Dantes Inferno III. Akron Frey

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Название Dantes Inferno III
Автор произведения Akron Frey
Жанр Личностный рост
Серия
Издательство Личностный рост
Год выпуска 0
isbn 9783905372410



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wir uns auf einer Art Plateau wieder, von dem aus man einen guten Rundblick auf ein weites Tal besaß. Unwillkürlich blieb mein Blick an einem riesigen Turm hängen, der in einiger Entfernung wie ein gewaltiger Fingerzeig Gottes zum Himmel aufragte. Ich blickte meinen Führer in fragendem Staunen an, der mir jedoch nur schweigend andeutete, sich an den Abstieg zu machen. Während wir einen steilen Bergpfad ins Tal hinabkletterten, verspürte ich eine schwere, unangenehme innere Vorahnung. Dieses Empfinden war mir neu. Normalerweise hatten sich meine Depressionen und Ängste stets auf mentaler Ebene entwickelt durch äußere, bedrohliche oder unerfreuliche Situationen, in die ich durch eigenes oder fremdes Verschulden hineingeraten war, aber diesmal ging das dumpfe Gefühl von etwas Unbekanntem aus und berührte mich in einer mir verschlossenen Kammer meiner Seele. Während ich mir noch den Kopf zermarterte, was das wohl sein könnte, was mich so schwächte, fiel mir plötzlich der Schleier von den Augen: Es war diese starre, unbewegliche und festgesessene Energie, die irgendwie von diesem riesigen Turm ausging. Nachdem mir das klar geworden war, bereitete mir auch das Gehen weit weniger Mühe. Mein Atem ging wieder ruhiger und ich fand den Mut, ihn zu fragen, ob es sich bei diesem monumentalen Bauwerk im Tal möglicherweise um den sagenhaften Turmbau zu Babel handelt, der einst als Sinnbild menschlicher Anmaßung in die Chroniken der Erde eingegangen war.

      Akron drehte den Kopf und grinste: „Warum nicht? Ich hätte eine opalisierende Pyramide oder einen durchsichtigen Riesenwürfel vorgezogen, aber die Betreiber dieser Hölle lieben es traditionell. Entweder sind sie ziemlich konservativ oder sie kennen die Bedürfnisse ihrer Gäste.“

      Ich winkte ab. Von Pyramiden hatte ich die Nase voll; zu unangenehm waren die Schrecken der Schütze-Hölle, die mich am Ende beinahe um den Verstand brachten. Der gemeinsame Abstieg ins Tal zog sich dahin, doch je weiter wir kamen, desto ersichtlicher wurde das Ausmaß dieser beeindruckenden Konstruktion. Der in seiner Grundform rundlich angelegte Turm war in mehreren sich nach oben verjüngenden Etagen erbaut, an deren Außenseiten sich ein verhältnismäßig schmaler Pfad spiralförmig nach oben wand. Ich konnte gerade mal sechs Stockwerke ausmachen, bevor der oberste Teil sich irgendwo zwischen den dunklen Wolken verlor. Allein das erste Stockwerk besaß die Grundfläche einer Fußballarena und ich fragte mich, welch unglaubliches Gewicht dieses Bauwerk wohl besitzen mochte. Das gesamte Gelände glich einer riesigen Baustelle und erinnerte an einen überdimensionalen Termitenhügel, an dessen Wänden unzählige Gerüste, Leitern und Bauaufzüge klebten, auf denen etliche herumwuselnde Arbeiter damit beschäftigt waren das Bauwerk zu verputzen, zu verstärken oder sonst wie auszubessern. Ich pfiff anerkennend durch die Zähne: „Die müssen hier gute Architekten haben.“

      „Die Besten“, bestätigte mich Akron und zeigte auf eine Gruppe von Männern, die mit einer Reihe von Zeichnungen und Plänen unweit auf einer Anhöhe standen und sich heftig gestikulierend unterhielten. „Hier findest du all die großen Dombaumeister und Architekten der vergangenen Jahrhunderte versammelt, die die Fertigstellung ihrer Schöpfungen nicht mehr miterleben durften. Oder Freimaurer und andere im Mittelalter Verfolgter, die die neuen Türme nach der Erfahrung des Scheiterns und ihres Falles von innen her errichteten, aus der Mitte der inneren Kraft, nicht mehr von außen und auch nicht wie ein von oben auf die Welt einwirkender Schöpfergott. Als solche sind sie hier nun damit beschäftigt, ein Bauwerk zu errichten, welches ihnen nicht nur ein Gefühl nützlicher Selbstbestätigung vermittelt, sondern von dessen riesigen Ausmaßen sich gleichzeitig auch die schöpferischen Möglichkeiten des Menschen ablesen lassen.“

      Ich schaute mich um. Das Ganze glich einem unpersönlichen Ameisenhaufen, in dem jegliches individuelle Aufglimmen einem gemeinsamen, aber unerreichbaren Ziel geopfert wurde. Akron bemerkte meinen Blick und fügte an: „In mühevoller Selbstzucht tragen sie ihre Last ähnlich dem Skarabäus, der eine Kugel aus Mist und Kot als Symbol seiner sich ständig verändernden Vervollkommnung vor sich herschiebt – einer Kugel, aus dem gleichen Baustoff gedreht, aus dem sie einst selbst geformt wurden.“

      Mit wachsendem Unbehagen und skeptischem Blick deutete ich auf einen der unzähligen Arbeiter, die sich mit einem schweren Korb voller Steine auf dem Buckel den Weg hinaufschleppten. „Mich erinnert das Spektakel eher an den armen Sisyphos, der seine Busse im Hades abzutragen hat, indem er tagtäglich einen Stein auf den Gipfel eines Berges rollen muss, der ihm aber kurz vor dem Ziel wieder entgleitet.“

      „Das mag schon sein“, lächelte Akron, „aber du vergisst die Schwere seines Vergehens. Sisyphos hielt sich für schlau genug, den Tod überlisten zu können, mit dem Ziel, dass fortan niemand mehr zu sterben bräuchte. Jedoch vergessen jene im Glanze ihres eigenen Schöpfertums stehenden Sonnenhelden nur allzu schnell, dass ihr eigenes Dasein ebenfalls auf den Gesetzmäßigkeiten Saturns fußt. So wurde Sisyphos lediglich der Umstand zuteil, erkennen zu dürfen, was es heißt, sein von ihm angestrebtes Ziel nun für alle Ewigkeit am eigenen Leib erfahren zu dürfen. Allerdings etwas anders, als er sich das in seiner Verblendung erträumt hatte.“

      „Aber wenn hier Leid und Elend am größten sind“, zog ich den Schluss, „ist dann dieser Ort, von dem du sagst, dass er mehr Fegefeuer als eigentliche Hölle darstellt, nicht ein viel größeres Inferno als alle davor liegenden Höllen?“

      „Nein!“ kam Akrons Antwort sehr bestimmt: „Das ist die Finsternis vor der Morgendämmerung. Hier schneiden die Bande der Materie den Sündern ein letztes Mal ins Fleisch, bevor sie bereit sind, jegliches Blendwerk abzustreifen und das ewig währende Schauspiel von Lust und Tod hinter sich zu lassen.“ Er lief ein paar Schritte vor, bückte sich und hob einen alten abgetragenen Korb in die Höhe. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln hielt er ihn mir entgegen: „Lass dich von den dir selbst auferlegten Martern nicht abschrecken, einen Platz unter den Büßenden einzunehmen. Blut, Schweiß und das Salz ihrer Tränen sind der angerührte Mörtel, die diesem Turmbau Sinn und Festigkeit verleihen.“

      „Aber wozu all diese Schinderei?“ begehrte ich hartnäckig zu wissen, da mir die Aussicht, einen mit Steinen angefüllten Korb bis in die Wolken hinaufzuschleppen, wenig behagte. „Mich dünkt eher, dass die Büßer ihre eigene Lebensenergie in diese Konstruktion einmauern, anstatt damit tatsächlich ans Ziel ihrer Bestimmung zu gelangen.“

      Akron nickte: „Da hast du recht. Der Turm ist ein sichtbarer Ausdruck der subjektiven Überzeugungen des ungeläuterten Steinbocks, dessen Wahrnehmungen noch nicht gänzlich in die Tiefe seiner Wesensnatur vordringen können, da dies die Erkenntnis voraussetzen würde, den eigenen ungeliebten Teil seines Wesens als notwendigen Bestandteil der Schöpfung anzunehmen. Das aber gerade ist ihm unmöglich und so erkennt er aus der Schwermut seines Geistes heraus immer nur die Destruktivität seines eigenen Unerkannten, das zu Kontrollieren er mit immer dickeren Mauern zu umpanzern bereit ist, was wiederum seinem Mechanismus der ewigen Schinderei und Selbstquälerei entspricht.“

      Ohne zu Murren nahm ich den mir hingehaltenen Korb entgegen und prüfte ihn auf seine Belastbarkeit: „Wie viele Steine muss ich hineinlegen?“

      Er richtete seinen Blick nach oben und besah sich die Höhe des Bauwerkes: „Einer wird wohl genügen“. Dann lachte er hell auf, als er meinen dümmlichen Gesichtsausdruck bemerkte: „Nicht jeder Stein ist das, was die christliche Mystik als den heiligen Gral umschreibt“, und machte mit der Hand eine ausladende Drehung, „das meiste ist unscheinbarer Schotter, der hier zu unseren Füßen liegt.“ Er hob einen kleinen Stein vom Boden auf und hielt ihn mir vors Gesicht: „Trotzdem hat jeder sein eigenes Geheimnis. Versuch mal sein Inneres zu ergründen – dann wirst du in ihm den Geist eines eingesperrten Sünders finden.“

      Da geschah etwas Merkwürdiges. Der Stein gab mir auf eine mysteriöse Weise die Worte zu verstehen, die er mir sagen wollte, denn ich nahm auf einmal seine Gedanken in mir wahr: „Die ihre Freiheit und Leichtigkeit verdrängenden Seelen, die die materiellen Werte nicht loslassen können, sind hier eingeschlossen“, fühlte ich die Botschaft in mir aufsteigen, „träumende Steine statt leuchtende Sonnen, weil sie sich von der Freude abgespalten haben und lieber ihren starren Gedanken nachhängen.“

      Akron bückte sich erneut und hob einen kinderkopfgroßen Brocken auf und reichte ihn mir: „Und doch kann ein jeder Stein hier zum Wächter der Göttin werden, oder zum Stein der Weisen, dem lapis exilis, wie ihn die Alchemisten zu nennen pflegen. Sieh hin – es ist das Gold der Seele!“