigenen Kinder. Man weiß zwar, dass Menschen Dummheiten und Schlechtigkeiten begehen, aber keine Mutter, die den Namen verdient, hört auf, ihr Kind zu lieben, bloß weil es sich schlecht benimmt. Dann würde niemand mehr geliebt, denn jeder benimmt sich hier und da schlecht. Wir alle sind ja nichts anderes als ausgewachsene Kinder. Erwachsen werden heißt innerlich wachsen. Wir können unser Herz als Garten ansehen: Unkraut gedeiht allemal besser als Blumen. Wenn man im Herzensgarten nicht täglich jätet, überwuchert allmählich das Unkraut die Blumen und erstickt sie schließlich; allenfalls ihre Wurzeln und ein paar verstreute Samen bleiben übrig. Jeder muss sein eigener Gärtner sein. Es gibt nichts Besseres zu tun! Dazu braucht man weder Beruf noch Familie aufzugeben, im Gegenteil, jede Konfrontation mit anderen Menschen ist eine Chance. Am dankbarsten müssen wir demjenigen sein, der ganz besonders scheußlich zu uns ist: Er gibt uns nicht nur eine erstklassige Gelegenheit, uns in mettā zu üben, sondern lässt uns auch gewahr werden, wie weit wir noch vom Ideal, jedem als Mutter zu begegnen, entfernt sind. Am Ideal, an der Richtlinie, scheint es den meisten Menschen auf der Welt zu fehlen; sie wissen gar nicht genau, was das Gute ist. Unser Geist kann mit einem Zauberkünstler verglichen werden. Vermutlich haben Sie es in der Meditation schon selber gemerkt: Er kann hervorzaubern, was er will. Wir können Gut und Böse ununterbrochen durcheinander bringen, wie ein Zauberkünstler, der, statt sich den Hut auf den Kopf zu setzen, Kaninchen aus ihm hervorzieht. Daher sind die Richtlinien, die uns der Buddha gegeben hat, so wertvoll; sie zeigen uns, wohin wir zu gehen haben, und geben uns praktische Hilfsmittel an die Hand, dort auch hinzugelangen.

      Die Lehrrede von der liebenden Güte (Karanīya-Mettā-Sutta2)

      Die vermutlich bekannteste Lehrrede des Buddha ist das Satipatthāna-Sutta, die Lehrrede von den Grundlagen der Achtsamkeit. Beinahe genauso bekannt ist das Karanīya-Mettā-Sutta, die Lehrrede von der liebenden Güte. Sie hat eine ganz interessante Entstehungsgeschichte. Diese Lehrrede ist im Suttanipāta enthalten, der ältesten Überlieferung der Worte des Buddha. Die Lehrrede von der liebenden Güte kam so zustande: Eine Gruppe von Mönchen hatte den Buddha um Rat gefragt, wie sie mit ihrer Meditation vorwärts kommen könnten. Es war eine Gruppe, mit der der Buddha ganz und gar nicht zufrieden war: laut, übermütig, von schlechtem Benehmen. Er schickte sie in den Wald; dort sollten sie sich einen Platz zum Meditieren suchen und die ganze Regenzeit über (drei Monate) bleiben und sich danach wieder bei ihm melden. Die Mönche zogen los und fanden einen Platz, der ihnen zusagte, unter schönen großen Bäumen der Art, die in Asien häufig vorkommt: Ihre Wurzeln liegen über der Erde und sehen aus wie Wände, oft bilden sie auch einen Kreis. Wenn man sich in ihre Mitte setzt, hat man eine kleine »Hütte« mit einem Dach aus Blättern und Zweigen um sich. An einer solchen Stelle ließen sie sich nieder. Aber Tag und Nacht wurden sie gestört. Früchte und Zweige prasselten auf sie nieder, statt der erwarteten Waldesstille war ringsum Getöse, und ständig passierten kleine Missgeschicke, ging etwas verloren oder entzwei, sie konnten also nicht in Ruhe meditieren. Nach einer Woche machten sie kehrt und schilderten dem Buddha die merkwürdigen Vorkommnisse. Er erklärte sie ihnen: Sie hätten sich an einem Platz niedergelassen, wo viele Devas in den Bäumen leben, und diese mit ihrem Lärm und rücksichtslosen Betragen gestört, so dass die Devas sie verjagen wollten. Aber wenn sie jetzt bei ihm das Karanīya-Mettā-Sutta lernten und oft für die Devas rezitierten, würden die besänftigt sein und sie in Ruhe lassen. Aber sie dürften das Sutta nicht bloß auswendig lernen und runterbeten, sondern müssten es beherzigen. So taten sie es, die Devas beruhigten sich und ließen sie ungestört im Wald meditieren.

      Dieses Sutta hat in allen buddhistischen Ländern großen Anklang gefunden und wird in den meisten Tempeln und Klöstern mindestens einmal, sehr oft zweimal täglich rezitiert. In Sri Lanka zum Beispiel kann es wohl jeder Buddhist auswendig. Die Sutten sollen rezitiert werden, aber man soll sie auch Wort für Wort verstehen und in die Tat umzusetzen suchen. Leider begnügen sich viele damit, sie zu kennen, ohne sie zu praktizieren. Hierzulande haben wir dieses Problem nicht – wir kennen sie gar nicht erst. Dem möchte ich abhelfen.3

      Mettā-Sutta

      Wem klar geworden,

      dass