Seewölfe Paket 6. Roy Palmer

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Название Seewölfe Paket 6
Автор произведения Roy Palmer
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954394951



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jetzt genau voraus, und wenig später war sie auch ohne Spektiv zu sehen.

      Nichts hatte sich verändert.

      Immer noch lag das Wrack auf dem Riff. Ob ein paar von den verstreuten Trümmern nicht von dem zerschmetterten Schiff, sondern vom Beiboot der „Isabella“ stammten, ließ sich beim besten Willen nicht erkennen. Hasard biß die Zähne zusammen. Sein Blick folgte dem Bogen des weißen Schaumstreifens und tastete die Felsenzacken ab, die in unregelmäßigen Abständen die Wasserfläche durchstießen. Die Brandung zeigte, daß das Riff nirgends tief genug abfiel, um eine gefahrlose Einfahrt in die Lagune zu gestatten. Unter Vollzeug rauschte die Galeone auf die Insel zu, und wenig später waren die palmengesäumten Strände und die beiden Felsenkegel zum Greifen nahe.

      „Abfallen!“ befahl Hasard. „Wir umsegeln die Insel! Haltet die Augen offen!“

      Die Seewölfe hätten diese Aufforderung nicht gebraucht.

      Wer Freiwache hatte, stand am Schanzkleid und starrte zum Strand hinüber. Auch die Männer an den Brassen warfen immer wieder Seitenblick zu dem Riff und dem Palmengürtel, und nicht einmal der eiserne Profos dachte diesmal daran, sie deswegen mit sämtlichen Höllenstrafen zu bedrohen.

      Daß er nicht fluchte und brüllte, war ein Gradmesser für die gedrückte Stimmung an Bord.

      Und es war wirksamer als jedes Geschrei. Ein Profos, der alle zwei bis drei Minuten versprach, jemandem die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch zu ziehen – das hieß, daß die Welt in Ordnung war. Bei einem Edwin Carberry, der nur finstere Blicke um sich schleuderte, zog jeder den Kopf ein und bemühte sich, noch schneller zu arbeiten als gewöhnlich. Unter anderen Umständen hätte Hasard vielleicht gelächelt, aber im Augenblick hatte er nicht den geringsten Sinn für komische Aspekte.

      Die „Isabella“ schwenkte elegant nach Steuerbord herum und lief an dem Riff entlang zum östlichen Ende der Insel. Rote Klippen sprangen dort ins Meer vor, auf der Nordseite fiel die Küste steil ab. Nichts war zu sehen. Keine Spur von Dan, Batuti oder dem Irren, keine Spur von dem Beiboot. Die Männer der Freiwache starrten sich vergeblich die Augen aus, und am westlichen Zipfel der Insel ließ Hasard schließlich beidrehen.

      Er war überzeugt davon, daß er Dan und Batuti finden würde. Sie konnten sich nur auf diese Insel gerettet haben. An die andere Möglichkeit, daß die beiden längst nicht mehr lebten, wollte der Seewolf nicht denken.

      Mit einer unbewußt wilden Bewegung warf er das Haar zurück.

      „Beiboot abfieren“, befahl er scharf. „Ferris, Matt, Gary, Smoky und Pete – wir werden hinüberpullen und auf dieser verdammten Insel das Unterste zuoberst kehren.“

      7.

      Dan O’Flynn knirschte mit den Zähnen.

      Seine Handgelenke brannten wie Feuer, die Haut hing in Fetzen. Wieder und wieder rieb er die Stricke über die scharfe Steinkante in seinem Rücken, und neben ihm tat Batuti mit zusammengepreßten Lippen das gleiche.

      Viel Hoffnung hatten sie nicht.

      Wenn sie es schafften, sich von den Fesseln zu befreien, konnten sie die beiden Wachtposten, die im Camp zurückgeblieben waren, mit Leichtigkeit überwältigen. Im Augenblick kümmerte sich keiner der beiden um die Gefangenen. Pepe le Moco stierte stumpfsinnig vor sich hin: er hatte den Schlag auf den Kopf noch nicht richtig verdaut.

      Der zweite Mann, ein drahtiger, finsterer Typ mit nur einem Auge, der Esmeraldo hieß, war zwischen die Felsen geklettert in der Hoffnung, etwas von den Ereignissen mitzubekommen. Aber es würde sicher nicht lange dauern, bis er sich wieder umschaute.

      Dan fluchte innerlich, als er die Bewegung sah, mit der sich der Kerl abwandte.

      Sein Blick wanderte zu den Gefangenen, und das gesunde Auge funkelte auf. Mit einem Ruck riß er die Radschloß-Pistole aus dem Gürtel und sprang von den Felsen hinunter.

      Sein tückisch glitzerndes Auge glitt zwischen Dan und Batuti hin und her, die Waffenmündung vollführte die gleiche Bewegung. Mit einem abfälligen Grinsen holte Esmeraldo aus und kickte Dan die Stiefelspitze zwischen die Rippen.

      Batutis schwarzes Gesicht wurde fast grau vor Wut.

      Was er schrie, konnte niemand verstehen, da er seine Heimatsprache benutzte. Und was er tat, ging so schnell, daß der Einäugige erst begriff, als es zu spät war.

      Geschmeidig wie ein Panther schnellte der schwarze Herkules am Boden herum, zog blitzartig die gefesselten Beine an – und rammte Esmeraldo wuchtig die Absätze in die Magengrube.

      Der Pirat flog mit rudernden Armen zurück und landete mit dem Hintern im Wasser des Bachs. Sein Gesicht wurde schmutzig, grün, würgend trennte er sich von seiner letzten Mahlzeit. Dan und Batuti kämpften verzweifelt gegen die Fesseln, aber sie wußten nur zu gut, daß sie keine Chance hatten.

      Der zweite Pirat war froh, daß sie ihm einen Anlaß boten, sich für die Beule an seinem Kopf zu rächen.

      Er fing es vorsichtiger an als sein Kumpan. Mit dem langen, handlichen Holzknüppel konnte er zuschlagen, ohne sich in die gefährliche Reichweite des hünenhaften Negers zu begeben. Batuti wurde zweimal am Kopf und einmal im Nacken getroffen, bevor er endlich die Augen verdrehte.

      Pepe le Moco grinste triumphierend, während er den Knüppel sinken ließ und statt dessen die Pistole aufhob, die Esmeraldo entfallen war.

      Der Einäugige spuckte immer noch. Pepe warf ihm einen verächtlichen Blick zu, dann grinste er Dan O’Flynn an.

      „Schön ruhig, Kleiner! Ich …“

      „Der Teufel ist dein Kleiner!“ fauchte Dan erbittert.

      „Rotzfrech bis zum letzten!“ Pepe lächelte mit der satten Selbstzufriedenheit dessen, der seiner Rache sicher ist. „Die große Klappe wird dir noch vergehen, Bürschchen! Dich und den Nigger nehmen wir nämlich mit, wenn wir hier abhauen. Damit ihr euren Freunden nichts von Chiapas und dem Maya-Gold singen könnt. Und dann müßt ihr natürlich arbeiten, wenn ihr was zu fressen haben wollt. Bis euch das Wasser im Hintern kocht und die Zunge aus dem Hals hängt, Freundchen! Was glaubst du, wie ich mich darauf freue?“

      „Wenn du dich nur nicht zu früh freust! Die ‚Isabella‘ kriegt ihr nicht, ihr dämlichen Hunde. Die Crew wird euch in kleinen Häppchen an die Haie verfüttern. Und dir reiße ich persönlich die Ohren ab, du Enkel eines triefäugigen, dreimal um die Großrah gewickelten Bilgengespenstes, du verlauster, stinkender Hurenbock …“

      Weiter gelangte Dan nicht.

      Bis zu diesem Augenblick hatte Pepe le Moco mit staunenden Augen zugehört, weil ihm die Hälfte der herzerfrischenden Flüche neu war, jetzt drang mit leichter Verspätung das Ausmaß der Beleidigungen in sein Bewußtsein. Berstende Wut überwog die Neugier darauf, wie es weiterging, und blitzartig riß er mit der Linken den Holzknüppel hoch.

      Dan O’Flynn konnte nicht mehr ausweichen.

      Er wurde am Kopf getroffen. Mit voller Wucht. Und das war sogar für den Dickschädel eines O’Flynn zu fiel.

      Zwei Sekunden lang flimmerte ein prachtvoller bunter Funkenregen vor Dans Augen, dann sah er für eine Weile überhaupt nichts mehr.

      Der zertrümmerte Boot hing so zwischen den Felsen des Riffs fest, daß es von Bord der „Isabella“ nicht gesehen werden konnte.

      Vom Strand der Bucht aus entdeckten es die Seewölfe sofort. Hasard blieb stehen und spähte aus zusammengekniffenen Augen hinüber. Das Boot war Kleinholz und bestand nur noch aus einem Plankenstück mit zwei dranhängenden Duchten. Wer im Augenblick des Aufpralls noch auf diesen Duchten gesessen hatte, mußte zumindest schwer verletzt worden sein.

      Hasard nahm an, daß Dan und Batuti nicht so dämlich gewesen waren, sich mit der Nußschale auf die Felsen schmettern zu lassen. Ein Riff ließ sich auch bei Sturm und Dunkelheit erkennen. Und ein Schwimmer hatte durchaus die Chance, durch eine der Lücken in der Felsenbarriere die Lagune zu erreichen.