Название | Hundert Geschichten |
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Автор произведения | Quim Monzo |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783627021467 |
Der erste, der ein Fest organisierte, war Josep. Das zweite organisierte Manel. Danach folgten Andreu, Marta, Ignasi, Ramon, Maria, Teresa, Gerard. Auf dem Fest von Gerard erklärte Borrell, dass, wenn sie weiter so viele Feste feierten, Wochen ins Land ziehen würden, ehe er wieder am Schreibtisch sitzen könne. Aber natürlich musste man die Freude über diesen Erfolg ausleben. Die folgenden Feste wurden organisiert von Xesc, Rosa, Corina, Emili, Maria-Rosa, Toni, Anna, Núria, Arcadi, Arau, Josep-Maria, Tomàs, Sumpta, Albina, Miquel, Artur, der anderen Anna und Pepa.
Eines Abends, die Preisverleihung lag zwei Monate zurück, setzte sich Borrell an den Schreibtisch (nachdem er zuerst mit einem Rundfunkjournalisten telefoniert hatte, der seine Meinung zum Tod einer bereits älteren, bedeutenden Dichterin wissen wollte, und dann mit Anna, die sauer war, weil er sie seit Wochen nicht angerufen hatte). Seine Hände strichen über die Schreibtischkanten. Seit der Preisverleihung hatte er sich nur selten hierher gesetzt, und das tat ihm leid, denn in gewisser Weise war ihm dieser Schreibtisch, der ihn jahrelang bei der Arbeit begleitet hatte, ein sehr guter Freund. Er drehte sich um; er sah all die ungelesenen Bücher, die sich auf der Tischecke stapelten, wo er schon von jeher die Bücher hinlegte, die er in der allernächsten Zukunft lesen wollte, eine Ecke, auf der gewöhnlich wenig Bücher lagen, denn sobald sie dort ankamen, waren sie auch schon wieder verschwunden, bereits verschlungen. Während er versuchte, sich zu erinnern, ob es nun genau das dritte oder das vierte Mal war, dass er in jenen zwei Monaten am Schreibtisch saß, klingelte wiederum das Telefon. Ein Journalist der drittgrößten Zeitung der Stadt (hinsichtlich der Auflage) meldete sich. Während des Gesprächs ging es Borrell durch den Kopf, dass er eigentlich die Hälfte der letzten Monate in dieser Stellung verbracht hatte: am Telefon hängend, Interviewtermine vereinbarend, um damit dann die andere Hälfte der Zeit zuzubringen. Nach seiner Einschätzung durfte es im ganzen Land keine Medien (Presse, Rundfunk oder Fernsehen) mehr geben, in denen nicht über ihn berichtet worden war, nach Interviews mit Journalisten, die, wenn sie von Zeitschriften und Zeitungen kamen, in neunzig Prozent der Fälle seine Aussagen gänzlich verdrehten, vielleicht nicht einmal in böser Absicht, sondern weil sie die Nuancen in seinen Antworten nicht gewissenhaft wiedergaben. Auf der anderen Seite der Leitung hatte er nun einen der Journalisten, die ihn in der Nacht der Preisverleihung zu Hause besucht hatten. Schnell hatte er begriffen, dass es diesmal dem Mann nicht um ein Interview, sondern um einen Beitrag ging. Einen Beitrag in Form eines Gedichtes für die nächste Sonntagsausgabe. Borrell entschuldigte sich. In den letzten Monaten sei er kaum in der Lage gewesen, ein paar Gedanken zu skizzieren, geschweige denn, diese wenigen Gedanken zu einem Gedicht zu verdichten. Der Journalist blieb hartnäckig: Es sei ihm egal, wenn die Gedichte noch im Embryonalzustand seien.
– Denken Sie daran, es ist eine Zeitung. Es muss nicht den Vollkommenheitsgrad erreichen, der für eine Buchveröffentlichung erforderlich wäre. Später werden Sie schon Zeit haben, es nach Ihrem Gutdünken zu überarbeiten, wenn Sie es dann in einem Buch veröffentlichen.
Borrell argumentierte, es ginge nicht so sehr um Vollkommenheit, sondern darum, die Dinge gut zu machen. Der Journalist blieb hart: Man könne auch, falls er wolle, in einer Randbemerkung festhalten, dass es sich »um reine Skizzen zu einem Gedicht« handele, um nichts Fertiges.
Beim Auflegen des Telefonhörers wurde Borrell bewusst, dass er den Vorschlag schließlich akzeptiert hatte. Als Korrektiv zur vorausgegangenen Tat legte Borrell den Hörer neben den Apparat (anderenfalls würde er möglicherweise in den nächsten drei Stunden zwischen zwanzig und dreißig Anrufe erhalten) und bemühte sich, ein Gedicht zu vollenden. Er sollte es noch am selben Abend abgeben, da es für die Sonntagsbeilage vorgesehen war, die genau an diesem Tag Redaktionsschluss hatte. Borrell verstand nicht, warum sie bis zum letzten Tag gewartet hatten, um ihn um etwas zu bitten, was sie auch gut und gerne ein paar Tage vorher hätten einplanen können. Doch schon vor Wochen hatte er sich angewöhnt, sich nicht mehr über die mangelnde Planung der Leute zu wundern, mit denen er nun Umgang pflegte.
Am späteren Abend erklärte er das Gedicht für mehr oder weniger fertig. Er legte den Hörer wieder auf die Gabel, und sofort klingelte das Telefon. Es war der Journalist, der ihn um das Gedicht gebeten hatte: Was denn los sei, dass er nun seit Stunden telefoniere, ob er wisse, wie spät es sei, und ob er nun das Gedicht vorbeibringen werde oder nicht, denn sie müssten schließen.
Auf der Fahrt zur Zeitung las Borrell das Gedicht noch einmal durch und fand es schwach. Er überlegte, wieder umzukehren und es noch einmal zu schreiben, aber er entschied (nur bei dem Gedanken an das empörte Gesicht des Journalisten), diese Idee zu den Akten zu legen und das Gedicht, so wie es war, abzugeben. Abgesehen davon war es ein Entwurf, und das würde ja auch in Kleinbuchstaben am Rand stehen.
Noch am selben Sonntag (nachdem er mit Emili telefoniert hatte, der ihm vorhielt, nie anzurufen) bat ihn ein Mitglied des Redaktionsbeirats einer bedeutenden Kulturzeitschrift um einen Beitrag. Sie planten eine Nummer über neue Poesie, und seine Mitarbeit war nach dem Eindruck, den Die Aktentasche in der Kulturszene gemacht hatte, unentbehrlich. Borrell erklärte ihm das Gleiche, was er dem Journalisten der Zeitung erzählt hatte: Er habe bisher nichts Neues, er habe nur Notizen gemacht, die man beim besten Willen nicht Gedichte nennen könne. Der von der Kulturzeitschrift fragte ihn daraufhin, wie es denn dann komme, dass genau heute eines seiner Gedichte in der drittgrößten Zeitung der Stadt (hinsichtlich der Auflage) erschienen sei (natürlich ohne die erläuternde Randbemerkung, dass es sich um einen Entwurf handelte; die Randbemerkung, die der für das Layout Verantwortliche angeblich ohne Rücksprache weggelassen hatte, weil sie ihm das Aussehen der Seite verdarb). Und wenn er in der drittgrößten Zeitung der Stadt (hinsichtlich der Auflage) ein Gedicht veröffentlicht habe, gäbe es natürlich noch viel mehr Gründe, in seiner Zeitschrift zu schreiben, die sich nicht nur durch ihr erbittertes Ringen um eine fortschrittliche Haltung in der Kultur hervorgetan habe, sondern auch ein Bollwerk in den schwarzen Zeiten der Diktatur gewesen sei. Borrell sagte, er könne nach Belieben aus seinem Band Die Aktentasche veröffentlichen. Der von der Kulturzeitschrift war empört: Mit beleidigter Stimme machte er unmissverständlich klar, es müsse etwas Unveröffentlichtes sein.
– Aber ich habe doch nichts fertig – bemerkte Borrell.
– Das ist doch egal. Irgendetwas, gleich was, geht in Ordnung.
In den fünfzehn Tagen, die auf die Veröffentlichung des Gedichtentwurfs in der Kulturzeitschrift folgten, erhielt Borrell neben den üblichen Telefonanrufen im Durchschnitt achtzehn komma vier Anrufe täglich mit der Bitte um einen Beitrag für Zeitschriften jeglicher Größe, Erscheinungsweise, Druckart und ideologischer sowie ästhetischer Richtung.
Am sechzehnten Tag aber, gerade nachdem er den Telefonhörer aufgelegt hatte (er hatte mit Gerard gesprochen, der ihm seine Schlussfolgerung mitteilen wollte, ihm sei wohl der Ruhm zu Kopfe gestiegen, denn anders könne er sich nicht erklären, warum er sich auf einmal nicht mehr melde), rief ihn der Chefredakteur der bedeutendsten Zeitung der Stadt (hinsichtlich der Abonnentenzahl) an.
– Keine Angst, ich will Sie nicht um einen poetischen Beitrag bitten – begann er lachend.
Der Chefredakteur lud ihn zum Mittagessen ein, dabei könne man entspannter plaudern. Sie gingen in ein Luxusrestaurant.
Den Chefredakteur faszinierte vor allem, wie wenig Borrell über den Klatsch in der Szene informiert war. Beim Nachtisch legte er die Karten auf den Tisch: In der Tat wollte er keinen poetischen Beitrag von ihm. Er wollte einen journalistischen Beitrag. Er hatte sich gedacht (und glaubte, damit den Punkt getroffen zu haben), es wäre eine interessante Erfahrung für ihn, wenn er Artikel schriebe. Just in dem Augenblick überrascht, als der Chefredakteur eine Flasche Sekt zur Feier seiner möglichen Mitarbeit bei der Zeitung bestellte, wusste Borrell nichts zu antworten. Er hatte noch nie etwas anderes als Poesie geschrieben. Der von der Zeitung versicherte ihm, seine Dichtung funktioniere nur aus einem Grund: Er habe sich nie einer neuen Möglichkeit verschlossen. Mit einer Kolumne in einer Zeitung könnte er seine Meinung über Politik und Kultur ausdrücken. Zudem, insistierte er, fände er es nicht reizvoll, seinen Kolumnen die gleiche Sorgfalt und Dichte abzuverlangen wie seinen Gedichten? Borrell versuchte eine Widerrede aufzubauen: Er könne nicht so ganz sehen, wie er regelmäßig, einmal in der Woche, schreiben solle.
– Einmal