Название | In einem Monat, in einem Jahr |
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Автор произведения | Sagan |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783945386248 |
»Béatrice hofft, in dem nächsten Stück von X eine kleine Rolle zu bekommen«, sagte Fanny. »Reichten die Sandwiches?«
Um ihren Montagsempfang zu sichern, mussten die Maligrasse finanzielle Gewaltakte vollbringen. Als Whisky Mode wurde, bedeutete das für sie eine Katastrophe.
»Ich glaube«, sagte Alain. Er blieb auf dem Bettrand sitzen, seine Hände hingen zwischen den mageren Knien herab. Fanny betrachtete ihn voller Zärtlichkeit und Mitleid.
»Dein kleiner Vetter aus der Normandie kommt morgen«, sagte sie. »Ich hoffe, dass er ein reines Herz hat, eine große Seele, und dass Josée sich in ihn verliebt.«
»Josée verliebt sich in niemanden«, sagte Alain. »Vielleicht könnten wir versuchen, zu schlafen?«
Er nahm das Tablett von den Knien seiner Frau, küsste sie auf die Stirn, auf die Wange und legte sich wieder hin. Er fror trotz der Zentralheizung. Er war ein alter Mann, der fror. Und die ganze Literatur nützte ihm nichts.
*
»In einem Monat, in einem Jahr,
wie werden wir leiden!
Herr, dass so viele Meere mich von Euch scheiden!
Dass der Tag beginne, der Tag wieder gehe
Und Titus gleichwohl Bérénice nicht sehe.«
Béatrice stand im Morgenrock vor dem Spiegel und betrachtete sich. Die Verse fielen aus ihrem Munde wie Blumen aus Stein (»Wo habe ich das nur gelesen?«), und sie fühlte, wie unendliche Traurigkeit sie überkam. Zugleich mit einem gesunden Zorn. Schon fünf Jahre lang rezitierte sie Bérénice; erst für ihren Ex-Gatten und seit Kurzem für ihren Spiegel. Sie hätte gern vor diesem dunklen, schäumenden Meer, dem Zuschauerraum eines Theaters, gestanden, nur um zu sagen: »Madame, es ist angerichtet«, wenn es wirklich nichts anderes für sie geben sollte.
»Dafür würde ich alles tun«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, und das Spiegelbild lächelte ihr zu.
*
Der Cousin aus der Normandie aber, der junge Edouard Maligrasse, bestieg eben den Zug, der ihn in die Hauptstadt bringen sollte.
ZWEITES KAPITEL
Bernard erhob sich zum zehnten Mal an diesem Morgen von seinem Stuhl, ging zum Fenster und lehnte sich hinaus. Er konnte nicht mehr. Schreiben demütigte ihn. Das, was er schrieb, demütigte ihn. Als er die letzten Seiten noch einmal durchlas, überkam ihn ein unerträgliches Gefühl der Zwecklosigkeit. Da stand nichts von dem, was er sagen wollte, nichts von dem, was er manchmal als wesentlich zu erkennen glaubte. Bernard verdiente sich sein Leben mit Kritiken für Zeitschriften und mit Lektoraten für ein paar Zeitungen und für den Verlag, in dem Alain arbeitete. Er hatte vor drei Jahren einen Roman veröffentlicht, den die Kritik als »farblos, mit gewissen psychologischen Qualitäten« bezeichnet hatte. Er wünschte sich zwei Dinge: einen guten Roman zu schreiben und, seit Kurzem, Josée. Jedoch die Worte ließen ihn weiterhin im Stich, und Josée war verschwunden. Manchmal packte sie plötzlich irgendeine Neigung für ein Land oder für einen Burschen – wofür, wusste man nie genau –, und sowohl das Vermögen ihres Vaters als auch ihr Charme erlaubten ihr eine umgehende Befriedigung ihrer Launen.
»Geht’s nicht?«
Nicole war hinter ihn getreten. Er hatte sie gebeten, ihn arbeiten zu lassen, aber unter dem Vorwand, dass sie ihn nur vormittags sehe, kam sie ununterbrochen in sein Arbeitszimmer, sie konnte nicht anders. Er wusste es, begriff aber nicht, dass sie ihn sehen musste, um leben zu können, dass sie ihn, nach drei Jahren, täglich mehr liebte – es erschien ihm fast ungeheuerlich. Denn sie zog ihn nicht mehr an. Nur an das Bild, das er von sich selber aus der Zeit ihrer Liebe in Erinnerung hatte, dachte er gern und an die merkwürdige Entschlossenheit, sie zu heiraten. Entschlossenheit bei ihm, der seither nie mehr irgendeinen festen Entschluss hatte fassen können!
»Nein, es geht überhaupt nicht. So, wie ich die Sache anfange, besteht auch wenig Aussicht, dass es je gehen wird.«
»O doch, ich bin überzeugt davon.«
Dieser zärtliche Optimismus in Bezug auf seine Person reizte ihn mehr als alles andere. Wenn Josée das gesagt hätte oder Alain, hätte es ihm vielleicht ein gewisses Selbstvertrauen gegeben. Aber Josée verstand nichts von Büchern, wie sie selber zugab, und Alain ermutigte ihn zwar, tat aber sehr keusch mit der Literatur. »Das Wesentliche ist das, was man nachher sieht«, sagte er. Was sollte das um alles in der Welt heißen? Bernard tat, als ob er es verstünde. Aber dieses ganze Gefasel ärgerte ihn. »Schreiben bedeutet ein Blatt Papier, einen Federhalter und den Schatten einer Idee für den Beginn«, sagte Fanny. Er hatte Fanny sehr gern. Er hatte sie alle sehr gern. Er liebte niemanden. Josée reizte ihn. Er musste sie haben. Das war alles. Genug, um sich umzubringen.
Nicole war immer da. Sie machte Ordnung, sie verbrachte ihre Zeit damit, die sehr kleine Wohnung, in der er sie den ganzen Tag allein ließ, aufzuräumen. Sie kannte weder Paris noch die Literatur; beide erweckten in ihr Bewunderung und Schaudern. Ihr einziger Schlüssel zu all diesen Dingen war Bernard, und er entglitt ihr. Er war intelligenter als sie und anziehender. Man bemühte sich um ihn. Und sie konnte gegenwärtig keine Kinder bekommen. Sie kannte nur Rouen und die Apotheke ihres Vaters. Bernard hatte ihr das einmal gesagt, und dann hatte er sie angefleht, ihm zu verzeihen. In solchen Augenblicken war er schwach wie ein Kind, den Tränen nahe. Aber seine überlegten Grausamkeiten waren ihr lieber als die große, tägliche Grausamkeit, wenn er nach dem Mittagessen fortging, sie zerstreut küsste und erst sehr spät wieder nach Hause kam. Bernard und seine Ruhelosigkeit waren für sie immer ein erstaunliches Geschenk gewesen. Man heiratet keine Geschenke. Sie konnte ihm deshalb nicht böse sein.
Er blickte sie an. Sie war recht hübsch, recht traurig.
»Willst du heute Abend mit mir zu den Maligrasse gehen?«, sagte er weich.
»Ja, gern«, sagte sie.
Auf einmal sah sie glücklich aus, und Bernard wurde von Reue gepackt, aber es war eine so alte, so abgenützte Reue, dass sie nie lange anhielt. Und er riskierte ja auch nichts damit, sie mitzunehmen, Josée würde nicht da sein. Josée hätte ihn nicht beachtet, wenn er mit seiner Frau gekommen wäre. Oder aber sie hätte nur mit Nicole gesprochen. Sie täuschte gern Gutmütigkeit vor, ohne zu wissen, dass dies überflüssig war.
»Ich werde gegen neun Uhr vorbeikommen und dich abholen«, sagte er. »Was machst du heute?«
Dann, da er wusste, dass sie nichts antworten konnte, sagte er schnell:
»Vielleicht kannst du dieses Manuskript für mich lesen, ich komme ja doch nie dazu.«
Er wusste sehr gut, dass es völlig sinnlos war. Nicole hatte einen derartigen Respekt vor dem geschriebenen Wort, eine solche Bewunderung für die Arbeit anderer, so unzulänglich sie auch sein mochte, dass sie nicht zu dem geringsten kritischen Urteil fähig war. Überdies würde sie sich verpflichtet fühlen, das Manuskript zu lesen, in der Hoffnung, ihm vielleicht einen Dienst zu erweisen. Sie wäre so gern unentbehrlich,