Название | Hightech-Kapitalismus in der großen Krise |
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Автор произведения | Wolfgang Fritz Haug |
Жанр | Зарубежная публицистика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная публицистика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867549301 |
7. Exkurs über den globalen Gesamtarbeiter und die Welt-Arbeiterklasse
8. Ist die geschichtliche Produktivität des Kapitalismus erschöpft?
Nachwort in Erwartung geschichtlicher Diskontinuität
Anhang
Weitere Schriften von W. F. Haug
Einleitung
Einleitung
1. Worum es geht
Nie zuvor in der neueren Geschichte fiel eine Rezession mit so immensen geopolitischen Veränderungen zusammen.
Javier Solana(2012)
Den transnationalen Hightech-Kapitalismus hat seine Große Krise1 im gleichen Alter ereilt wie achtzig Jahre zuvor den Fordismus die seine. Und wie damals dieser hat er seine Potenziale noch nicht ausgereizt. Eher als das von manchen vermutete Endspiel des Kapitalismus stehen die Weiterbildung seiner Ordnungsmuster im Weltmaßstab und seine innergesellschaftliche Einbettung an. Noch ist nicht gesagt, ob und wie diese krisengetriebene geschichtliche Agenda mit Erfolg abgearbeitet werden wird. In den Jahren nach 1929 gebar die Große Depression in Deutschland die Ungeheuer des Nazismus, der Judenverfolgung und des Zweiten Weltkriegs. In den USA verhinderte der New Deal »allenfalls politische und soziale Aufstände […]. Niemand bekam in den 1930er Jahren die Krise wirklich in den Griff.« (Hobsbawm 2009) Erst aus der mit Schulden finanzierten Kriegswirtschaft, dem Sieg der Alliierten sowie in den vom Krieg hinterlassenen Trümmern und in der antagonistischen Ordnung des Kalten Krieges konnten die knapp drei ›goldenen Jahrzehnte‹ des Fordismus mit seinem Sozialstaatskompromiss hervorgehen – parallel, bei allen Unterschieden, im Westen und Osten des geteilten Europa.
1 Unter »Großer« im Unterschied zu »konjunktureller Krise« verstehe ich mit Elmar Altvater eine »strukturelle« oder »Formkrise« (1983, 94), die als solche nie nur eine ökonomische, sondern immer auch eine gesellschaftliche Krise ist und die Formen stört, »in denen sich Hegemonie reproduziert« (97). Sie leitet einen umfassenden Restrukturierungsprozess ein, der »alle gesellschaftlichen Bereiche, das Insgesamt von Politik und Ökonomie und infolgedessen die Strukturen kapitalistischer Vergesellschaftung« betrifft (ebd.).
Wir können nicht wissen, was aus der neuen Großen Krise folgt. Aber wir können Triebkräfte, Strukturen, Bewegungsformen und Tendenzen der computerbasierten Produktionsweise und der von ihr in den Veränderungssog gezogenen Staatenwelt studieren.
Unsere Benennung dieser Produktionsweise als transnationaler Hightech-Kapitalismus zieht zwei Einwände auf sich. Der erste bezieht sich auf den Begriff des Transnationalen. Ist nicht der Nationalstaat nach wie vor ein durch nichts ersetzbarer Akteur? Und sind nicht die tonangebenden Konzerne, auch wenn transnational aktiv, nach wie vor primär national verankert, und haben sie nicht in ›ihrem‹ Staat – in Europa allenfalls der EU – die Instanz, die ihnen im Zweifelsfall national oder auch gegenüber anderen Staaten beispringt? Überdies scheint die Globalisierung ins Stocken gekommen und die Entwicklung auf Regionalisierung oder auch »Kontinentalisierung« (Zinn) in einer multizentrischen Welt zuzulaufen. Das hat alles seine Richtigkeit. Dennoch ist »ein kohärenter Zusammenhang von Produktion, Verteilung und Konsumtion auf nationaler Ebene weniger denn je gegeben«, und vieles deutet darauf hin, dass man »im Grunde […] von einem globalen Akkumulationsregime sprechen« muss (Sablowski 2009, 118). Freilich kann dieses an Dichte und Standardisierung dem noch nationalstaatlich geprägten Regime des Fordismus nicht gleichen. Unzweifelhaft aber ist die nationale Ebene für den Einsatz der Produktivkräfte und mehr noch für die epochal dominanten Kapitale zu eng, und die Weltmarktakteure zögern nicht, andere Standorte gegen ihren angestammten auszuspielen.2 Der Begriff des Transnationalen ist bescheidener als der des globalen Regimes. Er ist offen dafür, die globale Ordnung als unfertig und nur partiell umfassend und innerhalb ihrer die Verschachtelung relativ selbständiger, ja sogar in gewissen Grenzen rivalisierender Regime zu denken.
2 Die drei großen US-Hightech-Konzerne Apple, Google und Microsoft fakturieren ihre außerhalb der USA anfallenden Umsätze (mehr als zwei Drittel ihres Gesamtumsatzes) in Ländern wie Puerto Rico, Singapur und Irland, wodurch sie ihrem Stammland den Löwenanteil der dort fälligen Gewinnsteuer entziehen. Entsprechend Inditex, einer der wenigen der mitten in der Krise weltweit erfolgreichen Konzerne Spaniens, der in Irland fakturieren lässt. Es bedurfte eines nationalen Skandals, um Inditex dazu zu bringen, wenigstens die innerspanischen Umsätze im Inland zu fakturieren und damit auch zu versteuern. Auch den Regulierungen pflegen die Weltmarktakteure auszuweichen. So 2012 der BASF-Konzern, der auf das EU-Verbot von Freilandversuchen mit gen-veränderten Pflanzen kurzerhand mit der Verlagerung seines damit befassten Betriebsteils in die USA antwortete.
Ein zweiter Einwand hakt beim Begriff der Hochtechnologie ein mit dem bereits im ersten Buch (HTK I, 12f) erörterten Argument, die Höhe einer Technologie sei etwas Relatives. In der Tat mag einer künftigen Epoche das Niveau unseres technischen Arsenals und seiner Anwendungen einmal niedrig vorkommen. Auf medizinischem, generell biotechnischem Gebiet etwa hat die hochtechnologische Zukunft erst begonnen. So unbestreitbar das ist, muss es uns nicht daran hindern, die aus dem Sprachgebrauch der Gegenwart aufgegriffene Hightech- oder Hochtechnologie-Kategorie zum Begriff auszuarbeiten.3 Denn die Informationstechnologie hat einen qualitativen Niveausprung der Produktivkräfte ausgelöst, dessen Reichweite und verändernde Wirkung auf Basis, Überbau und Lebenswelt der Gesellschaften noch kaum absehbar sind. So wenig Marx sich den Computer vorzustellen vermochte, so wenig können wir Heutigen uns schon einen weiteren Produktivkraftsprung vorstellen, der die Entwicklung über das in der Breite und Vielfalt seiner künftigen Anwendungen und Umwälzungsfolgen noch unauslotbare Prinzip der mikroelektronisch gestützten und informationstechnisch erschlossenen Produktivkräfte hinausheben könnte.
3 Die im Vergleich zu Buch I veränderte Schreibung (statt ursprünglich »High-Tech« nun »Hightech«) trägt der zwischenzeitlichen Einbürgerung des Ausdrucks und seiner Schreibung in einem Wort Rechnung. So findet er sich nicht nur in Wikipedia, sondern auch auf der Internetseite des Bundesministeriums für Bildung und Fortschritt, wo die Bundesregierung erklärt, Ziel ihrer »Hightech-Strategie« sei es, »Deutschland zum Vorreiter bei der Lösung globaler Herausforderungen zu machen« <www.hightech-strategie.de/de/81.php>. »Vorreiter« steht für die Fähigkeit, die Konkurrenz der anderen Länder zu schlagen.
Wie in der Produktion die Arbeitsmittel in Wechselwirkung mit den Produktionsverhältnissen Epoche machen, so in der Geschichte der zwischennationalen politisch-ökonomischen Beziehungen die organisatorisch-kommunikativen Techniken und Apparate in Wechselwirkung mit den