Seelensplitterkind. Stefan Bouxsein

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Название Seelensplitterkind
Автор произведения Stefan Bouxsein
Жанр Языкознание
Серия Mordkommission Frankfurt
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783939362517



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studieren. Vielleicht sogar Geisteswissenschaften. Germanistik oder Philosophie.

       Auch in Sachen Familienplanung wollte er dem Vorbild seines Vaters keinesfalls folgen. Sein Vater hatte damals noch nicht einmal das Studium beendet, als Christian auf die Welt kam. Kurz darauf heiratete er Eva, die seinerzeit Ärztin werden wollte. Aber aus dem Plan war nichts geworden. Sie zog den Sohn groß und hielt ihrem Mann den Rücken frei, damit der sich mit vielen Überstunden in der Kanzlei hocharbeiten konnte. Christian wollte sein Leben lieber so lange wie möglich genießen und sich nicht zu früh an eine Frau binden.

      

       Zwei Meter neben ihm saß schon seit einer Weile eine junge Frau und sonnte sich gedankenverloren. Christians Blicke schweiften immer wieder zu ihr. Um ihn herum lagen und saßen viele Frauen. Manche allein, andere mit Freundinnen oder einem Partner. Nicht wenige davon waren attraktiv. Aber Christian hatte nur Augen für die Eine. Ständig musste er zu ihr rüber schauen, er beobachtete sie regelrecht. Sie war trotz des zurückliegenden heißen Sommers noch recht blass. Ihre makellose Haut schimmerte elfenbeinartig in der tiefstehenden Sonne. Sie wirkte völlig entspannt, ruhte in sich, schien glücklich zu sein. Christian ließ seinen Blick nicht von ihr ab, als sie sich erhob und zum Wasserbecken lief. Sie kühlte sich kurz ab und stieg wenige Minuten später wieder aus dem Becken. Mit anmutigen Bewegungen duschte sie sich ab und ging zurück zu ihrem Handtuch. Sie trug einen cremefarbenen Bikini, das braune Haar kurz geschnitten mit einem frechen Pony. Als sie ihr Badetuch erreichte, erwiderte sie Christians Blick und lächelte ihn dabei etwas verlegen an. Jedenfalls interpretierte er es so.

       Er beobachtete sie nun mehr oder weniger unverhohlen und sie warf auch ihm zwischendurch Blicke zu. Christian wollte diese Frau unbedingt näher kennen lernen. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, ging auf sie zu und fragte sie, ob sie nicht Lust auf ein Eis hätte. Er deutete auf die kleine Eisdiele, die neben den Umkleidekabinen lag.

       Sie sah ihn neugierig an, ihre graublauen Augen funkelten regelrecht. »Ich hatte schon fast aufgegeben und gedacht, ich würde die Wette verlieren«, erwiderte sie und klang dabei leicht verträumt.

       »Welche Wette denn?« Mit ihrer Antwort hatte sie ihn gleich aus dem Konzept gebracht, an dem er so lange gefeilt hatte, während er seine Augen nicht von ihr lassen konnte.

       »Ob du mich ansprichst oder nicht.«

       »Aha. Und mit wem hast du gewettet?«

       Sie zuckte mit den Schultern und sah sich um, so, als ob da jemand sein könnte, mit dem sie eine Wette abgeschlossen haben könnte. »Mit mir selbst«, teilte sie ihm zögerlich mit. »Mit wem denn sonst?«

       »Das ist ziemlich clever, die Wette hättest du also auf jeden Fall gewonnen«, lachte Christian.

       Sie lächelte ihn verträumt an.

       »Und, hast du nun Lust auf ein Eis?«

       »Ja, sehr gerne«, sagte sie und begleitete Christian leichtfüßig zur Eisdiele. Sie hieß Lena und entschied sich für ein Erdbeereis.

       Mit den Eiswaffeln in den Händen setzten sie sich auf eine Bank. Christian fing an, über sich zu erzählen. Dabei klebte sie förmlich an seinen Lippen. Von sich selbst gab sie aber kaum etwas preis. Sie erzählte ihm, dass sie erst seit einigen Monaten in der Stadt sei und ein Zimmer im Studentenwohnheim bewohnen würde. Als Christian wissen wollte, von wo es sie nach Frankfurt gezogen hatte, druckste sie herum. Von ziemlich weit weg, mehr sagte sie nicht dazu. Über ihre Eltern wollte sie auch nicht sprechen. Jedenfalls wich sie aus, als Christian sich erkundigte, ob sie noch guten Kontakt zu ihnen hätte. Eigentlich war das beim ersten Date auch kein gutes Thema, da kam das gebrannte Scheidungskind in ihm durch, ermahnte er sich selbst. Schließlich gestand er ihr, dass er sie sehr süß und attraktiv fand und gerne näher kennen lernen würde. Er fragte sie, ob sie mit ihm später in der Stadt noch etwas trinken gehen wolle. Sie sah ihn versonnen an und schüttelte den Kopf.

       »Wir können noch zu mir gehen«, schlug sie stattdessen vor. Sie würde in dem Studentenwohnheim gleich um die Ecke wohnen.

       Christians Herz klopfte schneller. Kurz darauf verließen sie händchenhaltend das Schwimmbad. Christian konnte sein Glück kaum fassen.

      

       In ihrer kleinen Bude sprachen sie nicht mehr viel. Sie küssten sich, kuschelten sich in dem engen Bett aneinander, zogen sich gegenseitig aus und liebten sich. Alles, was sie taten, machten sie voller Zärtlichkeit und Hingabe. Als hätten sie sich schon lange gesucht und nun endlich gefunden. Sie liebten sich noch die halbe Nacht und schliefen schließlich eng umschlungen in ihrem viel zu kleinen Bett ein.

      

       Als Christian am nächsten Morgen aufwachte, saß sie mit angezogenen Knien auf dem kleinen Holztisch gegenüber vom Bett und beobachtete ihn mit ausdrucksloser Miene. Sie rauchte eine Zigarette und schnippte die Asche achtlos auf den Boden. Gestern hatte sie nicht eine Zigarette geraucht. Christian rieb sich den Schlaf aus den Augen und murmelte ihr so etwas wie einen guten Morgen entgegen. Sie trug nur ein weites weißes Hemd, das ihr bis knapp über die Knie reichte. Ihre gestern noch so fröhlich funkelnden Augen wirkten heute kalt und abweisend.

       »Du kannst dich jetzt verpissen«, sagte sie und auch ihre Stimme klang ganz anders. Nicht mehr lieblich, sondern verächtlich.

       Christian erschrak und hatte das Gefühl, im falschen Film aufgewacht zu sein. »Was ist denn los?«, fragte er verdattert.

       »Mach dich einfach vom Acker, ich will jetzt allein sein.« Sie drückte ihre Zigarette auf der Fensterbank aus.

       Völlig perplex zog Christian seine Klamotten an und versuchte zu begreifen, was hier los war.

       »Wie heißt du noch mal?«, fragte sie ihn, als er sich ratlos aus dem Zimmer stehlen wollte.

       »Christian. Hast du das schon wieder vergessen?«

       »Hast du mich eigentlich gefragt, ob ich die Pille nehme, Christian?«

       Christian dachte, nicht richtig zu hören. Das wurde ja immer skurriler. Sein Magen zog sich zusammen. »Du hast gesagt, dass du sie nimmst«, stammelte er.

       »Kann ich mich gar nicht dran erinnern. Jetzt aber raus hier, ich muss noch einiges erledigen.«

       Christian ging und konnte sich die Wandlung von Lena nicht im Geringsten erklären. Zu seiner Verwunderung fühlte er sich aber auch von dieser derben und dominanten Art, mit der sie ihn völlig unvorbereitet überrumpelt hatte, auf unerklärliche Weise angezogen.

      *

      Siebels begab sich ins obere Stockwerk, wo Till im Arbeitszimmer zugange war. Die beiden befanden sich mittlerweile allein im Haus.

      »Die Scheidung war ziemlich schmutzig«, berichtete Till. »Jede Menge Aktenordner voller Gehässigkeiten, die penibel vor Gericht ausgebreitet wurden. Sie unterstellte ihm Affären zu jungen Frauen und behauptete, von ihm geschlagen worden zu sein. Er stritt alles ab und versuchte sie als psychisch labil und paranoid hinzustellen. Er wollte sie sogar in die Psychiatrie einweisen lassen.«

      »Dann haben wir schon mal eine Verdächtige«, seufzte Siebels. »Das Foto auf seiner Brust könnte ja durchaus ein dezenter Hinweis von ihr sein, dass ihre Anschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen waren. Hast du ihre Adresse gefunden?«

      »Ja, Eva Schlosser wohnt jetzt in der Falkstraße in Bockenheim. Und der gemeinsame Sohn Christian ist Mitglied einer Wohngemeinschaft im Nordend. Er studiert Jura.«

      »Tja, besuchen wir erst seine Ex oder erst den Sohn?«

      »Erst die Ex. Vielleicht haben wir den Fall