Wir können machen, was wir wollen. Nina Pourlak

Читать онлайн.
Название Wir können machen, was wir wollen
Автор произведения Nina Pourlak
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783943172485



Скачать книгу

muss da auch mitmachen, wenn der Partner so etwas vorhat. Man darf den Plänen des anderen nicht im Weg stehen. Endlich mal raus aus dieser ganzen Enge, habe ich gesagt, dahin, wo wirklich was passiert. Obwohl mir eigentlich auch ganz schön mulmig war. Aber das hab ich mir natürlich nicht anmerken lassen!

      Weil ich weiß, dass Tobi nun mal ein Chaot ist und sich niemals rechtzeitig darum kümmern würde, habe ich auch gleich die Wohnung organisiert, über so eine Wohnungsbaugesellschaft, wo man als Student auch noch Rabatt bekommt, praktisch, oder? Und ich habe einen Plan aufgestellt, was wir alles brauchen und die ganzen Möbel aufgetrieben, von seinen und meinen Eltern und anderen Verwandten. Die haben schließlich das ganze Haus damit vollstehen. Da müssen wir nix kaufen und haben gleich jede Menge gespart.

      Unsere neue Wohnung in so einem Plattenbauhochhaus in Mitte steht jetzt voller Bauernmöbel von zu Hause. Eigentlich passt das nicht, aber grade das finde ich irgendwie auch wieder richtig schön. Dass wir so bleiben, wie wir sind, auch wenn drum herum alles ganz anders aussieht, mit einem Mal. Wir bleiben wir. Wir haben sogar eine Kuckucksuhr. Und ich habe lauter Tischdecken und Untersetzer und zueinander passende Handtücher und Bettwäsche von zu Hause mitgebracht, und einen Fußabtreter, auf dem eine Sonne drauf ist, die ist richtig schön, auch wenn ich mir irgendwie nicht die Füße an der dicken Sonne abwischen will. Denn sonst scheint die ja irgendwann nicht mehr, und deswegen benutze ich ihn gar nicht richtig …

      Dann habe ich mir noch einen Job gesucht, der zu mir passt. Ich wusste gleich, dass es das Richtige für mich ist, als ich die Stellenausschreibung gelesen habe. Ich wusste, das muss einfach klappen. Tobi nennt es Kummerkastentante. Oder Dr.-Sommer-Team. In Wirklichkeit arbeite ich ab Anfang nächsten Monats als Beraterin bei so einer Online-Dating-Seite: Wenn die Leute mit ihren Romanzen nicht weiterkommen, wenn sie einen guten Rat brauchen oder Liebeskummer haben, dann fragen sie mich. Ist das nicht toll? Früher im Ort haben mich ja auch immer alle gefragt. Sämtliche Freundinnen sind angekommen mit ihren kleinen Zettelchen und ihren SMSen und Schulhof-Geschichten und haben vorgelesen und erzählt und gehofft, dass ich ihnen irgendwie weiterhelfen kann. Weil ich die Einzige war, die immer einen Freund hatte, nämlich Tobi. Da dachten die natürlich, dass ich der Experte schlechthin bin. Ich hatte von Anfang an die längste Beziehung. Also ist das der ideale Job für mich. Und ich habe auch wirklich das Gefühl, dass ich etwas weitergeben kann. Schließlich hatte ich ja bis jetzt immer Glück in der Liebe. Und wer kann das schon von sich behaupten?

      Jetzt, wo alles eingerichtet und angemeldet und aufgehängt ist, bin ich auch wirklich überzeugt davon, dass es gut war, dass wir nach Berlin gegangen sind. Auch wenn meine Mutter daheim sich Sorgen macht, wo ich gelandet bin. Vielleicht ist sie einfach bloß ein bisschen neidisch, dass wir wirklich aufgebrochen sind, dass wir losgefahren sind und nicht darauf gewartet haben, dass irgendetwas von ganz alleine passiert. Mein Vater hat das nie gewollt. Er meinte, jeder Ort ist so gut wie der andere, wenn man selbst gut ist. Dieses ganze Reisen und das Erkunden anderer Länder seien irgendein moderner Quatsch, den sich die Rastlosen ausgedacht hätten und natürlich die Reiseveranstalter.

      Mama ist immer nur daheim gewesen, gerade deswegen. Die beiden waren nämlich noch nie getrennt. Nur einmal musste sie für länger ins Krankenhaus in „der Stadt“. Davon erzählt sie heute noch wie von einem Wellnessurlaub, dabei war es doch ein Krankenhaus. Sie merkt es gar nicht, aber sie kriegt dann immer richtig leuchtende Augen. Seltsam, oder?

      Georg, 39

      Nach einer Reihe von Reinfällen in Sachen Beziehung bin ich die Sache diesmal ganz strategisch angegangen: Ich bin ein Mann, einigermaßen attraktiv, würde ich sagen, und die meiste Zeit auch nicht arbeitslos. Ich suche eine Frau, eine, die so weit ist, eine Familie mit mir zu gründen, denn ich finde, es wird allmählich Zeit dafür. Und sie kann auch gerne schon ein Kind haben, von mir aus. Dann weiß sie wenigstens, was auf sie zukommt.

      Man könnte vermuten, das sei leicht, man könnte sogar meinen, das sei ein großartiger Ausgangspunkt, das wollen sie doch alle, das steht in den Frauenmagazinen und auf den Single-Wunschlisten, aber irgendwie sieht es nicht grade danach aus, als ob die Frauen bei mir Schlange stünden …

      Also habe ich mir überlegt, vielleicht findet sich so eine Frau auch mal ganz einfach nicht in meinen Lieblingsbars. Was soll sie da schließlich auch zwischen den ganzen Besuffskis und den verkrachten Existenzen. Und auch nicht am Theater, wo ich nämlich arbeite, weil, die wollen ja da alle Karriere machen und sind so wahnsinnig kreativ und eigensinnig und begabt. Sondern irgendwo, wo ich sonst nie hingehen würde: da, wo eben diese Art von Frauen unterwegs ist, die normalen Frauen, die mütterlichen Frauen, ich nenne sie insgeheim: die Brigitte-Frauen, zum Beispiel tagsüber in diesem Eiscafé, zwei Straßen weiter.

      Ich meine, dieses Eiscafé ist doch von oben bis unten hin voll mit offensichtlich gebärfreudigen, familienaffinen Frauen. Da muss man sich doch einfach nur dazwischensetzen und ganz tief durchatmen. Als Frau wird man dann wahrscheinlich schon von ganz alleine schwanger. Man muss das Feeling nur inhalieren wie beim Kiffen früher.

      Als Mann versprüht man einfach seine Aura. Und siebzehn Jahre später klingelt vermutlich ein siebzehnjähriger Teenie bei einem an der Tür und meint so: „Du warst doch mal vor siebzehn Jahren in diesem Eiscafé … “

      Das Problem ist – wie ich jetzt im Selbstversuch feststellen konnte – die sehen einen gar nicht. Die sind so sehr mit ihren Lätzchen und Fläschchen und dem ganzen Equipment beschäftigt, da bin ich für die völlig unsichtbar. Die kleiden sich auch gar nicht mehr wie richtige Frauen, mehr so wie Muttertiere in Funktionskleidung. Überall Täschchen, Lätzchen, Kapuzen, und alles ist abwischbar. Ein Tag, an dem sie nicht bekleckert wurden, ist ein verlorener Tag.

      Ich sitze jetzt hier schon zum vierten Mal. Ich habe schon fast jede Eissorte probiert, sogar die mit Joghurt. Und die einzige Person, die je mit mir gesprochen hat, wenn man das so bezeichnen kann, war diese militante Radfahrerin, die hier in einem Höllentempo entlanggefegt ist, den Tisch umgeworfen hat und sich dann noch nicht mal von mir hochhelfen lassen wollte. Stattdessen hat sie einer Horde Mega-Mütter all das an den Kopf geworfen, was ich insgeheim auch gedacht habe, und noch bevor ich ihr beipflichten konnte, hat sie mir auch noch einen dreisten Spruch gewidmet.

      Ehe sie mit Legoteilen gesteinigt werden konnte oder mir irgendeine vernünftige Antwort eingefallen wäre, ist sie schon mit ihrem roten Fahrrad auf und davon gebraust und hat mich dem Gezeter der Muttermeute überlassen.

      Wirklich: eine ganz reizende Person.

      Ich glaube allmählich, dass das hier nicht die richtige Adresse für mich ist. Die sind mir hier eine Spur zu radikal mütterlich. Ich muss irgendwo anders suchen. Ich muss meine Zukünftige eine Phase früher erwischen. Bevor sie anfängt, sich nur noch in Grün und Orange zu kleiden und eine Zipfelmütze zu tragen …

      Tobi

      Also: Wir sind dann hier angekommen und eingezogen. Minka würde sagen: „Alles läuft nach Plan.“ Ich – in eine Wohnung, die ich noch nie vorher gesehen habe und die ich höchstwahrscheinlich auch gar nicht ausgesucht hätte, das muss man sich mal vorstellen. Noch ehe wir überhaupt die Koffer abgestellt hatten, hat Minka schon die Gardinen angebracht. Sie war einfach nicht zu stoppen. Alles musste irgendwie perfekt sein. Und ich stand nur so in der Gegend rum und dachte: Alles klar, ähm, wo darf ich meine Sachen ablegen? Gibt es dafür vielleicht auch schon einen Plan?

      Ich hab mir dann die ganzen Unterlagen an der Uni abgeholt, mir meine neuen Kommilitonen angeguckt, die auch alle ziemlich ratlos und verpeilt aussahen und aus irgendwelchen Dörfern oder Kleinstädten vor ihren Verwandten und Bekannten in die große Stadt geflüchtet sind. Und ich dachte so: Das kann’s ja wohl nicht gewesen sein, mit meinem neuen Leben. Das ist noch lange nicht das, was ich unter Abenteuer und Veränderung verstehe.

      Ich bin mit Minka über den Mauerpark geschlendert, hab mir die Sonntags-Karaoke-Session reingezogen wie jeder anständige Zugereiste in meinem Alter. Wir haben uns diese Waffeln bei „Kauf Dich glücklich“ gegeben, wo auch nur Touris rumsitzen, und ich dachte schon wieder so: Nein, das kann es doch noch nicht gewesen sein. Wir sind ausgegangen, mit ein paar anderen, die wir von zu Hause