Turrinis Herz. Franz F Altmann

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Название Turrinis Herz
Автор произведения Franz F Altmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783701178308



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die Hand wieder loszulassen.

      „Noch schöner als auf dem Foto!“, sagt der Sigi mit heiserer Stimme.

      Kennt sich die Gucki natürlich nicht aus. „Was?“ „Deine Rehaugen. Ein Bernsteinbraun wie das Wasser der Aist. Zum Versinken und Ertrinken!“

      Normalerweise ist die Gucki da recht mitleidlos, wenn Männer so dick auftragen. Weil sie Schmalz nur in Form von Schmalzbroten vertragt. Und tät normalerweise irgendwas Goschertes sagen wie – sagen wir einmal: „Tät ich mir halt Schwimmflügerl zulegen, wenn du nicht schwimmen kannst!“

      Jetzt aber nicht. Jetzt wird sie rot. Das ist ihr doch nimmer passiert, seit sie vierzehn war? Kommt sie leicht jetzt mit fünfunddreißig noch einmal in die Pubertät? Kruzisex noch einmal, was ist denn los mit ihr? So einen Notstand kann sie doch gar nicht haben, dass sie vergessen hat, warum sie überhaupt hergekommen ist! „Kommen wir zuerst einmal zum Geschäftlichen, mein lieber Sigi!“, bringt sie jetzt doch noch heraus. „Später können wir uns dann von mir aus über dein augenärztliches Fachinteresse unterhalten.“

      „Aber gern, mein schönes Kind! Gleich die entscheidende Frage: Kriegt dein Hund genug Taschengeld, dass er die Alimente zahlen kann, oder nimmst du die Hälfte von den kleinen Hunden? Mehr als acht werden es schon nicht werden!“

      Muss die Gucki schon wieder lachen. Und kann dem Sigi nicht bös sein. Obwohl er so ein goscherter Hund ist. Mein schönes Kind – so eine Frechheit! Sie ist doch keine Barbiepuppe, sie ist eine gestandene Frau! Blaue Augen hin, blaue Augen her, jetzt zeigt sie diesem Sigi, wie man mit der Geiß ackert: „Weißt du, mein schöner Prinz, die Leser der Mühlviertler Nachrichten möchten ganz einfach wissen, wie man Puffbesitzer wird. Zeichnet sich so eine Karriere schon in der Volksschule beim Doktorspielen ab, oder braucht man da eine spezielle Ausbildung – sagen wir einmal: 14 Semester Zuhälterei und einen Volkshochschulkurs Nuttenausbeutung für Anfänger?“

      Jetzt hat es ihm die Red verschlagen! Nein, er lacht? Aber nur, weil die Hunde jetzt doch irgendwie auseinandergekommen sind. Und der kleine Turrini von der riesigen Krimi von oben bis unten abgeschleckt wird. Wobei er am Rücken liegt und schon wieder – oder noch immer? – eine Erektion hat.

      „Die sind anscheinend auch schon per Du“, sagt jetzt der Sigi und schaut die Gucki so eigenartig an. Aber nicht schweinisch. Mehr so anzüglich. Wenn nicht sogar verführerisch.

      Wird die Gucki schon wieder rot. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Muss sie wenigstens was Boshaftes sagen: „Wie bist du denn auf Krimi gekommen? Liest du immer Krimis, wenn du nicht schlafen kannst, weil dich die Gewissensbisse wegen der Zuhälterei quälen?“

      „Nein“, lacht der Sigi, „Krimi kommt von Kriemhild. Weil mein lieber Papa ein alter Nazi war und seinen Söhnen germanische Namen verpasst hat: Hagen und Siegfried. Hab ich mir also gedacht, Kriemhild wird meinen Papa freuen. Und es hat ihn wirklich so gefreut, dass er mir und nicht meinem lieben Herrn Bruder das Haus vererbt hat. Und dein geiler kleiner Hund, wie heißt der?“

      „Turrini.“

      „Aha, nach dem Dramatiker. Ist der Hund auch so sentimental?“

      „Normal erklär ich den Leuten immer, der Hund ist nach der Freistädter Schlosserei Turrini benannt. Weil er das Haus besser beschützt als jedes Schloss.“

      „Da schau dich an! Hat die schöne Frau Magister leicht geglaubt, alle Puffbesitzer müssen ungebildet sein?“

      Kann die Gucki natürlich nicht gut Ja sagen. Sagt sie halt: „Gibt es noch einen Wein?“

      „Sicher. Und einen Kuss auch noch! Was zuerst?“

      „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“, meint die Gucki. Und schmeißt sich dem Sigi an den Hals. Dass der nicht mehr so frech sein kann, der freche Hund, der!

      Aber irgendwann kriegen sie dann doch einen Durst und sitzen ganz gemütlich in der Küche vom Sigi. Wobei Küche nicht das richtige Wort ist. Weil ja das ganze Gasthaus Mariabrunn eine einzige Baustelle ist. Und die Küche eigentlich nur aus einem Tisch mit ein paar Sesseln, einem Kühlschrank und einem alten Holzofen besteht. Der funktioniert aber tadellos, und in kürzester Zeit ist es wohlig warm. Und außerdem knistert und knackt das Holz extrem romantisch. Findet die Gucki. Sagt sie aber natürlich nicht. Sie ist ja schließlich nicht aus privaten Gründen da. Da kann der Blaufränker aus dem Burgenland noch so blaufränkisch-samtig den Gaumen streicheln, da kann der Sigi noch so blauäugig-spitzbübisch schauen, die Gucki ist zum Arbeiten da! Und knallt auch schon ihr kleines Tonbandgerät auf den Tisch. „Alles, was Sie ab jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden!“, erklärt sie dem Sigi.

      Der hat aber anscheinend nicht besonders viel Angst. Weil er schon wieder lacht. „Hast du das schon einmal gesehen?“, fragt er die Gucki. „So ein mittelalterliches Ehepaar, wo der Mann und die Frau vor dem Fernseher sitzen und den gleichen Jogginganzug anhaben? Wenn ich jetzt noch einen Fernseher hätt, wären wir zwei das Paradebeispiel für den Partnerlook!“

      Wirklich! Warum ist das der Gucki nicht aufgefallen? Hat sie denn wirklich nur dem Sigi seine blauen Augen im Schädel und sonst gar nichts? Er hat ja wirklich fast die gleiche Lederjacke an wie sie. Eine kurz geschnittene, schwarze Jacke mit einem weißen Pelzbesatz am Kragen. Nur: So eine Jacke, wie sie die Gucki hat, gibt es praktisch nur einmal. Weil sie von ihrem Opa ist. Seine Fliegerjacke. Aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber die Jacke vom Sigi schaut auch ziemlich alt aus. „Auch Deutsche Wehrmacht?“, fragt die Gucki.

      „Nein, Royal Air Force“, antwortet der Sigi. „Hab ich bei einer Wette mit einem alten englischen Jagdflieger gewonnen. Ein Langstreckenflug über 300 Meilen. Ich hab die Stiefel vom Papa gesetzt.“

      Und seine Stiefel sind jetzt wirklich genau die gleichen wie die von der Gucki. Nur größer halt. Weil ihr Opa kleine Füße gehabt hat. Weil aber der Sigi und die Gucki auch noch ein jeder eine schwarze Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover anhaben, kann man wirklich nur sagen: Partnerlook perfekt!

      Bei so viel modischer Harmonie ist es kein Wunder, dass sich die zwei auch sonst gut verstehen und in kürzester Zeit einen Haufen Gemeinsamkeiten entdecken. Beide lieben Whiskey und hassen Grießkoch, beide lesen profil und halten die Mühlviertler Nachrichten für die provinziellste Provinzzeitung der Welt, und beide finden ein Puff in St. Moritz – akkurat neben der Kapelle Mariabrunn und der Heilquelle Mariabrunn – extrem witzig.

      Dabei ist die Geschichte mit dem Sigi seinem Puff eigentlich genauso ein Zufall wie der Gucki ihre Karriere als Journalistin. Die Gucki ist ja nur bei den Mühlviertler Nachrichten gelandet, weil sie eine verkrachte Studentin war, und der Sigi ist als Geschäftsführer in einem Puff in Kitzbühel gelandet, weil er ebenfalls ein verkrachter Student war und außerdem nicht mehr länger den charmanten Schilehrer spielen hat wollen. In beiden Fällen also wirklich Pech oder Schicksal oder sonst was, auf keinen Fall aber das, was man heut so gern Lebensplanung nennt.

      „Warum aber ausgerechnet in St. Moritz, das Puff, mein ich?“, fragt jetzt die Gucki. Sozusagen aus professioneller Neugier. Und hat auch schon ihr Tonband eingeschaltet. Ohne dass sie es überhaupt merkt. Praktisch Gewohnheit. Oder – wenn man so will – Berufskrankheit. Aber der Sigi merkt es sowieso nicht. Weil er der Gucki schon die längste Zeit tief in die Augen schaut. Wie wenn er es mutwillig auf das Versinken und Ertrinken in diesen braunen Augen angelegt hätte. Dabei ist auch der Rest nicht ohne! Als Motorradfahrer kann er solche Kurven beim besten Willen nicht übersehen! Und dann noch die lustige Stoppelglatze und die lustigen Grübchen in den Wangen, wenn sie lacht. Und sie lacht oft! Aber jetzt schaut sie ernst. Was hat sie gesagt?

      „Warum musst du dein Puff unbedingt in St. Moritz aufmachen?“, hilft ihm die Gucki.

      „Zu Fleiß natürlich! Meinem lieben Papa – Gott hab ihn selig! – meinem lieben Bruder, dem Herrn Oberarzt, zu Fleiß und allen besseren Herrschaften von St. Moritz zu Fleiß!“, erklärt der Sigi und lacht. Trotzdem erzählt er dann eine ziemlich traurige Geschichte. Wie er als Doktorbub in St. Moritz aufgewachsen ist. Wie er immer braver und gescheiter und tüchtiger sein hat müssen als wie die anderen Kinder. Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde, hat sein Papa das genannt. Wie er sich