Название | Katholisches Medienhandbuch |
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Автор произведения | Andreas Busch |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766642097 |
Dieser Titel – mittellateinischer Provenienz68 – ist seit Anbeginn selbst theologisch und liturgisch hoch aufgeladen: Es gibt Zeugnisse, nach denen in der Epoche der Gegenreformation im Streit um die Verehrung von Gnadenbildern die Präsenz Christi im eucharistischen Brot als „realiter“, die Gegenwart etwa der Gottesmutter in einem Gnadenbild als „in virtute“ bezeichnet wurde.69 Heute bezeichnet er dabei so etwas wie eine „quasi göttliche Macht, die Welt zu konstruieren“70, die sich aus der dezidiert angestrebten Entdifferenzierung von Schein und Sein, Wirklichkeit und Fiktion speist.71 Diese Denkfigur, in durch nichts begrenzter Freiheit zu wissen, zu tun und zu sein, was immer sich der Geist vorstellen kann, hat dabei nicht nur ein Vorausbild in dem mittelalterlichen Theologumenon, dass Gott dadurch etwas erschaffe, dass er es erkenne. Weit dahinter zurück beziehen sich einschlägige Cyber-Autoren und -Kritiker höchst komplex auf diejenige biblische Erzähltradition, mit der die sogenannte Urgeschichte im Buch Genesis endet und die bereits innerbiblisch und dann in der theologischen Tradition exzessiv mit dem medialen Spitzenereignis des Neuen Testaments verknüpft ist. Es geht um den Weg von Babel nach Pfingsten.
Die Erzählung des Turmbaus von Babel bildet das so furiose wie desaströse Finale der ersten zwölf Kapitel der Bibel, die allem anderen, was noch kommt, vorgeschaltet sind: Anhebend mit der Erzählung vom Sündenfall in Genesis 3 kommt eine regelrechte Lawine des Unheils und des Bösen in Gang, von Kains Brudermord und den Gewaltexzessen in den nachfolgenden Generationen, die auch das Ritardando der Sintflut nicht aus der Welt zu schaffen vermag, bis hin zu jenem Entschluss der Menschheit, sich durch die Errichtung eines himmelragenden Bauwerks einen Namen – und also sich selbst zu etwas – zu machen. In der biblischen Tradition veranlasst die menschliche Selbstermächtigung zu gottgleichem Ineinsfall von Ersinnen und Ausführen den Schöpfer, die Sprache der Menschen zu verwirren (vgl. Genesis 11,7–9). Das cybertheoretische Selbstverständnis geht im Windschatten einer viel längeren okzidentalen Traumtradition vollkommener Kommunikation in die genau entgegengesetzte Richtung: Der babylonischen „Infokalypse“72 im Sinn einer Explosion von Sprachen und Informationssystemen in eine reziproke Unbegreifbarkeit soll – wenigstens der Intention nach – mit dem Gegenprojekt widerstanden werden, durch die Verknüpfung aller mit allen und die Verbreitung eines für alle verständlichen Codes, der mehr mit Icons als mit Wörtern arbeitet, alle Kommunikationsbarrieren aufzuheben und so linguistisch gesehen in einen präbabylonischen, also adamitischen Status zurückzufinden.
Nicht wenigen Cybertheoretikern ist dabei klar, dass sie auch mit einer solchen Revision Babels nochmals ein jüdisch-christliches Grundmotiv aufnehmen. Schon Theologen in der Frühzeit der Kirche hatten vom Buch Genesis einen kühnen Bogen in die neutestamentliche Apostelgeschichte geschlagen und das dort erzählte Pfingstereignis als Anti-Typos – d. h. als Aufhebung und Heilung – des Kommunikationsdesasters von Babel gelesen. Genau diese Hoffnung, dass die ganze Menschheit einmal durch die elektronischen Medien verbunden werde und damit soziale Brüche und Spezialwissen (das immer auch Herrschaftswissen ist) verschwänden und letztendlich eine Himmlische Stadt, ein neues Jerusalem heraufziehe, hat schon der gern als Medienpapst titulierte Marshall McLuhan formuliert.73
„Der Glaube an ein solches Pfingstfest der Vereinigung der Menschheit durch das Wegfallen aller Trennungen, in der Romantik noch von einer neuen Religion oder Mythologie, danach als Folge der gesellschaftlichen Revolution und der Auflösung des Eigentums an Produktionsmitteln erwartet, stellt sich für die Cyberkultur, kämpft man nur gegen etwaige staatliche oder kommerzielle Beeinflussungen, durch die Technik des anarchistischen, dezentralen Netzes von selbst her.“74
Allerdings ist mit dieser politischen Dimension die telematisch fundierte Technotheologie noch nicht ausgeschöpft. Sie hat nämlich so etwas wie eine kosmotheologisch-naturphilosophische Kehrseite höchster Brisanz. Die wird am direktesten darin greifbar, dass die Symbolik des Neuen Jerusalems – das ist ja eine Orts-Kategorie – zugleich als erstrangige Bedeutungsquelle für das wohl zentralste, in jedem Fall populärste Bild der Telematik fungiert: den Cyberspace. Ohne die explosive Mythologie75 dieses Konzepts an dieser Stelle auch nur im Elementaren ausloten zu können, soll nachfolgend lediglich der wohl frappierendste Zug von Technospiritualität am Cyberspace-Konzept beleuchtet werden, der die gesuchte naturphilosophische Dimension der Telematik grundlegt.
Eine bündige Definition von „Cyberspace“, die konsensfähig wäre, gibt es nicht mehr (wenn es sie je gegeben hat). Jedoch kann man sagen, dass zur Cyberspace-Idee auch Profilzüge gehören, die aus einer Verknüpfung von Theologie und Evolutionstheorie hervorgehen. Dafür steht wie kein anderer der katholische Theologe und Paläontologe Teilhard de Chardin (1881–1955), der – kirchenamtlich argwöhnisch beäugt – gegen die Mitte des 20. Jahrhunderts mit seiner naturwissenschaftlich-philosophisch-theologischen Hypothese von der Noosphäre, einer immer intensiver werdenden, den Globus umspannenden Vernetzung menschlicher Intelligenz, Furore machte und zu einer Art Kultautor der Cyberszene avancierte – in diese übrigens eingeführt von dem bereits erwähnten Marshall McLuhan.76 Diese Zusammenführung von Natur-, Bewusstseins- und Technikgeschichte setzt weder philosophiehistorisch noch naturwissenschaftlich im luftleeren Raum an.77 Zum einen steht für Teilhard Blaise Pascal (1623–1662) mit der Idee eines medial (nämlich durch das Buch) getragenen Fortschritts der universalen Menschheit Pate. Und Ähnliches gilt für Auguste Comte (1798–1857) mit seiner Idee von der ganzen Menschheit als eines auf seine empirischen Gesetzmäßigkeiten hin analysierbaren realen Organismus. Auf naturwissenschaftlicher Seite konzipiert Teilhard einen Evolutionsgedanken, der einen Übergang zwischen Natur und Technik einbegreift, sofern die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen ein biologisches Ereignis sei, das „[…] von nun an jedes Individuum (aktiv und passiv) auf allen Meeren und Kontinenten gleichzeitig gegenwärtig […]“78 sein lasse. Sofern das einen Prozess zunehmender Vergeistigung darstelle, führe er zu einer Purifikation des Geistes und erlaube über den instrumentellen Einsatz des Computers (an den Teilhard selbst wohl bereits dachte) eine Evolutionsplanung und -steuerung in Absicht einer „Auto-Cerebralisation der Menschheit“.79
Mit diesem Selbstverständnis der Cyberphilosophy geht eine geradezu naturwüchsige Form von Religionskritik, namentlich einer solchen des Christentums, einher, sofern diesem im Blick auf seine Solidarität gerade mit den Schwachen vorgeworfen wird, den technisch-kulturellen Fortschritt zu behindern. Dem entgegen gehe es vielmehr darum, die fehleranfällige „wetware“ (Feuchtausstattung/„Wassersack“) der menschlichen Leiblichkeit so weit wie irgend möglich auszuschalten und den zum Signum des 20. Jahrhunderts gewordenen „Sturz der Materie“ – so im berühmten „Cyber-Manifesto“ – konsequent fortzusetzen.
Genau in den damit von Teilhard eröffneten Raum einer Überschreitbarkeit des Biologischen schießen im Gang der Cyberphilosophy ganze Bündel von Theoremen und Programmen ein, die darauf abzielen, den Menschen und seine intellektuellen Kapazitäten von biologischen Hemmschuhen zu befreien und damit neben dem politischen Reich der Freiheit auch die Befreiung von der Physis verheißen.80 Das sind all die Projekte, die an einer postbiologischen Menschheit laborieren, häufig wie mehr oder weniger gute Science Fiction auftreten – und sich trotzdem auf oft verblüffende Weise