Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

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Название Musikergesundheit in der Praxis
Автор произведения Claudia Spahn
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783894878191



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      Das Sehen spielt für die Musikausübung eine wichtige Rolle, da es sowohl für das Notenlesen als auch für die Kommunikation mit den Mitspielern notwendig ist. Auch werden Spielbewegungen bei manchen Instrumenten phasenweise optisch kontrolliert, z. B. Lagenwechsel auf manchen Streichinstrumenten oder Tonsprünge auf dem Klavier. Die optische Wahrnehmung der eigenen Person im Spiegel während des Übens oder auf Videoaufnahmen zur Kontrolle der Bühnenpräsenz ermöglicht außerdem wichtige Aspekte musikalischen Lernens. Anders als das Gehör ist das Auge keinen spezifischen Risiken durch die Musikausübung ausgesetzt. Schlechtes subjektives Sehen bei geringer Beleuchtung wird zwar verständlicherweise als störend empfunden, reduzierte Beleuchtung kann aber die Augen nicht funktionell oder strukturell schädigen (Grehn 2011). Es geht demnach hauptsächlich darum, für optimale Sehbedingungen in der Musiziersituation zu sorgen. Dies sollte bei Funktionseinschränkungen des Sehens durch individuelle Maßnahmen – im Rahmen einer augenärztlichen Behandlung – erfolgen. Gleichzeitig sollte beim Musizieren nach Noten darauf geachtet werden, dass der Spieler gute Voraussetzungen für das Lesen des Notentextes und für das Zusammenspiel herstellt.15

      Akkommodation und Scharfsehen

      Das Auge enthält in seinem vorderen Abschnitt eine optischen Blende: Durch zwei verschiedene Muskeln in der Aderhaut kann sich ihr Rand, die Pupille, bei geringer Lichtstärke erweitern bzw. bei großer Lichtstärke verengen. Direkt hinter der Aderhaut befindet sich die Linse, die je nach Alter eine unterschiedliche Elastizität und damit eine entsprechend unterschiedliche Brechkraft für die einfallenden Lichtstrahlen aufweist. Die Eigenschaft der Linse, Objekte in unterschiedlicher Entfernung scharf einstellen zu können, bezeichnet man als Akkommodationsfähigkeit (von lat. accommodare, »anpassen«). Junge Menschen können Objekte in einer Entfernung von etwa 7 cm (Nahakkommodation) bis zu einer unendlichen Reichweite (Fernakkommodation) scharf stellen. Im Alter von 40 Jahren beträgt die Nahakkommodationsfähigkeit noch etwa 13 cm vor dem Auge. Um das 50. Lebensjahr wird dann »der Arm zu kurz«, um noch in der Nähe ohne Lesebrille scharf sehen zu können, da der Nahpunkt dann bei mehr als 50 cm liegt.

      Eine besondere Anforderung stellt im Chor, Orchester oder in kammermusikalischen Formationen der Wechsel zwischen Nah- und Fernsicht dar, der sich daraus ergibt, dass zwischen dem Lesen des Notentextes und der Aufmerksamkeit gegenüber den Mitspielern und dem Dirigenten ständig gewechselt werden muss. Ein gesundes Auge ist hierzu bis zu einem gewissen Alter wegen seiner Fähigkeit zur Akkommodation ohne Weiteres in der Lage.

      Beleuchtung

      Die eigentlichen Sinneszellen des Auges, die Stäbchen und Zapfen, befinden sich in der Netzhaut. Die Stäbchen sind wesentlich lichtempfindlicher als die Zapfen und kommen etwa 20-mal häufiger vor. Die Zapfen sind jedoch für das Farbsehen wesentlich: Die Grundfarben Blau, Rot und Grün haben jeweils eigens auf die Wellenlänge der jeweiligen Farbe spezialisierte Zapfen. Bei ungenügender Beleuchtung ist das Farbsehen eingeschränkt und auch das scharfe Fixieren eines Objekts hilft in der Dunkelheit nicht weiter, da hierdurch das Objekt an einer Stelle der Netzhaut abgebildet wird (der sog. Fovea Centralis), an der es so gut wie keine Stäbchen gibt. Bei geringer Beleuchtungsstärke ist der Kontrast, z. B. des Notenbilds, herabgesetzt und das Sehen dadurch beeinträchtigt. Besser ist es, im Dunkeln leicht am Objekt vorbeizuschauen, da dies die beste Sehschärfe ergibt.

      Folgeerscheinungen bei eingeschränktem Sehvermögen

      Auch wenn das Auge ein hinsichtlich seiner Funktion außerordentlich beeindruckendes Sinnesworgan ist, sind seiner Leistungsfähigkeit unter bestimmten Bedingungen Grenzen gesetzt. Subjektiv wird das Sehen dann als anstrengend erlebt. Die Folgen bestehen nicht in einer Schädigung des Auges, sondern äußern sich vielmehr in typischen körperlichen Fehlhaltungen und muskulären Verspannungen. Hierzu kommt es insbesondere dann, wenn die optische Wahrnehmung mit höchster Konzentrationsleistung verbunden ist. Ein typisches Beispiel ist das »Vom-Blatt-Spiel«, bei dem ein neuer komplexer Sachverhalt in kürzester Zeit optisch wahrgenommen, zentral verarbeitet und motorisch umgesetzt werden muss. Wenn hierbei zusätzlich das Erkennen des Notentextes eingeschränkt ist, z. B. bei nicht ausreichend durch eine Brille korrigierter Kurzsichtigkeit, führt dies zur typischen Verlagerung des Kopfes nach vorn. Wird der Oberkörper hierbei nicht mitbewegt, entsteht eine Abknickung im Halsbereich, die zu Verspannungen des oberen Anteils des Trapezmuskels führt. In Abb. I.79 ist eine solche Haltung am Beispiel einer Pianistin zu sehen. Sehschwierigkeiten können auf diese Weise auch zu Spannungskopfschmerzen führen.

      Abb. I.79: Weit nach vorn verlagerte Kopf-Hals-Achse aufgrund von Sehproblemen beim Notenlesen

      Für das Musizieren hat die kontrollierte und präzise Steuerung von Bewegungen eine zentrale Bedeutung. Ein Instrument zu spielen erfordert die Ausführung der Spielbewegungen mithilfe von Muskeln, Gelenken und allen Elementen des Bewegungssystems, die in Kap. I.1 und I.2 beschrieben sind. Ohne eine sehr genaue Steuerung dieser Vorgänge wären die feinmotorischen Abläufe beim Musizieren nicht realisierbar. Für diese Feinabstimmung erhält das Nervensystem ständig differenzierte Rückmeldungen aus äußeren Sinnesreizen des Gehörs, des Tastsinns und des Auges, jedoch auch aus den Muskeln und Sehnen zur Stellung der Gelenke und zum Spannungszustand der Muskeln (vgl. Kap. I.1.5). Diese gesamten Informationen werden dem Gehirn als sog. sensorische Informationen zugeleitet. Aus der komplexen Fülle werden Bewegungsentwürfe entwickelt, die den ausführenden Organen – den Muskeln – als motorische Impulse zugeführt werden. Bei diesem – hier vereinfacht dargestellten16 – Vorgang werden sensorische und motorische Informationen aufeinander abgestimmt. Man spricht deshalb auch von Sensomotorik. Üben kann demnach als ein sensomotorischer Kreislauf verstanden werden, bei dem das Ziel verfolgt wird, die Abstimmung zwischen Bewegung und gehörtem Klang zunehmend präziser, feiner und kontrollierbarer zu gestalten. Auch wenn wir beim Spielen durchaus das Gefühl haben, dass wir einen Einfluss auf die Ausführung unserer Bewegungen haben, so wird uns doch nur ein Bruchteil der Informationen bewusst, die unser Gehirn ständig empfängt und aussendet.

      An dem für das Musizieren wichtigen Bereich der Bewegungssteuerung sind die motorische und die sensorische Rinde (Abb. I.65, S. 58) maßgeblich beteiligt. Abb. I.80 zeigt die Repräsentation des Körpers auf der motorischen Großhirnrinde. Von hier aus gehen Bewegungsimpulse an die Muskeln der entsprechenden Körperbereiche. Die Körperregionen, in denen eine besonders feine Muskelkoordination möglich ist, enthalten dabei mehr Nervenzellen und nehmen deshalb entsprechend mehr Raum auf der Großhirnrinde ein als andere. Hieran lässt sich ablesen, dass für die Bewegungen beim Singen und Musizieren hervorragende Voraussetzungen bestehen. So sind der Gesichtsbereich, insbesondere der Mundbereich, und die Hand am größten abgebildet, d. h., sie können besonders gut feinmotorisch angesteuert werden. Regelmäßiges musikalisches Lernen führt zu spezifischen Veränderungen in der Repräsentation einzelner Körperbereiche auf der Großhirnrinde. Beispielsweise war bei Kindern im Alter von sechs Jahren, die wöchentlich 30 Minuten Klavierunterricht erhielten, nach 15 Monaten der zuständige Bereich auf der motorischen Hirnrinde größer als bei gleichaltrigen Kindern, die gesungen und getrommelt hatten (Hyde et al. 2009).

      Abb. I.80: Repräsentation des Körpers auf der primärmotorischen Großhirnrinde (vgl. Abb. I.65)

      Die Vorstellung, dass einzelne anatomische Strukturen für eine genau definierte Aufgabe allein zuständig sind, wird heute durch die Erkenntnis relativiert, dass das Gehirn in funktionsbezogenen Netzwerken von Nervenzellen, sog. Zell-Assemblies, arbeitet. So sind etwa an der Bewegungssteuerung beim Musizieren mehrere Bereiche des Gehirns beteiligt. Hierzu zählen die primär-motorische, die supplementär-motorische und