Mudlake - Willkommen in der Hölle. M.H. Steinmetz

Читать онлайн.
Название Mudlake - Willkommen in der Hölle
Автор произведения M.H. Steinmetz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961881437



Скачать книгу

Boden ist hier unheimlich schwarz …

      Sie hatte gedacht, dass er in Iowa rot sei. Warum, wusste sie nicht mehr. Womöglich, weil hier Indianer lebten. Stattdessen war er schwarz und erinnerte sie an Lavagestein.

       Toter Boden, unter dem Böses gärt …

       Ein Wirbel aus schwarzen Vögeln über einer Stadt, in der das Böse regiert …

       Ein Prediger des falschen Gottes, der das Obere nach unten kehrt …

       Ein See voll mit schwarzem Schlamm, der den Boden unter dem Mais gebiert …

       Schweinedung und Leichenasche …

      Hope schrak aus einer Art Trance auf, schüttelte den Kopf, um ihre wirren Gedanken zu vertreiben. Es kam oft vor, dass Mist wie dieser in ihrem Kopf herumspukte.

       Reflexionen meiner verkorksten Kindheit …

      Hope wurde von Visionen heimgesucht, seit sie denken konnte. Ihre früheste Erinnerung reichte in ein Kinderheim in den Sümpfen Louisianas zurück, wo sie die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Ihre Fragen nach ihren Eltern blieben unbeantwortet, nach dem Warum natürlich auch. Angeblich hatte man eines Morgens vor der Tür einen Korb und einen Koffer gefunden. Im Korb lag sie, der Koffer war abgesehen von einem handbeschriebenen Zettel leer. Sie kannte die eilig hingekritzelten Worte auswendig.

       Hope Cannary Burke … geboren an einem verregneten Freitag in Butte La Rose, Louisiana …

      Abgestellt wie Müll, den man loswerden wollte, weil er störte. Im Kinderheim machte man ihr nachdrücklich klar, dass sie, anstatt unnütze Fragen zu stellen, zu arbeiten hatte, um ihren Beitrag zu leisten. Also hielt sie ihren Mund und fraß beim Bodenschrubben oder Bettenbeziehen alles in sich hinein, bis sich eine imaginäre Halde aufgetürmt hatte, die schwarz und hoch war. Während die anderen Kinder wenigstens Erinnerungen mitbrachten, hatte sie nichts. Sie schuf sich ihre eigene Welt. Eine Welt der Träume, in die sie sich nach Belieben zurückzog. Doch ihre Welt machte sich selbstständig. Was sie anfangs kontrollierte, entglitt nach und nach ihrer Kontrolle. Die Träume wandelten sich in pures Chaos, das Bilder schuf, die sie nicht deuten konnte. Mit zwölf lief sie aus Louisiana weg und ging nach New York, weil die Visionen in ihrem Kopf es ihr befohlen hatten. Hope ließ sich von den Bildern leiten, gab sich ihnen hin, weil es das Einzige war, was sie hatte.

       Ich sehe hier nicht einen verdammten schwarzen Vogel … hab am Ende noch ’n Hitzschlag, wenn ich an solchen Mist denke …

      Als nichts mehr kam, zog sie ihr Höschen hoch und den Jeansmini runter, damit er ihren Hintern bedeckte. Sie wollte bereits wieder zu den anderen gehen, doch sie hörte ein seltsames Geräusch in ihrem Rücken: ein Knacken im Mais, gefolgt von einem flüchtigen Rascheln. Hopes Magen krampfte, weil ihr die Kurzgeschichte von Stephen King in den Sinn kam, die sie letzte Nacht gelesen hatte.

       Kinder des Mais …

       Kinder mit beschissenen weißen Augen, die einfach nur dastehen und dich anstarren …

      Dieser Blödmann Brady hatte ihr die Readers-Digest-Ausgabe vom Juni gegeben und behauptet, die Geschichte wäre eine coole Einstimmung für den Trip nach South Dakota. Dass es sich dabei um Horror handelte, hatte er ihr verschwiegen. Dennoch hatte sie die Geschichte bis zum Ende gelesen, einfach weil sie wissen musste, wie sie ausging. Und nun saß sie in einem Maisfeld und rechnete damit, eins dieser Psychokinder zu Gesicht zu bekommen.

       Dieser kleine Scheißer …

      Womöglich saß einer der Jungs aus dem Bus im Mais und biss sich in die Handballen, um nicht laut aufzulachen. Es raschelte wieder. Gleichmäßig und leise. Etwas pirschte sich an sie heran. Ebendiese Gleichmäßigkeit ließ sie den Wind von vornherein ausschließen.

       Könnte ein Hase sein … oder ein Einheimischer, der uns beobachtet hat und sich jetzt Gott weiß, was tut … scheiß Spanner …

      Egal, was es sein würde, es war ihr äußerst unangenehm. Hope glaubte, Blicke zu spüren, die sie fixierten. Da war es wieder: ein Rascheln; Stauden, die sich bewegten. Es schien sie zu umkreisen wie ein Tier, das den besten Platz zum Angriff suchte. Hope schluckte.

       Wenn es zwischen mich und die Straße gelangt, schneidet es mich von den anderen ab … treibt mich weiter ins Maisfeld hinein …

      Sie sprang auf. Ihr Stiefel platschte in die entstandene Pfütze, doch das war ihr gleich. »Lissy, Cherryl, wartet auf mich!« Hope spurtete los. Sie rannte, weil sie dachte, die durchgeknallten Kinder wären hinter ihr her. Sie machte dabei eine Menge Lärm, brach Stauden ab und fiel sogar hin, doch sie rannte weiter. Die Reihen öffneten sich und sie fand sich auf der Straße wieder. Hope blieb stehen und drehte sich mit klopfendem Herzen um. Tiefer im Feld wankten Stauden. Es entfernte sich – oder war es nur der Wind, der den Mais bewegte?

       Nie wieder lese ich solchen Kram … nie wieder! Zur Hölle mit dir, Brady Potts!

      »Alles in Ordnung, Baby?« Lissy kam zu ihr, berührte sie an der Schulter. Sie blies in der für sie typisch nervösen Art den Zigarettenrauch aus.

      »Da war was im Mais«, keuchte Hope aufgeregt. »Gibst du mir ’ne Kippe?«

      Lissy hielt ihr ihre hin. »Sicher nur ’n bescheuertes Reh, das dir beim Pinkeln zugesehen hat …«

      »Toll«, stellte Hope fröstelnd fest. »Find’s nicht gerade angenehm, dabei von ’nem Tier beobachtet zu werden.«

      Kurz darauf standen Hope und ihre Freundinnen am Straßenrand und sahen Mister Kindermann dabei zu, wie er neben dem Motorrad kniete und daran herumfummelte. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung. Hope hatte sich wieder beruhigt. Sie stöhnte und verdrehte die Augen. »Zur Hölle, ich kann seine behaarte Arschfalte sehen.« Dankbar nahm sie die bereits angezündete Zigarette aus Lissys Hand entgegen, steckte sie sich zwischen die Lippen und inhalierte den Rauch. Eine weiße Wolke blieb zurück und sie schielte zu dem jungen Mann, der neben der O’Hara mit gerunzelter Stirn dastand und ebenfalls auf Kindermanns Arschfalte sah. Cherryl hatte recht. Der Typ war süß, obgleich ihm eine Dusche guttun würde, staubig und verschwitzt, wie er war. Er hatte ein verschmitztes Lächeln und strich sich mit einer schüchternen Geste die halblangen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht.

       Der ist absolut heiß …

      Bevor ihr Kopfkino zu sehr auf Touren kam, holte ein harter Stoß gegen die Schulter sie in die Wirklichkeit zurück. Cherryl!

      »Hab’s doch gewusst … unsere kleine Hope hat ein Auge auf den Biker geworfen«, feixte sie augenzwinkernd.

      »Blöde Kuh!« Hope blies ihr den Rauch der Zigarette ins Gesicht und ging zu der Ordensschwester, weil sie sich ertappt fühlte. »Hab über was anderes nachgedacht«, log sie.

      »Schwester O’Hara?«

      Die Lehrerin drehte sich zu ihr um und sah sie mit ihren kalten blauen Augen an. Die Frau war eine Schönheit, auch wenn Fältchen ihre Augen umspielten und sie einen harten Zug um den Mund hatte, der an Verbissenheit grenzte. »Hope, alles in Ordnung? Bist ein bisschen blass um die Nase.«

      »Ja, alles gut«, druckste Hope herum. Es war ihr plötzlich peinlich, sie angesprochen zu haben. »Wollt nur wissen, wann’s endlich weitergeht. Wir schwitzen alle und, na ja, Hunger haben wir auch.«

      »Tut mir schrecklich leid, Schätzchen. Mister Kindermann tut, was er kann.«

      Und das ist nicht besonders viel, dachte Hope.

      Schwester O’Hara drehte sich zu Kindermann um und tippte ihm auf die Schulter. Sie schwitzte stark und schien ebenfalls wenig begeistert von dem Aufenthalt auf der brütend heißen Straße zu sein. »Kann ich Sie mal kurz sprechen, ja?«

      Kindermann erhob sich grunzend.