Название | Die Vier-in-einem-Perspektive |
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Автор произведения | Frigga Haug |
Жанр | Зарубежная публицистика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная публицистика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867548984 |
Lernen
Auch im Bereich des Lernens möchte ich nur einige Aspekte skizzieren. Sicher verändert sich durch die mikroelektronischen Arbeitsmittel das Verhältnis von Lernen und Arbeit, von Theorie und Erfahrung (der Praxisbezug ist selbst ein theoretischer). Zunächst gibt es eine Reihe von neuen Fragen:
Wie ist es möglich »auszulernen«, wenn Arbeit Weiterentwicklung einschließt? Welche »Ausbildung« wird überhaupt gebraucht, wenn Lernen Lebenstätigkeit ist? Kann Arbeit selbst so angeordnet werden, dass Lernen ein integraler Bestandteil wird, und was ist mit der gängigen Lernform des Learning by Doing?
Ich möchte thesenförmig zuspitzen, dass die Arbeit im mikroelektronischen Arbeitsprozess es zu einer Notwendigkeit macht, die Rahmenbedingungen des Arbeitens als entwickel- und veränderbar aufzufassen und sich selbst dafür zuständig und verantwortlich zu fühlen. Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisation und vor allem die Produktionsverhältnisse blockieren den angemessenen Umgang mit den neuen Produktionsmitteln. Schließlich stehen mit dem Verhältnis zur Arbeit selbst auch Fragen der Arbeitskultur und der Arbeitsidentität zur Disposition.
Krise der Arbeitssubjekte
Wesentlicher Gegenstand von Arbeitspsychologie werden die Erfahrungen der Arbeitssubjekte mit den neuen Bedingungen und ihre Verarbeitung im alltäglichen Handeln. Schließlich bargen die alten Strukturen, Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisationen, Ausbildungen, Trennungen und Lernarrangements sowohl Handlungsfähigkeiten und deren Stützen als auch Hindernisse und Fesseln (Letzteres insbesondere für die nicht-männlichen Nicht-Facharbeiter).
Beim Einbezug der Arbeitenden als Subjekte unserer empirischen Forschung lernten wir: Sie erfahren die neuen Bedingungen weitgehend als eine Art faszinierender Katastrophe (vgl. PAQ 1987, Kap. 11). Einerseits sind die Arbeiten verlockend wie ein Hobby, andererseits bedrohlich wie eine Beraubung. Im Großen und Ganzen kann man sagen: Computerarbeit ist mit der herrschenden Arbeitskultur unverträglich. Ich möchte diese Behauptung mit einigen Thesen verdeutlichen:
1. Arbeit wird als Nichtarbeit wahrgenommen – wie früher die Arbeit der Intellektuellen vonseiten der Arbeiter. Die Arbeit verändert ihren Charakter so, dass unklar wird, was eigentlich Arbeit ist. Die gewohnten Maße für die geübte Disziplin passen nicht mehr. Sind Lernzeiten Arbeitszeiten? Ist das Suchen nach Lösungen, das Herumprobieren Arbeit oder die Verhinderung derselben? Wie steht es mit den Passivzeiten? Ist Fehlersuche Arbeit?
2. Wenn körperliche Arbeit Kopfarbeit wird, wird die Haltung der praktischen Arbeiter zu den Intellektuellen problematisch.
3. Wenn nicht klar ist, was Männerarbeit, was Frauenarbeit ist, gerät die stark an die Arbeitstätigkeit gebundene Identität in Krise.
4. Kulturelle Gewohnheiten in und um Arbeit werden zerstört: das betrifft z. B. Alkoholgenuss bei der Arbeit, Spaß, Kraftgefühl, welches »Männlichkeit« absicherte und auf körperlicher Arbeit beruhte.
5. Die Art der Zusammenarbeit, das Verhältnis der Geschlechter, das Zueinander von Familie und Freizeit werden verändert. Die Bedrohungen, die mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit erahnbar werden – die Reduktion von Freundschaften auf zufällige Gleichzeitigkeit von Arbeits- und Freizeit und die Reduktion des Sozialen auf die innere Organisation der Familienzeiten sind hier erst ein Anfang.
Subjektive Verarbeitungsweisen objektiver Umbrüche
Bei einer empirischen Untersuchung an 240 Büroarbeitsplätzen in der Dateneingabe, der Dialogbearbeitung und der Systemanalyse zerlegten wir das Verhältnis der Einzelnen zum Arbeitsprozess analytisch in einzelne Aspekte und versuchten so, spezifische Erfahrungen der Arbeitenden mit den neuen Produktionsmitteln ausfindig zu machen. Das ist sehr viel leichter gesagt als getan. Wir fragten nach der Qualifikation, der Vielfältigkeit der Arbeit, der Arbeitsteilung und Hierarchie, den Formen der Zusammenarbeit und der Solidarität unter den Arbeitenden und schließlich nach Lern- und Weiterbildungsstrukturen. – Wir stießen sogleich auf zwei Merkwürdigkeiten:
Zunächst auf eine relativ große Sicherheit der Betroffenen, dass die Computer weitgehend schlechte Folgen hätten, dass sie hauptsächlich monotone Arbeit hervorbrächten, die Arbeitsteilung sich eher verstärkt habe, Isolation die Folge sei und Lernen eigentlich nicht vorkäme. Allerdings träfe dies auf die anderen zu, die darum auch solidarisch untereinander seien, weil sie nichts zu verlieren hätten.
Und zweitens gab es eine fast ebenso große Sicherheit, dass der Einsatz der Computer in der eigenen Arbeit zu höherer Qualifikation, größerer Vielfalt in der Arbeit, integrierten Arbeitsaufgaben, verdichteter Kooperation und schließlich auch zu verbesserten Lernmöglichkeiten geführt habe. Die Sicherheit des Andersseins war begleitet vom Gefühl des selbstbewussten Alleinseins.
Dieser Befund verweist uns als ein erstes Ergebnis auf ein Problem, aus dem methodische Konsequenzen zu ziehen sind. Bei der Einschätzung der negativen Folgen der Computerisierung hatten die Befragten ganz offensichtlich von ihrer eigenen Erfahrung abstrahiert, sich selbst als Ausnahme begriffen. Die herrschende Auffassung setzt sich als Meinung gegen die eigene praktische Arbeitserfahrung durch. Ihre Nichtübereinstimmung mit eigener Praxis wird verarbeitet als Trennung des Ich von den Anderen. Nicht die herrschende Auffassung wird kritisiert, sondern die eigene Praxis wird selbstbewusst isoliert. Eine solche Verarbeitungsweise durch die betroffenen Subjekte lässt empirische Methoden, die sich mit der einfachen Antwort begnügen und die Ergebnisse als widerspruchsfreie Tatsachensammlung behaupten, sehr fragwürdig werden.
Immer wieder trafen wir auf Vereinzelungsstrategien und -phänomene. Die neuen Bedingungen werden als Bedrohung der Privatperson, der Privatsphäre, des Privaten schlechthin wahrgenommen. Wir können sicher davon ausgehen, dass in diesem Rückzug auch das gesellschaftliche Projekt, soweit es sich ankündigt, zusammen mit den Übergriffen der Unternehmer und den entfremdeten Arbeitsverhältnissen abgewehrt wird. Der Widerstand geht in die Befestigung der privaten Fluchtburg.
Auch solche Umbrüche, die schon heute objektiv als eine Bereicherung wahrgenommen und ergriffen werden könnten, werden unter dem Blickwinkel der alten Verhältnisse und der »alten Menschen« strukturiert und erfahren. Z. B. wird die autonomere Zeitverfügung von einer Gruppe von Programmierern als Entleerung und als Strukturmangel wahrgenommen und setzt ein Verlangen nach der alten Ordnung frei. Die Inkompetenz der Vorgesetzten wird zwar mit einem gewissen Stolz verkündet, jedoch die soziale Anerkennung, die mit diesem Kompetenzverlust von oben einhergeht, als fehlend eingeklagt. Ebendieser Mangel führte selbst bei arbeitsmäßig und politisch engagierten Programmierern zur »Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes« in die Familie, um dort »soziale Anerkennung« an die Kinder zu vergeben, damit sie zu Menschen