Название | Seewölfe Paket 26 |
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Автор произведения | Roy Palmer |
Жанр | Языкознание |
Серия | Seewölfe - Piraten der Weltmeere |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954399949 |
Hasard zog den Zettel aus dem Röhrchen, rollte ihn auseinander und las die Nachricht seines Vetters Arne vor.
„Acht Uhr, 9. Juli. Chaotische Zustände in H., da keine Führung. Aufruhr durch Mob und Diebesbanden – Plünderungen – verteidige Filiale – muß allerdings mit Aufgabe und Flucht rechnen – Hafen frei, da Miliz und Polizei Verteidigungsstellung im Gouverneurspalast bezogen haben. Habe Flucht-Schaluppe bereit, um mich mit Gruppe gegebenenfalls abzusetzen – dann Kurs Florida-Straße. Versuche jedoch, Stellung zu halten. Könnte Unterstützung durch B.d.K. brauchen – Arne.“
Alle am Strand standen wie vom Donner gerührt.
Der Einschlag eines 25-Pfünders hätte keine verheerendere Wirkung haben können. Niemand konnte die schlimme Nachricht auf Anhieb verdauen.
Hasard war der erste, der wieder zu Worten fand. Worte, die bedeutungsschwer in die Stille fielen. Jedem einzelnen der Anwesenden wurde dadurch klar, was man sich angesichts der knappen Zeilen Arne von Manteuffels zu denken hatte.
„Wir kommen nicht drum herum“, sagte der Seewolf, „wir müssen uns vor Augen führen, wie diese chaotische Situation in Havanna entstanden ist. Zunächst aber steht fest, daß der B.d.K. – der Bund der Korsaren – Arne und die Freunde nicht im Stich lassen wird. Daran gibt es meines Erachtens nichts zu rütteln.“
„Überhaupt nichts!“ rief der Wikinger dröhnend. „Arne und die anderen werden herausgehauen, und dann können sich die Dons in Havanna gegenseitig an die Gurgeln gehen. Ist doch klar, oder?“ Beifallheischend blickte er in die Runde.
Etliche Männer nickten zustimmend. Auf den ersten Blick war Thorfins Logik in der Tat bestechend.
Siri-Tong wechselte indessen einen Blick mit dem Seewolf, und er spürte, daß sie seine Gedanken erriet.
„So einfach ist das nicht, Thorfin“, sagte sie laut und vernehmlich. „Lassen wir Hasard weitersprechen.“
Der Seewolf nickte ihr zu.
„Wie gesagt“, fuhr er fort, „die Frage heißt: Wie ist diese Situation in Havanna entstanden? Ich bin überzeugt, daß wir vom Bund der Korsaren unser Quentchen dazu beigetragen haben. Vielleicht haben wir sogar den Ausschlag gegeben.“
„Na, fein!“ rief der Wikinger. „Da können wir doch mächtig stolz sein! Was stehen wir noch herum? Arne raushauen, und dann sollten sie …“ Ein strafender Blick von Gotlinde ließ ihn verstummen. Verlegen kratzte er sich am Helm und senkte die Riesenpranke dann wieder auf den Griff des „Messerchens“, das er vor sich in den Sand gestemmt hatte.
„Erinnern wir uns“, sagte Hasard, „Don Diego de Campos, seines Zeichens Generalkapitän, war geradezu besessen von dem Ziel, uns zur Strecke zu bringen. Er ist in den Tod gesegelt, hat also seine verdiente Strafe gefunden. Das ist die eine Seite der Münze, aus unserer Sicht gesehen. Die andere Seite, aus der Sicht der Bevölkerung von Havanna – in diesem Fall einschließlich von Arne und seiner Mannschaft –, muß man etwas anders betrachten. De Campos hatte in der kubanischen Hauptstadt die vollziehende Gewalt übernommen, nachdem Alonzo de Escobedo wegen Mordes und Amtsmißbrauchs verhaftet worden war.“
„Der Strolch müßte noch im Stadtgefängnis sitzen“, sagte Jean Ribault.
Hasard nickte und fuhr fort.
„Nachdem de Campos vor Santiago de Cuba in den Tod gesegelt ist, scheint das Gouverneursamt in Havanna verwaist zu sein. Wahrscheinlich gibt es keinen vorübergehenden Vertreter. Oder es konnte nicht schnell genug reagiert werden. Auf jeden Fall muß ich aus der Nachricht Arnes den Schluß ziehen, daß der Tod des Generalkapitäns indirekt zu den Unruhen in der Stadt geführt hat.“
Eine Hand reckte sich vorsichtig hoch. Hasard sah es, obwohl der Mann, der sich da zu Wort meldete, weiter hinten stand. Und es hatte fast den Anschein, als ob er diese Wortmeldung gleich wieder zurückziehen wollte.
„Natürlich!“ rief der Seewolf. „Wir haben einen Fachmann für die Beurteilung der Verhältnisse in Havanna. Tritt vor, Antonio de Quintanilla, und sag, was dir auf der Zunge liegt.“
Sie bildeten eine Gasse für den früheren Gouverneur von Kuba, der beim Bund der Korsaren eine tiefgreifende persönliche Wandlung durchlaufen hatte. Niemanden fiel es mehr besonders auf, da man ihn fast jeden Tag sah.
Wenn man sich aber in Erinnerung rief, welch ein Koloß er gewesen war, dann konnte man doch nur staunen. Seine äußere Veränderung vollzog sich mit Riesenschritten. Längst war seine teigige Blässe einer gesunden Bräune gewichen, und wenn er auch noch nicht als schlank zu bezeichnen war, so hatte sich sein Körper insgesamt doch wesentlich gestrafft.
Er folgte der Aufforderung des Seewolfs und trat in die vordere Reihe neben Jean Ribault und die Rote Korsarin.
„Ich will mich nicht als Besserwisser aufspielen“, sagte de Quintanilla, „aber ich möchte behaupten, daß eine gewisse Unruhe in Havanna schon eingesetzt haben könnte, als de Campos mit seinen Galeonen die Stadt verließ. Ich selbst habe ja in der Beziehung unrühmliche Beispiele gegeben. Man braucht nur an die Mäuse zu denken, die in Abwesenheit der Katze auf dem Tisch tanzen. Ohne eine straffe Führung funktioniert in Havanna nichts so, wie es funktionieren sollte. Jeder wirtschaftet nach Kräften in die eigene Tasche, wie ich das auch getan habe. Das höhere Ziel wird dabei leider nicht genügend beachtet.“
Die Mitglieder des Bundes wechselten erstaunte Blicke. Es war beeindruckend, wie freimütig de Quintanilla heute über seine Vergangenheit sprach. Man konnte den Eindruck haben, daß er eine schwere Last abgeschüttelt hatte. Dies war nicht mehr der Mann, der ungeheuren Reichtum zusammengerafft und nur das persönliche Wohlergehen im Auge gehabt hatte. Dies war ein neuer Mensch.
„Ich verstehe“, sagte der Seewolf. „Wer müßte nach den geltenden Bestimmungen kommissarischer Verwalter des Gouverneursamtes werden?“
De Quintanilla brauchte nicht lange zu überlegen.
„Der Nächste im Rang, nach dem Generalkapitän. Das wäre Capitán Marcelo, Don Luis Marcelo, der Kommandant der Stadtgarde. In meinen Augen allerdings ein Mann, der für das Amt absolut ungeeignet ist. Er gilt als heruntergekommener Säufer, der neben dem Alkohol nur Weiber im Sinn hat.“
„Das bedeutet praktisch“, entgegnete Hasard, „daß der Gouverneurssessel so oder so verwaist ist – ob mit Marcelo oder ohne ihn. Hätte de Escobedo eine Chance, die Macht wieder an sich zu reißen, einmal angenommen, der Mob würde ihn aus dem Gefängnis befreien?“
De Quintanilla zog die Schultern hoch.
„Die Frage kann ich nicht eindeutig beantworten. Dabei spielen zu viele Faktoren eine Rolle. Ich traue de Escobedo aber zu, daß er jede Chance nutzt, die sich ihm bietet. Je nach den Umständen wird man also mit ihm rechnen müssen.“
Hasard bedankte sich mit einer Handbewegung bei dem ehemaligen Gouverneur. Antonio de Quintanilla senkte den Kopf und zog sich wieder an seinen ursprünglichen Platz in den hinteren Reihen zurück.
Für den Seewolf war es nun eindeutig, wie sich die Dinge in Havanna entwickelt hatten. Wo keine vollziehende Gewalt die Macht ausübte, fing es in der Gosse stets an zu brodeln. Das geschah in Havanna nicht zum ersten Male. Da wurden Elemente freigesetzt, die die Gunst der Stunde zu nutzen gedachten und nichts anderes mehr in ihren Köpfen hatten als die Gier nach Beute. Mittels des Faustrechts ging man an das große Abräumen, die persönliche Bereicherung war das alleinige Ziel.
Gewiß mußte der Bund der Korsaren diese Entwicklung letztlich begrüßen. Vielleicht konnte man es sogar als einen gewollten Effekt bezeichnen. Denn alles, was Spanien schadete, war ein Erfolg für den Bund. Die Knechtung der Menschen in der Neuen Welt und die rücksichtslose Ausbeutung ihres Landes durch die Spanier rechtfertigte eine Menge Mittel im Kampf gegen sie.
Aber