Die Kunst des Loslassens. Ayya Khema

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Название Die Kunst des Loslassens
Автор произведения Ayya Khema
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783931274504



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reizend anfühlt. In der zweiten meditativen Vertiefung gibt es auch noch eine andere Verbindung, nämlich ein Gefühl der weit ausgedehnten Liebe, die sich jedoch nicht auf eine Person bezieht. Genau das wird in der Liebenden-Güte-Meditation angesprochen. Es fühlt sich so an, als ob wir die Welt mit ihren Menschen und allen Wesen tatsächlich umarmen könnten. Wenn uns das in der Meditation durch starke Konzentration möglich ist, dann ist es natürlich ein ganz wichtiges Erleben.

      Um von der ersten meditativen Vertiefung in die zweite zu gelangen, müssen wir das entzückende Empfinden in den Hintergrund der Achtsamkeit ziehen lassen und die Glückseligkeit, die zu der Zeit spürbar ist, in den Vordergrund bringen. Manchmal erleben wir sie stärker, manchmal schwächer, was einzig und allein von unserer Konzentration abhängt. Das Gefühl der Liebe in der zweiten meditativen Vertiefung, das dabei entstehen kann aber nicht muss, kann sich auf verschiedene Weisen ausdrücken: Wir können dieses Gefühl als Süße spüren, als sprudelnde Freude, als sehr ruhige Freude, als ein inneres Sich-der-Freude-Hingeben oder auch als allumfassende Liebe.

      Bei dem allumfassenden Liebesgefühl ist die eindringliche Einsicht möglich, dass es uns tatsächlich gelingen kann, unpersönlich und bedingungslos zu lieben. Unpersönliche Liebe ist eine Herzensqualität, es muss nicht jemand vorhanden sein, der liebenswert ist. Das Ausdehnen des Liebesgefühls ist ein äußerst wichtiger Moment, denn dadurch erlernen wir, dass ein liebendes Herz unbegrenzt lieben kann. Diese Grenzenlosigkeit spricht natürlich unser Gemüt stark an. Diesen Eindruck verlieren wir auch nicht mehr.

      Selbstverständlich ist es ganz klar, dass diese Zustände in der Meditation, die ich zu beschreiben versuche, in einer gewissen Stärke vorhanden sind, aber sie müssen einen Niederschlag im täglichen Leben haben. Das geschieht bei der zweiten meditativen Vertiefung sogar automatisch. Daher wissen wir, dass diese Meditation uns und auch anderen zum Heil gereicht. Dieser Punkt wird häufig vergessen oder falsch verstanden. Entweder wird geglaubt, dass die eigene Methode besser sei als eine andere oder dass wir auf dem Kissen sitzen und vollkommen selbstsüchtig nur für uns meditieren. Äußerlich sitzt natürlich jeder auf seinem eigenen Kissen und meditiert für sich. Nur so können wir die Meditation auch erlernen, aber der Niederschlag, der daraus erwächst, ist weltbedeutend. Doch das wird immer wieder vergessen oder falsch verstanden. Ein Mensch, der in der zweiten meditativen Vertiefung eine allumfassende, unbegrenzte Liebe erlebt, wird das nicht vergessen können. Er wird sich bemühen, das auch immer wieder bei jeder Gelegenheit im täglichen Leben hochzubringen. Davon profitiert natürlich jeder, der mit diesem Menschen in Berührung kommt.

      Bei dem Erleben der meditativen Vertiefungen ist noch ein weiterer Punkt von großer Bedeutung, der das universelle Bewusstsein betrifft. Wenn wir zum Beispiel Ärger, Ablehnung, Zorn, Neid, Eifersucht, Furcht und so weiter in uns fühlen, so fließt und strahlt das sozusagen aus uns heraus in das universelle Bewusstsein. Wenn Liebe aus uns herausströmt, so wird das universelle Bewusstsein mit mehr Liebe gefüllt ist und die Menschen um uns herum spüren eine Wärme oder fühlen sich vielleicht etwas besser, nachdem sie mit uns zusammen waren. Das bedeutet, dass es unmöglich ist, nur für sich alleine zu meditieren, was trotzdem sehr oft erwähnt wird. Jeder, der schon die beiden ersten meditativen Vertiefungen erlebt hat, kann diesen Niederschlag auch selbst bestätigen.

      Auch die innere Freude der zweiten meditativen Vertiefung, die vielleicht nicht dieses Liebesgefühl in sich trägt, bleibt natürlich unvergesslich. Wer täglich meditiert, erlebt es ja jeden Tag wieder. Wenn ein Mensch die innere Glückseligkeit in der Meditation erlebt hat, dann wird er bestimmt nicht so sehr negativ wie Menschen, die das noch nicht erlebt haben. Wir könnten sogar annehmen, dass solch ein Mensch die Negativitäten in sich schon zu einem großen Teil vermindert hat, obwohl es dafür natürlich keinen genauen Maßstab gibt. Wenn wir uns jedoch jeden Tag frühmorgens vor den Alltagsaktivitäten in die Glückseligkeit der zweiten meditativen Vertiefung begeben, so wird der Tag damit durchdrungen, weil unser Bewusstsein damit angefüllt ist. Es fällt uns alles viel leichter, und die Umwelt profitiert davon.

      Auch das entzückende Empfinden aus der ersten meditativen Vertiefung ist bereits ein solches Erlebnis mit einem Niederschlag im täglichen Leben, weil es ja auch mit Glückseligkeit verbunden ist. Es betrifft nicht nur die körperliche Ebene, obwohl es das Körpergefühl vollkommen verändert, denn es schließt die Glückseligkeit mit ein. Das entzückende Empfinden erleichtert uns das tägliche Leben enorm, besonders die unangenehmen Konfrontationen, auf die wir dann weniger negativ reagieren. Wir fühlen uns nicht nur beschützt von der eigenen Fähigkeit der Konzentration, sondern wir wissen auch, dass wir zwar im Alltag Verantwortung tragen und Verpflichtungen haben, dass aber in uns noch etwas anderes existiert. Dieses Wissen darum lässt die Dinge des Alltags nicht mehr ganz so wichtig erscheinen, denn sie haben sich auf eine andere Ebene verlagert. Sie kommen zwar immer wieder vor, woran überhaupt nicht zu rütteln ist, auch müssen sie immer wieder bearbeitet werden, aber sie liegen auf einer anderen Ebene. Sie befinden sich nämlich auf der Ebene des Marktplatzes, an der wir uns nicht beteiligen müssen. Die Marktplatzebene bedeutet, dass wir nur das Angenehme haben und das Unangenehme so schnell wie möglich loswerden wollen. Auf dieser Ebene herrschen ewige Unruhe und die Angst, ob wir das Gewünschte auch bekommen und dann behalten können. Dort kann kein Glück entstehen, weil wir unterschwellig wissen, dass wir nichts behalten können.

      Der Durchbruch zur ersten meditativen Vertiefung bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten, weil der Geist noch nicht ganz genau weiß, wohin er soll. Wer jedoch die erste meditative Vertiefung erlebt hat, kann ohne Weiteres weitergehen zur zweiten und dritten, und kann mit der Einsicht am Ende, dass diese meditative Vertiefung flüchtig und vergänglich ist, die Bedeutungslosigkeit der Marktplatzebene durchschauen. Auch wenn wir gewinnen oder gelobt werden oder Ruhm erlangen, so fragen wir uns, wie lange das andauert und wie viel innere Sicherheit und inneren Frieden es uns bereitet. Es ist anzunehmen, dass wir unseren inneren Frieden verlieren, wenn wir berühmt werden. Wir kennen den weltlichen Weg ganz genau, denn wir haben ihn alle schon ausprobiert. Natürlich engagieren wir uns in unserem Alltag, denn sonst gibt es keine Achtsamkeit. Hier wird immer wieder derselbe Fehler gemacht, den ich schon öfter angesprochen habe. Wir meinen nämlich, dass, weil es in den meditativen Vertiefungen so schön ist, alles andere nichts mehr bedeutet, aber das ist Unsinn. Sobald wir denken, dass irgendetwas nichts wert sei, sind wir negativ.

      Es gibt verschiedene Ebenen des Lebens: Auf der weltlichen Ebene engagieren wir uns, und wir sollten dort genauso achtsam sein wie bei der Meditation. Wir sollten uns da genauso hingeben und genauso lieben wie in der Meditation. Auf der anderen Ebene verlagern wir unser Bewusstsein, sodass uns die erste Ebene nicht mehr ganz so wichtig erscheint und wir daher nicht mehr so negativ darauf reagieren, wenn etwas nicht so funktioniert, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir alle haben Vorstellungen und Ideen davon, wie die Dinge sein sollten, und diese sind interessanterweise höchst individuell. Es ist sehr schwer, jemanden zu finden, der genau dieselben Vorstellungen hat wie wir selbst. Wenn jemand ähnliche Vorstellungen hat wie wir selbst, dann ist dieser Mensch unser Freund. Hat er aber andere Vorstellungen, dann ist er vielleicht nicht unser Feind, aber jedenfalls uninteressant. Vielleicht betrachten wir diesen Menschen sogar als dumm, weil er andere Vorstellungen hat. Aber so zu denken, wäre dumm, nicht wahr? Wir alle haben individuelle Vorstellungen davon, wie die Dinge sein sollten. Das Interessante daran ist jedoch, dass es sich meistens anders verhält. Wir haben uns das alles selbst ausgedacht, und wir haben in Gedanken viele Bände eines Märchenbuches geschrieben, die nicht die Möglichkeit zur Verwirklichung haben. Je länger wir uns damit abgeben, desto mehr verlieren wir natürlich den Zugang zur Wirklichkeit.

      Durch das Verlagern der Bewusstseinsebene kennen wir also bis hierher zwei Ebenen: die Ebene des Alltags, der Welt und des Marktplatzes, die wir schon immer gekannt haben, aber nun sozusagen aus der Vogelperspektive kennen lernen. Ohne überheblich zu sein, können wir auf die Alltagsebene herunterschauen und sagen: „Ach ja, so läuft das ja immer ab“, und: „Ich will mein Bestes geben“, und: „Das ist nicht alles, was es gibt, sondern es gibt auch noch etwas anderes.“ Sehr häufig sagt der Geist dann auch noch: „Ich habe es ja immer geahnt, dass es noch etwas anderes gibt.“ Möglicherweise meint er sogar: „Ich habe es ja immer gewusst und nicht nur geahnt.“

      Auf jeden Fall sind die meditativen Vertiefungen unsere Fähigkeit und Möglichkeit, einmal zu erkennen, welch enormes Potenzial uns Menschen