Mudlake - Willkommen in der Hölle. M.H. Steinmetz

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Название Mudlake - Willkommen in der Hölle
Автор произведения M.H. Steinmetz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961881437



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und sah, dass die Gardine hinter dem Fenster neben der Fliegentür zur Veranda wackelte. Sie bekam eine Gänsehaut, während sie sich vorstellte, von drinnen beobachtet zu werden. Kurz darauf öffnete sich quietschend die innere Tür und die Fliegentür schwang nach außen. Eine Frau mittleren Alters trat auf die Veranda. Sie war groß und schlank und sah in dem schwarzen, mit roten Rosen bedruckten Kleid gut genug aus, dass einer der Jungs durch die Zähne pfiff. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, hatte sie die Vierzig bereits hinter sich. Ein harter Zug umspielte ihre Mundwinkel, ihre Augen wirkten klar, aber streng. Das blonde Haar fiel in leichten Locken über ihre Schultern und hatte einen dezenten grauen Schimmer.

      »Das ist Mrs. Iversson, Kinder«, stellte Schwester O’Hara die Frau vor.

      »Dann müssten Sie Schwester O’Hara vom New Yorker Waisenhaus sein«, stellte die Frau fest, überquerte die überdachte Veranda und stieg die drei Stufen zu der Ordensfrau herunter, um ihr die Hand zu geben. Dann drehte sie sich zu den versammelten Jugendlichen um. »Und ihr seid die Gören, die mal Landluft schnuppern wollen, ja?«

      Mrs. Iverssons Stimme hatte diesen rauen Klang von zu vielen Zigaretten und einer Menge Alkohol und wollte nicht zu ihrem adretten Äußeren passen. Hope warf Lissy einen fragenden Blick zu, sagte aber nichts. Selbst die Dumpfbacke Brady hielt für den Moment die Klappe.

      »Das White House Inn ist mein Haus«, begann Mrs. Iversson ihre Ansprache. »Es steht auf meinem Grund und Boden. Die Regeln sind einfach.« Ihr Blick wanderte über die verschwitzte, müde Schar und blieb an Jason haften, der sich die letzte Zeit über unauffällig verhalten hatte. In einer Weise, dass Hope ihn fast vergessen hätte.

      »Es gibt Dreierzimmer für die Jungs und ebenso für die Mädchen. Auf jeder Etage gibt es ein Badezimmer mit heißem und kaltem Wasser. Dort findet ihr auch die Toiletten«, erklärte die Iversson.

      »Die Mädchen schlafen oben, die Jungs im Erdgeschoss. Wer sich mit wem ein Zimmer teilt, liegt ganz bei euch … Seid alt genug, um das selbst auf die Reihe zu bekommen«, ergänzte Schwester O’Hara. Die Frauen standen jetzt nebeneinander und Hope stellte fest, dass beide dieselben verkniffenen Fältchen um die Augen hatten.

      »Zweihundert Meter die Straße runter gibt’s ’nen kleinen Laden, wenn ihr was braucht«, erklärte Mrs. Iversson.

      Brady und Jamie stießen sich mit den Fäusten an und grinsten.

      »Das ist das Stadtzentrum, dort spielt sich unser Leben ab. Es gibt das Hawkeye und das JD’s, wo man essen und trinken kann.« Mrs. Iversson nickte, als wären es lohnenswerte Ziele. »Und wir haben ein Kino. Es ist klein und hat ’nen schlechten Sound, aber es ist ’ne nette Abwechslung …«

      Brady hob die Hand und schnippte mit den Fingern. »Hab da mal ’ne Frage, Ma’am!«

      Schwester O’Hara nickte, bedachte ihn aber mit einem warnenden Blick. »Nur zu, Brady.«

      »Okay … was läuft’n für’n Programm?«

      »Wir werden nicht lange genug hier sein, um das herauszufinden«, stellte Schwester O’Hara mit wissendem Unterton fest.

      Mrs. Iversson lächelte verschmitzt. »Heute ist Nachtvorstellung. Star Wars!«

      Brady stieß Jamie an und grinste. »Bingo!«

      Cherryl setzte ihr Unschuldslächeln auf und hob die Hand. »Schwester O’Hara?«

      »Ja, Kindchen?«

      Cherryl seufzte bedrückt. »Das ist doch sozusagen unsere Abschlussfahrt, nicht wahr?«

      »So kann man es sagen, ja.«

      »Wäre es da nicht nett, wenn Sie uns, na ja … mehr Freiraum gönnen würden? Ich meine, wir sind alt genug, um zu wissen, was …«

      Schwester O’Hara hob die Hand und unterbrach sie in ihrem Redefluss. »Brauchst nicht weiterzureden, Cherryl, ich habe verstanden.« Ihr strenger Blick streifte über die erwartungsvollen Gesichter. Und es war tatsächlich ein Zwinkern, mit dem sie ihren nächsten Satz ankündigte. »Dann will ich mal Gnade vor Recht walten lassen und gewähre euch Ausgang bis elf Uhr.«

      Brady sprang in die Luft. »Yeah, wie geil ist das denn?«

      Cherryl stieß Hope in die Rippen. »Höre und lerne von der Meisterin, Baby!«

      Lissy kicherte albern und Jamie grinste wie ein Honigkuchenpferd. Die anderen stießen einander an und lachten.

      Hope war darüber erleichtert, weniger Zeit in dem unheimlichen Haus verbringen zu müssen.

       Taschen hochbringen, frisch machen und sehen, was geht …

      Beunruhigend war allerdings der Blick, den Schwester O’Hara mit Mrs. Iversson wechselte. Die beiden Frauen schien etwas zu verbinden, eine Bekanntschaft vielleicht, obgleich dies recht unwahrscheinlich war. Dann war der Moment vorbei und Hope schlüpfte hinter den anderen Mädchen in die muffige Düsternis jenseits der Fliegentür. Sie tauchte in etwas Weiches ein, das sie vollends in sich aufnahm. Das White House Inn atmete sie ein.

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1976

      McCall’s Prairie Market and Store

      Vivian stand auf dem Gehweg vor dem McCall’s Prairie Market and Store und genoss die laue Luft der Nacht. Grillen zirpten in den Büschen und irgendwo bellte ein Hund. Nicht mehr lange, und der Mond würde über die Dächer der Häuser kriechen und alles in sein kaltes, silbernes Licht tauchen. Bis dahin musste das Licht der Straßenlaternen reichen, um zu sehen, was abging. Das Geplapper vieler Stimmen hatte sie nach draußen gelockt. Der Bus, der seit Tagen das Thema Nummer eins war, hatte Purgatory endlich erreicht. Er parkte vor dem White House Inn und spie einen Schwall Teenager auf den Platz vor dem viktorianischen Haus. Die Iversson stand neben einer Nonne und unterhielt sich mit ihr in dieser unangenehm ausladenden Art, die Vivian nicht mochte. Die Ordensfrau wirkte hingegen ruhiger, schien die Aufsichtsperson der Jugendlichen zu sein.

       Die Iversson … ’ne unberechenbare Irre …

      Auf eine gewisse Weise tat Vivian die Ausflugsgruppe leid. Im White House Inn ging es nicht mit rechten Dingen zu. Die alte Ruth behauptete, dass in der Kirche der Geist eines Dämons hauste, der Gutes ins Böse kehrte. Im White House Inn schlug jedoch sein Herz. Darunter, vom schwarzen Grund verborgen, wucherten armdicken Strängen gleich die pulsierenden Adern, die alles verbanden. Durch die das Böse in jedes verdammte Haus fließen konnte. Vivian schüttelte über solchen Schwachsinn nur den Kopf. Das White House war eine Absteige, in die sich nur selten Reisende verirrten, aber es war mit Sicherheit kein Horrorhaus. Wer durch Purgatory fuhr, biss lieber die Zähne zusammen und sah zu, dass er Sioux Falls oder in der anderen Richtung Sioux City erreichte, anstatt hier anzuhalten. Dennoch prahlte die Iversson damit, dass in ihrer Honeymoon Suite, die nach vorne raus auf den Balkon ging, viele Kinder gezeugt worden seien. Vivian stieß die Prahlerei ab. Sie hatte mit ihrem Dad darüber geredet, doch der lachte nur wissend und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Gib nicht viel auf das Geschwätz der Iversson, die hat nicht mehr alle Tassen im Schrank«, hatte er gesagt. Damit war die Sache für ihn abgetan. Ganz geglaubt hatte sie ihm nicht, denn die Iversson hatte ihre Finger viel zu tief in den Machenschaften Purgatorys drin und war zudem eng mit den Carlins befreundet, die wie die McCalls eine der alten, einflussreichen Familien bildeten.

       Ich werde das Quäntchen Wahrheit unter all dem Dreck finden – und wenn ich bis ans andere Ende der Welt graben muss!

      Sie beobachtete, wie die Jugendlichen ihre Rucksäcke und Taschen aus dem Bauch des Busses zogen und über die Veranda das Haus betraten.

      Wärt besser weitergefahren … Das hier ist kein Platz für euch. Ihr werdet begreifen, was ich meine, wenn es Nacht wird in Purgatory.

      Einer