Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte. Michael Borgolte

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Название Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte
Автор произведения Michael Borgolte
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534743469



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Zuverlässigkeit (16, 11) ruht das Vertrauen des Beters, dass seine Seele (nephesch) nicht für die Sche’ol bestimmt ist, und auch sein Leib (basar) fällt nicht der (definitiven) Verwesung anheim. Entscheidend ist (…), dass der nephesch eine Weiterexistenz nach dem Tode zugeschrieben wird; es wird auch wohl ein vorübergehendes Verweilen in der Unterwelt angenommen; doch Gott weist am Ende ‚den Weg des Lebens‘ (’orach chajim)“.370 Später belegten die Prophetenbücher, dass im Israel der Könige die Vorstellung von Totengeistern, die in der Unterwelt existierten, aber zur Wiedererweckung zum vollen Leben bestimmt waren, schon vor dem Einfluss des griechisch-platonischen Seelenglaubens verbreitet gewesen sei. Jesaja (ca. 740–690 v. u. Z.) beschreibe im 25. Kapitel das Festmahl, das Jahwe Zebaoth nach Vollendung des Gottesreiches in Jerusalem für alle Völker geben werde; Jahwe werde dann „den Tod auf ewig verschwinden lassen und die Tränen von jedem Antlitz abwischen“.371 Während die Gottlosen dem Gericht anheimfielen und von der Unterwelt nicht wieder auferstünden, sage der Prophet von Gottes Toten: „Werden wohl deine Toten wieder aufleben? Auch meine Leichen? Ja, sie werden auferstehen! Wacht auf und jubelt, die ihr im Staube ruht! Denn ein Tau der Himmelslichter ist dein Tau, und so wird die Erde die Schatten wieder ans Tageslicht bringen.“372 Entsprechend skizziere etwas später (2. Hälfte des 6. Jh.s v. u. Z.) Deuterojesaja im Falle des ‚Gottesknechts‘ die durch Gott ermöglichte Existenz über den Tod hinaus.373

      Andere Forscher – gewiss ihre Mehrheit – deuten oder gewichten die Zeugnisse anders. Für Otto Plöger bezeichnet beispielsweise das Wort Sche’ol eher den Tod als Gegenwelt zum gelebten Leben, während die Vorstellung vom Schattenreich mit ihm nur am Rande verbunden wurde.374 Ohne Zuversicht oder gar freudige Zustimmung sei davon die Rede, dass der Mensch beim Tode „zu seinen Vätern versammelt“ werde (5. Mose 31, 16).375 Mit Bitterkeit werde konstatiert, in die Grube hinabzufahren, bedeute, zum Verschwinden gebracht zu werden und der Vergessenheit anheimzufallen (Ps 28, 1; 31, 13; 40, 3 u. ö.). Gott sei in erster Linie ein Gott des Lebens und der Lebenden und nicht des Todes. Wenn er in den Psalmen gefragt werde, warum ihn nur die Lebenden und nicht die Toten rühmen dürften, seien das nur Anfragen, aber keine von Zuversicht getragene Aussagen. Das im Vollsinn gelebte Leben sei im Tod an einem guten Namen und einer zahlreichen Nachkommenschaft, also an einem Nachleben im Diesseits, ablesbar und lasse keineswegs auf jenseitige Vergeltung und Erfüllung hoffen. Tatsächlich beginne sich dies gegen Ende der alttestamentlichen Zeit zu ändern; die auch von H. Feld zitierte Passage bei Jesaja über das Verschlingen des Todes beziehe sich auf eine Vision irdischen Friedens und analoge Schriftstellen verwiesen nicht auf die individuelle Auferstehung, sondern auf das Volk Israel, das sich aufs Neue erheben werde.

      Weithin Einigkeit herrscht darin, dass im Buch Daniel von ca. 165 v. u. Z., dem letzten der hebräischen Bibel, zum ersten Mal eindeutig von der individuellen Auferstehung die Rede ist: „Und viele, die im Staub der Erde schlafen [sc.: die gestorben beziehungsweise im Kampf umgekommen sind], werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande. Und die Verständigen werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“376 Allerdings richtete sich diese Auferstehungsverheißung nur an die Angehörigen des Volkes Israel. Entwickelt wurde sie als Reaktion auf die Niederschlagung des Makkabäer-Aufstandes durch den seleukidischen König Antiochos IV. Epiphanes (168 v. u. Z.). Im zweiten der vier Makkabäerbücher, die die rabbinische Tradition allerdings nicht zu ihrem Kanon zählt, wird u.a. das Martyrium der sieben Makkabäerbrüder und ihrer Mutter geschildert, die sich weigerten, die jüdischen Gesetze zu verleugnen.377 Die Glaubenszeugen gingen mit der Gewissheit in den Tod, mit dem ewigen Leben belohnt zu werden. So hielt der zweite der Brüder dem Übeltäter entgegen: „Du verruchter Mensch, du nimmst uns wohl das zeitliche Leben; aber der König der Welt wird uns, die wir um seiner Gesetze willen sterben, wieder erwecken in der Auferstehung zum ewigen Leben.“ Und als dem dritten die Zunge herausgerissen werden sollte, habe er seinen Mördern auch die Hände dargeboten und gesprochen: „Diese Glieder sind mir vom Himmel gegeben; darum will ich sie gern gering achten um seiner Gesetze willen; denn ich hoffe, er wird sie mir wiedergeben.“ Bevor die Mutter selbst hingerichtet wurde, habe sie ihre Söhne, einen nach dem anderen, mit den Worten getröstet: „Ich weiß nicht, wie ihr in meinem Schoß entstanden seid, und den Odem und das Leben habe ich euch nicht gegeben noch habe ich zusammengefügt, woraus jeder von euch besteht. Darum wird der, der die Welt geschaffen und alle Menschen gemacht und das Werden aller Dinge erdacht hat, euch den Odem und das Leben gnädig zurückgeben, weil ihr jetzt um seiner Gesetze willen keinerlei Rücksicht nehmt auf euch selbst“ (2. Makk 7, 9; 7, 11 und 7, 22).378

      Man darf sich allerdings nicht vorstellen, dass sich seither der Auferstehungsglaube im Judentum ungehindert durchsetzte; noch bis zur zweiten Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahre 70 u. Z. widersprachen ihm wirkungsvoll die traditionell denkenden Sadduzäer. Ihre erfolgreichen Konkurrenten, die neben ihrer guten Kenntnis der mosaischen Gesetze durch ihren mittelständischen Lebensstil die große Mehrheit ansprachen, die Pharisäer, gaben die Lehre an die Rabbinen weiter, mit denen „die Auferstehung am Ende der Welt zum fundamentalen Glaubenssatz der jüdischen Eschatologie“ aufrückte und als solcher bis in jüngste Zeit in Geltung blieb.379

      Als Ort der Verstorbenen unterscheidet das Rabbinentum etwa seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert den Garten Eden als vorübergehenden oder endgültigen Zustand des Paradieses von dem Gehinnom als Ort der Strafe.380 Während der babylonische Gaon (religiöse Führer) Saadja (gest. 942 u. Z.) noch die Unsterblichkeit der Seele mit der Idee der körperlichen Auferweckung zu verbinden wusste, begründete Maimonides (gest. 1204 u. Z.) die Lehre von der vom Körper unabhängigen Unsterblichkeit der Seele, die sich als jüdischer Glaubenssatz allmählich durchsetzte, während die Auferstehung des Leibes in den Hintergrund trat. Zwischen- und Endzustand im Jenseits wurden vielfach nicht klar getrennt; nachweisen lässt sich aber auch die Vorstellung, dass die Verstorbenen vorübergehende Strafen im Gehinnom erleiden. Teilweise wurde auch angenommen, dass die Verdammten zusammen mit den Gerechten zum Endgericht auferweckt, dann aber nach dem Urteilsspruch vom Feuer verschlungen werden. Die Ankunft des Messias wurde tendenziell vom Endgericht abgerückt; die Toten würden dann erst am Gerichtstag am Ende der messianischen Zeit und zugleich an der Schwelle der „kommenden Welt“ (Olam ha-ba) auferweckt. Auch wenn sich (wie im Christentum) die Unterscheidung eines partikularen Gerichts unmittelbar nach dem Tode ausbildete, wurde dieses vom universellen Endgericht aber kaum einmal klar unterschieden.

      Bei den Jenseitshoffnungen und -befürchtungen ging es um die Vergeltung der Taten im vergangenen Leben.381 Ein undatierbarer Kommentar zum Buch Deuteronium drückt die Erwartung einer Gegenleistung Gottes für das gute Werk so aus: „Und so sprach der Heilige, gepriesen sei Er, zu Israel: ‚Meine Söhne, wann immer ihr die Armen versorgt, rechne ich es euch an, als ob ihr mich versorgen würdet.‘“382 Ein anderer Midrasch, zu Psalm 118, lautet: „In der künftigen Welt wird der Mensch gefragt: ‚Was war dein Tun?‘ Wenn er zur Antwort gibt: ‚Ich speiste die Hungrigen‘, dann werden sie sagen: ‚Das ist das Tor zum Herrn; denjenigen lasst ein, der den Hungrigen zu essen gibt‘ (Ps 118, 20). Ebenso [soll es geschehen mit denen,] die den Dürstenden zu trinken reichen, die Nackten kleiden, nach den Waisen sehen und im Allgemeinen all jenen, die Taten der liebevollen Güte vollbringen.“383 Im Babylonischen Talmud (2./3. Jh. u. Z.)384 ist von einem Mann die Rede, der seine Wohltat (ṣedaqa) mit der Begründung versehen habe, „damit mein Sohn lebe [und] ich Erbe der kommenden Welt werde“; dies sei, so das Urteil, „als eine vollkommene Wohltat zu verstehen“, es könne aber auch, wie es in einer Variante heißt, von einem „völlig rechtschaffenen Mann“ Zeugnis ablegen. Wohltun schütze vor den Schrecken der Hölle, wie der Talmud an anderen Beispielen demonstriert. Der palästinische Weise Rabbi Meir aus dem 2. Jahrhundert führte etwa aus: „Wenn einer dich in Diskussionen verwickelt und fragt, ‚wenn Gott die Armen liebt, warum hilft er ihnen dann nicht?‘‚ so antworte ihm: ‚Dies geschieht zu unseren Gunsten, damit wir durch sie vom Gericht der Hölle (Gehinnom) gerettet werden.‘“ Hier ist allerdings nicht klar, ob den Armen nur eine passive Rolle beim Empfang der Gaben oder auch ein aktiver Anteil an der Seelenrettung, etwa durch Intervention zugunsten ihrer Wohltäter bei Gott, zugesprochen werden sollte. Ein anderer Rabbi verglich die Menschen mit Schafen, die über einen Fluss kommen wollten: „Wer immer einen Teil seines Vermögens beschneidet