Название | Hundert Geschichten |
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Автор произведения | Quim Monzo |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783627021467 |
P: Quid est vigilanti somnus? A: Spes.
P: Quid est mirum? A: Nuper vidi hominem stantem, molientem, ambulantem, qui numquam fuit.
P: Quomodo potest esse? Pande mihi. A: Imago est in aqua.
A: Quidam ignotus mecum sine lingua et voce locutus est, qui numquam ante fuit nec postea erit, et quem non audiebam nec novi. P: Somnium te forte fatigavit, magister.
A: Quid est quod est et non est? P: Nihil.
A: Quomodo potest esse et non esse? P: Nomine est et re non est.
Disputatio regalis et nobilissimi iuvenis Pippini cum Albino scholastico
Die Aktentache
Borrell schrieb das letzte Wort, setzte den Schlusspunkt, zog das Blatt aus der Maschine und betrachtete es mit ausgestrecktem Arm von Weitem wie eine Zeichnung. Er las es noch einmal.
Langsam kniet er nieder und merkt nicht,
dass das blendende Scheinwerferlicht,
die dunkle Sibylle, der Trubel ist,
mit der ihn verwirren will die Finsternis.
Erst danach füllt Nitrat den Raum.
Ergeben beugt er sich, bis es empfängt der Mund.
Er wird gesehen von einer Eule ohne Flügelflaum,
von der Gans im Wahn und dem brennenden Hund.
Er legte das Blatt zu den anderen einundzwanzig Blättern, die bereits in einer Mappe aus blauem Karton lagen. Auf das nächste Blatt tippte er den Titel des Buches: Die Aktentasche und den ihm vorangestellten Leitsatz: »Aliquando bonus dormitat Homerus«. Er tippte dieses Motto auf einen Umschlag und auf ein weiteres Blatt Papier. Auf dieses weitere Blatt schrieb er zudem seinen Namen, seine Adresse und seine Telefonnummer und steckte alles in den Umschlag. Er leckte ihn an und klebte ihn zu.
Im Copycenter an der Ecke kopierte er das Buch, dreimal. Im Papierwarengeschäft kaufte er Aktendeckel. Wieder zu Hause, schob er einen Satz Fotokopien in eine Schreibtischschublade, legte das Original in der Mappe zu den beiden anderen Stapeln mit Fotokopien und packte daraus ein Paket. Er schrieb die Adresse einer bedeutenden Kultureinrichtung darauf und eilte zur Post. Heute war der letzte Tag, um eine unveröffentlichte Arbeit für den höchsten Dichterpreis des Landes einzureichen.
Borrell hätte nie gedacht, dass die Blitzlichter der Fotografen und die Mikrofone der Journalisten ein so wenig traumatischer Bestandteil der Welt des Dichters sein könnten. Er verlor erstaunlicherweise überhaupt nicht den Kopf, als auf einmal gegen Mitternacht ein Heer von Journalisten in seine Wohnung einfiel. Eine halbe Stunde zuvor hatte ihn das Klingeln des Telefons aus einem Traum gerissen, in dem er mit Riesenzahlen eine geometrische Reihe fantasierte. Er hatte so wenig an eine Auszeichnung geglaubt, dass er, völlig unbeeindruckt vom laufenden Abstimmungsverfahren, schlafen gegangen war.
Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte, und die erste Auflage von Die Aktentasche war fast vergriffen, bevor die ersten Kritiken veröffentlicht wurden. Als diese schließlich erschienen (seltsamerweise nur positive, außer einer, in der ein paar Reimprobleme entdeckt wurden), stand der Verlag mit der Produktion der dritten Auflage unter Zeitdruck. Bei der Einschätzung eines neuen literarischen Werkes hatte sich die Presse seit Jahrzehnten nicht so einmütig gezeigt. »Die Poesie von Borrell« – schrieb eine Gazette – »zeigt uns, auch wenn uns diese Erkenntnis schwerfällt, dass wir bisher noch nicht alle Seiten dieses enigmatischen, wechselnden Parallelepipedons entdeckt hatten, das die Dichtung sein kann und auch ist.« »Die Qualität dieses Buches« – schrieb eine andere – »macht Die Aktentasche bereits kurz nach Erscheinen nicht nur zu einem Markstein der lokalen, sondern der europäischen Dichtung, die sich derzeitig, und das schon seit Jahrzehnten, durch Unentschiedenheit und Orientierungslosigkeit auszeichnet.«
Borrell war glücklich. Nicht wegen des Erfolges, sondern weil die öffentliche Anerkennung ihm zeigte, dass er sich nicht geirrt hatte; dass, so wie er es immer geglaubt hatte, seine Gedichte den Zeitgeist trafen. Mit der Einfachheit seiner Kunst, und offenbar weit entfernt von dem heraufdämmernden einundzwanzigsten Jahrhundert, wurde Borrell zum »Priester all jener unmöglich festzulegenden Empfindungen, von denen die Seelen seiner Zeitgenossen zerrissen wurden«.
Ihm zu Ehren, und weil sie ihn liebten, feierten seine Freunde Feste. Alle freuten sich aufrichtig über Borrells Erfolg, dessen einzige, ständig wiederholte Forderung gewesen war, ihn in Ruhe schreiben zu lassen. Sie schätzten auch eine weitere Eigenschaft an ihm: Im Unterschied zu den meisten anderen hatte er sie nie mit einem Gedichtvortrag oder einem Seminar über das, was seiner Meinung nach Dichtung sei oder zu sein habe, geplagt. Sie wussten, wie sehr er geschwitzt hatte, um die zweiundzwanzig Gedichte herauszudestillieren, die in Die Aktentasche Eingang gefunden hatten, denn ganz war er nie zufrieden. Er hatte sich nie wegen des Erfolges selbst verraten. Einen Erfolg, den er viel früher erreicht hätte, wenn er nur den Modeströmungen