Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte. Michael Borgolte

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Название Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte
Автор произведения Michael Borgolte
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534743469



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und das Volk die Wohlfahrt; und dass ich ehrerbietig [meinen Thron einnehme], ohne [weltliche] Affären zu haben. In dieser Zeit gelobte ich zusammen mit den Verwaltern meiner ‚Drei Ministerien‘, dass wir in unseren nächsten Leben Daoisten sein würden. Ich würde ein Einsiedler sein. Shi Daowei und Zhu Falan gelobten, [buddhistische] Mönche zu werden. Zheng Siyuan und Zhang Tai gelobten, daoistische Meister zu werden. Wir alle sehnten uns danach, in die Transzendenz aufzusteigen und über die Generationen hinauszugehen, und deshalb gaben wir es auf, das Geschäft der königlichen Regierung zu führen. Beim Tod stiegen wir sofort in den Himmel auf, wo wir in der himmlischen Rüstkammer eingekleidet und mit Nahrung versehen wurden. In meinem nächsten Leben war ich ein Einsiedler. Zhu Falan und Shi Daowei waren Mönche, Zheng und Zhang waren Daoisten. Wir alle begaben uns in die Berge, um das Dao zu studieren und die Transzendenz zu suchen. Später wurde ich der Meister von ihnen allen, indem ich meinen Willen ganz auf das ‚Große Fahrzeug‘ fixierte. Ich führte lange Rückzüge aus, setzte die Vorschriften um, rezitierte die Schriften und gab alle meine Schätze weg. Ich erwies dem großen Meister des Gesetzes meine Ehrerbietung und erhielt von ihm die großen Schriften der ‚Drei Höhlen‘ und die Rituale zur Beachtung. Indem ich gelobte, Rückzüge durchzuführen und das Dao zu praktizieren, vollzog ich Nahrungsaufnahme, Einatmen und Ausatmen [des göttlichen qi]. Da meine [karmischen] Angelegenheiten und Bedingungen noch nicht ausgeschöpft waren, durchquerte ich am Ende meiner Lebensspanne die ‚Große Dunkelheit’ und wurde in einer würdigen Familie geboren. Wiederum wurden wir Daoisten und Mönche und studierten zusammen als Meister und Schüler. Erneut erhielt ich die großen Schriften und praktizierte das Dao mit Rückzügen und den Vorschriften. Aus diesem Grund erblickten die höheren Weisen meine Taten und sandten die Vollkommenen herab, um mich zu unterrichten.“633

      Bei der Rezeption der buddhistischen Lehre mussten sich die Chinesen mit der ihnen unvertrauten Nirvāṇa-Lehre auseinandersetzen, die ihrem Konzept von einem unendlichen Leben widersprach. Wie Stephen R. Bokenkamp gezeigt hat, gelang ihnen dies bei einer Neufassung der Wiedergeburtsvorstellung: Die Autoren des ‚Lingbao‘ gebrauchten den Begriff miedu; dieser sollte bedeuten, „ausgelöscht werden, also sterben, und [ins Heil] hinübergehen“; bezeichnen sollte er jene Menschen von hoher spiritueller Qualität, während die anderen „ausgelöscht und zerstört“ würden (miehuai). Beide Vorstellungen, so Bokenkamp, implizierten eine Art der Wiedergeburt, die eine führte in die Himmel zur Koexistenz mit dem Dao, die andere zur Zusammenfügung der lebenskräftigen Teile des Körpers für eine weitere Existenz in der Welt.634

      Entsprechend dem buddhistischen Bodhisattva-Ideal bieten die Texte des ‚Lingbao‘ Rituale und Vorschriften an, die das Heil für alle Lebewesen intendieren, vom Kaiser herab bis zu den „Kreaturen, die auf dem Boden kriechen und hin- und herschlängeln“.635 Theologische Grundlage der Riten und Hoffnungen war wie in Indien die Lehre von den Verdiensten durch gute Taten sowie Folgsamkeit gegenüber dem Dao (gongde).636 Verdienste erwarb der daoistische Priester und übertrug sie auf Dritte, vor allem verstorbene Ahnen. Das Hauptbuch des Rituals, die ‚Schrift über das Heil‘ (‚Duren jing‘), das dabei vorzulesen war, bezog sich aber auch auf „die unbegrenzte, universale Rettung ohne Ende“; dementsprechend richteten sich die Riten ebenfalls auf die verwaisten oder verlassenen Seelen (guhun).637 So wurden die Geister jener bezeichnet, deren Ablebens nicht ordentlich gedacht worden war. Man fürchtete ihre Rückkehr unter die Lebenden und suchte sie zu befrieden. Abgesehen von den Daoisten, also den Priestern des Dao, wuchs die Rolle des stellvertretenden Verdiensterwerbs den Mönchen zu. Das daoistische Mönchtum war unter buddhistischen Einflüssen nach Vorläufern seit dem späten 5. Jahrhundert entstanden. Im Unterschied zu den Priestern („Weinzuteilern“), die (meist) als verheiratete Haushälter lebten, entschieden sich die Mönche für ein eheloses Leben in regelkonformen Gemeinschaften; schon die ersten von ihnen vollzogen Riten für die Wohlfahrt des Reiches und engagierten sich für ein lang dauerndes Leben und Techniken der Meditation.638 Buddhistischer Einfluss manifestierte sich ebenso von Anfang an im Gebrauch der Pratimokṣa-Regeln, die die Konzepte von Karma und Wiedergeburt, die rituelle Praxis täglicher und monatlicher Gottesdienste sowie die Rezitation von Schriften für die Vermehrung der Verdienste einschloss. Typisch war ebenfalls die Gründung der Häuser durch den Kaiser, kaiserliche Verwandte oder Adlige. Nach den religiösen Schriften wurde denjenigen, die Klöster errichteten oder Spenden aufbrachten, u.a. Wohlstand, langes Leben und Gesundheit versprochen und sogar die Wiedergeburt als Kaiser oder Kaiserin, Prinz oder Adliger in Aussicht gestellt.639 Im ‚Yaoxiu keyi‘ aus dem 8. Jahrhundert heißt es etwa: „Wenn einer einen Tempel oder ein Kloster erbaut, einen Altar oder eine Kapelle, eine Schrifthalle oder eine Reinigungsstätte, eine Küche oder einen Pavillon [für die Religiosen], oder wenn er die Daoisten mit Kleidung und Mobiliar ausstattet, dann wird er in jedem Fall himmlischen Lohn in genauer Entsprechung zu seinen Gaben erhalten – und indem er zu den himmlischen Hallen emporsteigt, wird er sofort mit Kleidung und Nahrung versorgt werden. Alles, was jemand benötigt, wird ihm sofort gegeben werden, und alles, was entbehrlich ist, wird gleichzeitig gestrichen werden.“640 Die Hilfe für eine klösterliche Gemeinschaft sollte spezifische Vorteile im dies- und im jenseitigen Leben bringen: „Das Taizken ke [eine ältere der ‚Regeln für die große Vervollkommnung‘] sagt: Laikale Anhänger können eine Schenkung in Landgütern oder mit Barmitteln machen und dazu beitragen, Gemeindehallen und Gebetshäuser zu errichten. Für den Bau eines Raums aus Ziegelsteinen erhalten sie 120 Tage [an zusätzlicher Lebensdauer], für den dreier Räume 360 Tage. So wie das Verdienst zunimmt, nimmt auch die Abrechnung zu. Das Dajie jing sieht vor: Von der Gabe einer einzigen Münze in bar aufwärts wird die karmische Vergeltung 320.000 Mal so hoch sein. Von 10.000 Münzen in bar aufwärts wird die Belohnung weit jenseits aller Schätzung liegen.“641

      Was die liturgischen Leistungen angeht, so wurden besonders die Rezitationen hoch geschätzt. Ein Mitglied der Zhou schaffte es, das ‚Daodejing‘ zehntausendmal herzusagen und flog sogleich als himmlisches Wesen davon. Ein Angehöriger erreichte nur die Anzahl von 9.733 Rezitationen und verfehlte die Unsterblichkeit, gewann wenigstens aber magische Kräfte und die Unverwundbarkeit. Mönche (und Nonnen) konnten große Verdienste für sich selbst, ihre Familien, das Land und alle Lebewesen erwerben, indem sie täglich Kulte vollzogen, ihre Hymnen sangen und die Schriften mit besonderer Zuneigung hersagten.642 Eine besonders enge Verbindung zwischen den weltlichen und den himmlischen Wesen wurde durch Bußwerke hergestellt, die laikale Schenkungen einschlossen. Die Buße wurde entweder in den Klöstern oder im Heim des Schenkers vollzogen und verlangte stets die aktive Mitwirkung der Geber. Wenn Mönche dabei priesterliche Funktionen ausübten, also als Daoisten im engeren Sinn tätig wurden, agierten sie als Vermittler von Glück und Wegbereiter des ‚Großen Friedens‘. Falls der Ritus im Kloster stattfand, langten der Schenker und seine Familie einige Tage vorher an; alle wurden in Gästehäusern untergebracht und ließen sich im monastischen Lebensrhythmus und in den einfachen Reinigungszeremonien unterrichten. Sie führten auch zahlreiche Geschenke mit sich, die gewöhnlich auf dem Altar deponiert und beim großen Essen nach der Zeremonie verzehrt wurden. Am Tag des Ereignisses vereinten sie sich im Heiligtum mit dem Daoisten für die Kulthandlungen, an denen der Hauptschenker aktiv teilnahm und mit dem opfernden Priester zusammenwirkte. Dieser bot dem Dao Weihrauch dar, rief die Gottheiten herbei und ließ die Feiergemeinschaft Zuflucht bei den ‚Drei Schätzen‘ nehmen. Dann nannte der Priester den genauen Namen und die Herkunft der Schenkerfamilie und sprach ein ausführliches Gebet für die Sühnung und Vergebung aller ihrer Sünden. Ein solcher Gebetstext lautete etwa: „Möget ihr [o Götter] dieses Verdienst und diesen Wert annehmen und euch im Flug der Familie N. N. zuwenden, eingeschlossen all ihre neun geheimnisvollen Vorfahren und sieben Ahnen, alle Angehörigen ihrer Sippe, sei es die in der Gegenwart, sei es die früheren. Ich bitte, dass ihr vollkommen alle Vergehen verzeiht, die sie begangen haben, sei es in früheren Leben, sei es in Körpern der Gegenwart, alle ihre Akte des Ungehorsams und hässliche Taten des Bösen, ihre Millionen von Sünden und Milliarden von Übertretungen, sie alle, darum bitte ich, radiert aus und schafft Reinheit.“643

      Gaben an Priester und Mönche und zweifellos auch Stiftungen dienten also im Daoismus nach Rezeption des Mahāyāna-Buddhismus mit seiner Verdienstlehre dazu, Gebete, Fürbitten und andere religiöse Leistungen zu erwirken, die dem postmortalen Heil des Spenders zugutekamen. Im Unterschied zum Buddhismus war das Endziel aber nicht das Nirvāṇa,